Dienstag, 19. März 2024

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Karin Koch: "Wieke & Ken"
Ist Nigeria ein Land, eine Stadt oder ein Dorf?

Wieke fühlt sich von ihrem Vater im Stich gelassen, seit der eine neue Frau und zwei neue Kinder mitgebracht hat. Der eine, Ken, ist ein Flüchtling aus Nigeria und Wieke völlig fremd. Als sie zu fünft nach Italien in den Urlaub fahren, eskalieren die Spannungen.

Von Karin Hahn | 18.09.2021
Karin Koch: "Wieke & Ken" Zu sehen ist im Hintergrund ein Familienauto, das durch die italienischen Berge fährt und das Buchcover auf dem eine Illustration zu sehen ist, auf der sich ein deutsches Mädchen und ein nigerianischer Junge die Rücken zuwenden.
In Karin Kochs Kinderbuch verbringt eine fünfköpfige Patchworkfamilie einen spannungsgeladenen Urlaub in den italienischen Bergen (Cover: Peter Hammer Verlag / Foto: imago / robertharding)
In einer großen Limousine fahren fünf Personen nonstop in die italienischen Berge. Am Steuer sitzt Thorsten, der schweigsame Vater der zehnjährigen Wieke, die sich die Plätze hinten mit der fünfjährigen Bille und dem ebenfalls sehr ruhigen Ken teilen muss. Auf dem Beifahrersitz hat es sich Xandra, die Mutter von Bille, bequem gemacht.
Wiekes Eltern sind seit zwei Jahren geschieden. Das Mädchen mag die neue, immer so bemühte Freundin ihres Vaters und deren Tochter überhaupt nicht. Auch Ken ist ein Fremder für sie. Das Mädchen weiß nur, dass Xandra Kens überfürsorgliche Vormundin ist und ständig afrikanischen Hirsebrei kocht, damit Ken, der zwei Jahre älter als Wieke ist, sich wie zu Hause fühlt.

Ein fatal verlaufender Urlaub

Karin Koch hat sich für zwei Erzählperspektiven entschieden. Im Wechsel betrachten Wieke und Ken diesen ziemlich fatal verlaufenden Urlaub.
"Ken tippt auf seinem Handy herum und hält es immer wieder in die Höhe.
,Kein Empfang!', sagt er entsetzt. ...
,Mit wem willst du telefonieren?', frage ich.
,Mit meiner Familie.'
,In Afrika?'
,In Nigeria.'
,Aha', sage ich.
Keine Ahnung, ob Nigeria ein Land in Afrika ist oder eine Stadt oder ein Dorf. Muss man auch nicht wissen, oder?"

Skepsis und Abstand

Wieke hat keine Vorstellung davon, wie wichtig für den aus Nigeria geflohenen Ken das Handy ist und der enge Kontakt zu seiner Mutter in Lagos. Wieke kann nicht fassen, dass das alte italienische Ferienhaus keinen Strom und nur ein Plumpsklo hat. Ken hingegen beobachtet mit Skepsis und Abstand das für ihn unverständliche Verhalten der deutschen Patchworkfamilie:
"Diese Familie hier ist merkwürdig. Das ist alles so ein Durcheinander bei diesen Leuten. … Die Europäer haben unfassbar viele Sachen in ihren Häusern und Wohnungen. Die Schränke sind voller Dinge, die sie meistens nicht benutzen. Ohne diese unzähligen Dinge bräuchten sie nicht so viele Schränke, und ohne Schränke könnten viel mehr Leute in eine Wohnung passen und dann gäbe es keine Wohnungsnot."
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Kindheit längst vorbei

Karin Koch zeigt Ken als Jungen, dessen Kindheit längst vorbei ist und der schon in für sein Alter viel zu tiefe Abgründe blicken musste. Auch wenn seine Mutter ihm geraten hat, immer freundlich zu sein, um möglichst nicht aufzufallen, kann er durch seine Hautfarbe gar nicht verhindern, dass die Leute in Italien und Deutschland auf ihn aufmerksam werden. Die Autorin Karin Koch sagt:
"Ich wollte ihn nicht so als Opfer darstellen. Er bringt ja was mit, er bringt ja eine reiche Vergangenheit mit. Er kommt aus einer ganz reichen Kultur, und ich glaube, es ist ein Irrglaube zu denken, dass Menschen, die geflüchtet sind, nur schwach sind. Er darf auch selbstbewusst sein."

Ken, das Hexenkind

Ken regelt möglichst alles allein. Durch die Erlebnisse in seinem Heimatland und auf der langen Flucht fällt es ihm schwer, Vertrauen aufzubauen. Als er in seinem eigenen Land verfolgt wurde, halfen nur seine Großmutter, seine Mutter und später Onkel Nordu, der gar nicht Kens leiblicher Onkel ist.
"Ken, der wird als Hexenkind identifiziert von einem dieser evangelikalen Prediger, die teilweise ihr Geld damit verdienen, dass sie den Kindern diesen Hexenstatus austreiben. Das gibt es in Nigeria immer noch, und zwar gar nicht selten. Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder tatsächlich verstoßen. Es gibt auch sehr viele obdachlose Kinder, die sich dann allein durchschlagen."
Ken ist mit Onkel Nordu von Nigeria aus über Mali, Libyen, das Mittelmeer, Italien bis nach Deutschland geflohen und lebt nun in einem Heim. Er spürt, dass Wieke ihm nicht traut. Das liegt auch daran, dass niemand mit ihr über Kens Lebenssituation spricht. Alle sind nur mit sich beschäftigt, und auch Wieke bleibt für sich und kämpft mit ihren widerstreitenden Gefühlen.
"Papa trägt Bille, die auf seinem Schoß eingeschlafen ist, in mein Zimmer. … Ich kuschle mich in die duftende Bettwäsche und sehe, wie Papa der schlafenden Bille einen Kuss auf die Stirn gibt. ,Gute Nacht, Wieke', sagt er und geht hinaus, ohne mich noch mal zu drücken."

Kindliche Hilflosigkeit

Wieke kann mit dieser Eifersucht nicht umgehen. Sie wird immer wütender, sie hasst das Essen von Xandra, die Passivität ihres Vaters und seine Fürsorge für Bille und Ken. Die Autorin Karin Koch erklärt Wiekes Hilflosigkeit so:
"Die Unzufriedenheit kommt bei ihr, denke ich, daher, dass sie keine wirkliche Unterstützung erfährt mit den Problemen, die sie hat. Sie sucht nach eigenen Lösungen. Ihre Unzufriedenheit führt dazu, dass sie letzten Endes auch einen Sündenbock braucht. Bei Xandra, sie hat den Vater als Rückhalt, und Ken hat niemanden. Sie sucht sich die schwächste Figur in dieser Konstellation. Was darin gipfelt, dass sie ihn des Diebstahls verdächtigt."
Ken ist so vieles leid, die Unwissenheit der Leute über Afrika, die Unverfrorenheit, ihm ständig ins Haar fassen zu wollen und vor allem, auch am Schuhstand im italienischen Dorf, ständig des Diebstahls verdächtigt zu werden. Er hat nichts widerrechtlich genommen, aber niemand glaubt ihm, außer Thorsten und Xandra. Für Ken ist dieser Urlaub nach Wiekes ungerechten Beschuldigungen zu Ende. Er will zurück ins Heim, zu seinem einzigen Freund Kabo. Allerdings wird Ken auf der dramatischen Flucht von einem Unwetter überrascht, und die Einzige, die ihm dieses Mal helfen kann, ist ausgerechnet Wieke.

Nah am Geschehen

Wieke und Ken erzählen im Präsens, nah am Geschehen, nie in salopp umgangssprachlichem Ton, sondern eher reflektierend. Auffällig ist, dass Karin Kochs Erzählerstimmen sich kaum unterscheiden.
"Das stimmt. Es ist ja schon schwierig, einem Jungen in der Vorpubertät, sage ich jetzt mal, aus einem völlig anderen Kulturkreis eine passende und authentische Stimme zu geben. Da habe ich mir schon viel zugetraut und habe schon auch selbst bemerkt, dass die Sprache sehr ähnlich ist. Und habe dann aber gedacht: Mensch, das sind zwei Kinder, die trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft Ähnliches erleben und vielleicht auch ein ähnliches Empfinden haben."
Ob es um die Begegnung mit dem allgegenwärtigen Alltagsrassismus geht, den tiefen Kummer, wenn Eltern sich trennen, oder die Unfähigkeit, insbesondere der erwachsenen Figuren, zu kommunizieren - in kürzester Zeit treffen all diese Konflikte in Karin Kochs neuem Kinderbuch aufeinander. Dabei nimmt die Autorin ihre kindlichen Hauptfiguren mit ihren ganz eigenen Problemen sehr ernst, ohne diese zu bewerten. Sie tappt nicht in die Harmoniefalle, in der Wieke und Ken am Ende dicke Freunde werden, aber sie zeigt, wie beide Kinder sich nach der Klärung vieler Missverständnisse besser verstehen.
Karin Koch: "Wieke & Ken"
Peter Hammer Verlag, Wuppertal. 130 Seiten, 14 Euro, ab 10 Jahren.