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Karlsruher Urteil
Anlasslose Kennzeichen-Kontrolle verfassungswidrig

Wenn die Polizei automatisch und in großem Stil Kfz-Kennzeichen mit der Fahndungsdatei abgleicht, verletzt das die Grundrechte unbescholtener Autofahrer. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Behörden in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg müssen diese Art der Fahndung vorerst stoppen.

Von Gudula Geuther | 05.02.2019
    Ein Polizist kontrolliert auf der Autobahn 7 kurz vor Dänemark bei Flensburg den Verkehr.
    Bei Verdacht darf ein Polizist das Kfz-Kennzeichen kontrollieren, flächendeckend aber nicht (picture alliance / dpa / Benjamin Nolte)
    Unmittelbar betreffen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts den automatisierten Abgleich von Autokennzeichen. Der findet in vielen Bundesländern statt. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen müssen ihre Gesetze jetzt ändern, auch alle anderen Bundesländer werden ihre Regelungen überprüfen müssen. Die Beschlüsse gehen aber über die Kennzeichenkontrollen hinaus. Denn die Karlsruher Richter stellen insgesamt neue Maßstäbe für den automatischen Datenabgleich auf. Das kann Folgen auch für andere Kontrollen haben, zum Beispiel auch für einen möglichen künftigen Einsatz der automatischen Gesichtserkennung.
    Strenge Maßstäbe
    Autokennzeichen werden meist zur Gefahrenabwehr abgeglichen, also um Straftaten zu verhindern. Und zwar je nach Bundesland in ganz unterschiedlichem Ausmaß. In Bayern gehen die Gerichte von monatlich über acht Millionen erfassten Kennzeichen aus, in Baden-Württemberg und Hessen von 100.000 bis 200.000 pro Jahr. Dabei werden die Kennzeichen mit Fahndungsdateien abgeglichen. Ergibt sich kein Treffer, werden die Daten sofort automatisch gelöscht. Vermeintliche Treffer schaut sich ein Polizist noch einmal an. Meist sind sie falsch und werden dann gelöscht.
    Schon vor zehn Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht strenge Maßstäbe für die Kontrollen aufgestellt. Damals allerdings fanden die Richter noch: Der bloße Abgleich ohne Treffer berührt die Grundrechte nicht. Davon rücken sie jetzt ausdrücklich ab. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so betonen die Richter nun, ist schon dann betroffen, wenn das Kennzeichen einer Person nur kontrolliert wird - egal ob das zu einem Treffer führt oder nicht. Schließlich gehe es nicht nur um eine technische Maßnahme, sondern gerade um die Kontrolle der Person und ihres Autos. Und das beeinträchtige schon für sich genommen die Freiheit.
    Weitreichende Folgen
    Wörtlich heißt es in der Entscheidung: "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein." Und weiter: "Jederzeit an jeder Stelle unbemerkt registriert und darauf überprüft werden zu können, ob man auf irgend einer Fahndungsliste steht, oder sonst in einem Datenbestand erfasst ist, wäre damit unvereinbar." Zitat Ende.
    Das bedeutet nicht, dass die Kennzeichen nicht kontrolliert werden dürfen. Aber: Kontrollen dürfen nicht ins Blaue hinein, sondern nur aus guten, konkreten Gründen stattfinden und sie müssen verhältnismäßig sein. Das sind die Gesetze der drei Länder nur zum Teil. Beispiel Schleierfahndung, - also verdachtsunabhängige Fahndung zum Schutz vor grenzüberschreitender Kriminalität. Die erlauben die Richter in Grenznähe, aber nicht auf den wichtigen Durchgangsstraßen. Beispiel Fahndungslisten: Die Polizei darf nicht alle Daten abgleichen, die sie zur Fahndung gespeichert hat, sondern nur die, wegen denen an einer bestimmten Stelle kontrolliert wird. Und dafür muss es um wichtige Rechtsgüter wie Leib, Leben und Freiheit gehen. Zur Grenzsicherung wie bisher in Bayern oder zur Strafverfolgung wie in den anderen Bundesländern dürfen die Länder ohnehin nicht kontrollieren. Denn dafür sind sie nicht zuständig. Zustimmung zu den Entscheidungen kommt von den Grünen: Im sächsischen Landtag fordern sie, das dort geplante neue Polizeigesetz müsse gestoppt werden. Der Bundes-Fraktionsvize Konstantin von Notz sieht Folgen nicht nur für Überlegungen zur Gesichtserkennung, sondern auch für Diesel-Verkehrskontrollen.