Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Karl Marx-Statue in Neubrandenburg
Auferstanden aus dem Depot

1995 wurde sie abgebaut, jetzt wird sie wieder aufgestellt: Die Karl-Marx-Statue im mecklenburgischen Neubrandenburg. Doch 29 Jahre nach der Wende tunt sich die Stadtoberen schwer mit dem richtigen Umgang des DDR-Erbes.

Von Silke Hasselmann | 29.11.2018
    Verpackte Statue steht in einem Park hinter einem Bauzaun
    Kurz vor der feierlichen Enthüllung: die wiederauferstandene Karl-Marx-Statue von Neubrandenburg (Silke Hasselmann, DLR)
    Nein, geschichtsvergessen ist die mecklenburgische Kreisstadt Neubrandenburg wahrlich nicht. Der vierspurige Straßenring um die Innenstadt mit ihren vier historischen Mauertürmen ist seit Jahrzehnten nach Friedrich Engels genannt, dem "Kapital"-Ko-Autor und besten Freund von Karl Marx. Hier - am Friedrich-Engels-Ring - steht das Rathaus. Es wird der Ausgangspunkt für die heutige Enthüllung der Marx-Statue sein. Doch dazu gleich mehr. Erst einmal Fragen an Neubrandenburger Bürger:
    "Wir stehen hier vor dem Rathaus Neubrandenburg. Wissen Sie zufällig, wie die frühere Karl-Marx-Statue stand?"
    "Gestanden haben soll sie wohl in der Stadt. Selbst gesehen habe ich sie nicht. Ich wohne ja hier erst seit zwanzig Jahren ungefähr. Sie steht ja wohl schon länger nicht mehr. Ich habe sie nur im Liegen gesehen in der Zeitung."
    "Der stand ursprünglich auf dem Karl-Marx-Platz. So hieß er ja damals. Und da gehört er auch wieder hin. Ick mein´: Dem stört doch keiner!"
    Prominenter Standort zu DDR-Zeiten
    Tatsächlich währte Marxens erstes Neubrandenburger Leben 26 Jahre. 1969 auf dem damaligen - na klar - Karl-Marx-Platz aufgestellt, musste der 2,20 Meter hohe, in Bronze gegossene Schöpfer der Theorie vom "Fetischcharakter der Ware" 1995 weichen. Und zwar nicht etwa postsozialistischen Bilderstürmern, sondern ausgerechnet dem Neubau eines Konsumtempels. Die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft bettete ihn in eine Kiste und brachte ihn ins städtische Depot.
    Da war er also immer noch, als die Linksfraktion in der Stadtvertretung vor drei Jahren Marxens Auferstehung vorzubereiten begann, und zwar mit dem bemerkenswerten "Beschlussvorschlag zur Variantenprüfung zur Neugestaltung des Umfeldes und des Aufbaues des Karl-Marx-Denkmals im Rahmen des Ausbaues der Frei- und Verkehrsflächen im Umfeld des Hauses der Kultur und Bildung". Übersetzt: Bronze-Kalle zurück an seinen angestammten Platz inmitten der 64.000-Einwohner-Kreisstadt!
    Kurz vor dem 200. Marx-Geburtstag im Mai 2018 dann endlich ein Wort des Stadtoberhauptes Silvio Witt. Nach intensiver Beratung mit Fachleuten wie dem Philosophen und Grafiker Gilberto Perez Villacampa solle Marx an seinen alten Standort auf dem Marktplatz zurückkehren, so der parteilose Oberbürgermeister. Allerdings werde er - vorgeschlagen, "das Denkmal horizontal als liegende Figur im Umfeld der Bibliothek aufzustellen." Ganz im Sinne der "Ent-Ideologisierung":
    "Entideologisierung" des Denkmals
    "1969, als er aufgestellt wurde in Neubrandenburg, hat das SED-Regime die DDR regiert und Karl Marx hatte mit dem SED-Regime nichts zu tun. Wir wissen nicht, ob 1969 nicht schon gesagt hätte `Um Gottes Willen, wofür benutzt ihr mich da? Warum stellt ihr mich hier so auf? ` Und genauso können wir nicht wissen, was er heute davon halten würde, wenn wir ihn so öffentlich aufbewahren. Aber zumindest wird er unsere Gedanken, unser philosophisches Auseinandersetzen mehr würdigen, als wenn wir ihn dazu nutzen eine Diktatur zu würdigen."
    Die Bevölkerung staunte:
    "Liegend? Nein. Ach! Wieso liegend? Den kennen wir doch nicht liegend, den Mann. Nicht mal Lenin haben sie hingelegt."
    "Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, was würden Sie sagen: Soll der zurück? Soll er dahin, wo er war?"
    "Na, warum denn nicht?"
    "Soll er liegen, soll er schweben?"
    "Nee, nee. Liegen nicht. Wie sieht dat aus?"
    "Aber es war ernsthaft in der Diskussion hier, oder?"
    "Ja, die haben nichts weiter zu tun." "Ja, wollte ick gerade sagen. Dat ist ein Witz, dat man sich darüber unterhält überhaupt. Hinstellen und denn ist Ruhe!"
    Bewegung kam in die Sache, als ein Neubrandenburger Ehepaar 10.000 Euro stiftete, damit die fast 50 Jahre alte Marx-Statue endlich ins Stadtbild zurückkehren kann.
    Neuer Standort am Schwanenteich
    Heute Abend wird Oberbürgermeister Witt die Spender und weitere interessierte Bürger im Rathaus empfangen und dann mit ihren einen knappen Kilometer am Friedrich-Engels-Ring zum Schwanenteich spazieren. Dort - und nicht auf dem Marktplatz im Stadtzentrum – darf Bronze-Kalle stehen: Die linke Hand an der Hosennaht, die rechte angewinkelt, der Blick geradeaus in eine bessere Zukunft gerichtet, die Blechkarawane vom Friedrich-Engels-Ring im Rücken.
    Noch steht er umzäunt und eingehüllt da. Das mit dem Hinstellen hat also geklappt. Das mit der Ruhe ist noch nicht so sicher.
    "Sie wohnen ganz in der Nähe des Schwanenteiches und erhalten quasi einen neuen Nachbarn ---"
    "Dat is der Herr Marx. Ick hab´ ihn noch gar nich gesehen. Ick hab bloß gestern Abend gesehen: Die Großtransporter fuhren und dann mussten sie ja auch noch den Teich ein bisschen richten."
    "Was halten Sie davon, dass er hier wiederaufersteht?"
    "Tja, wenn ick ehrlich bin: Ick glaub´, die haben Angst vor Marx. Dat er ein Philosoph ist, ein großer. Und dat sie ihn so verstecken am Teich!? Erst mal ist der Ring da. Der hat Abgase. Dann ist es sehr feucht. Soll er vergammeln und denn kommt er wirklich in den Schrott? Find´ ick nich gut."