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Karneval in Köln
Zwischen tumbem Besäufnis und heiterer Geselligkeit

Karneval in Köln ist zuletzt in Verruf geraten. Und tatsächlich sagt der ein oder andere, der Ton sei insgesamt rauer geworden. Aber hat sich wirklich so viel verändert im Vergleich zu früher? Eine Spurensuche im wild-lustigen Getümmel der Domstadt

Von Ramona Westhof | 09.02.2018
    Karneval in Köln auf der Zülpicher Straße
    "Bis wir im Rinnstein liegen": In Köln wird bisweilen exzessiv gefeiert - doch für viele entsteht durch den Karneval bis heute ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl (imago / C. Hardt)
    Noch nicht mal Mittag, trotzdem sind die Straßen voll mit Cowboys, Einhörnern und Prinzessinnen. Gut eingepackt in Daunenjacken, Schals und Handschuhe. Ein Pirat kann sich die Faszination Karneval auch nicht erklären: "Ich hab zu viel getrunken, ich weiß es nicht."
    Die Begleitung, Troll, gut zu erkennen an der einen Meter hohen pinken Perücke, ist noch etwas nüchterner, hat aber ähnliche Pläne: "Bis wir im Rinnstein liegen. Sonst kann man's ja nicht ertragen."
    Betrunkenes Obst fordert "Weltfrieden"
    Recht hat sie. Das Kölsch scheint von innen zu wärmen und leicht angeschwippst sind wohl auch die tieffliegenden Schnapsdeckel leichter zu ertragen und auch die Annäherungsversuche:
    "Warum wir hier sind? Um solsche schöne kurzhaarige Damen wie Sie" - "Die ganze Nacht an… von Ihnen geträumt" - "Rudelbummsen" - "Ich hab grad Rudelbummsen gehört!"
    Das sind die Antworten von einem Rudel Bananen auf die Frage, warum sie zum Karneval gefahren sind. Ein paar Ideen hat das betrunkene Obst dann aber doch noch: "Du musst es in die Wiege gelegt kriegen." - "Und Weltfrieden!" - "Also entweder du liebst es oder du hasst es. Wenn das dir deine Eltern schon in die Wiege liegen, dann sagst du dir: Mann, ist das geil!" - "Ey, lass mal pissen gehen!"
    Was bedeutet das eigentlich für eine Stadt, wenn für ein paar Tage im Jahr ganze Stadtviertel zu Freiluftkneipen und noch schlimmer: Freilufttoiletten werden?
    Ordnungsamt will Feiernde im Zaum halten
    Vor allem das Ordnungsamt ist im Dauereinsatz gegen Schlägereien, Wildpinkler und jugendliche Säufer.
    Leiter Engelbert Rummel ist nicht verkleidet. Seine Pressesprecherin trägt dafür Geweih mit Blümchen. Rummel erklärt, was alles nötig ist, um die Feiernden im Zaum zu halten: "Erstmal haben wir dafür gesorgt, dass keiner mehr 'ne Entschuldigung hat, wild zu pinkeln. Wir haben aus 80 Toiletten, die wir vorher aufgestellt haben 800 Toiletten gemacht, sodass also jeder an jeder Ecke auch 'ne Toilette betreten kann."
    Außerdem ist an vielen Stellen Glas verboten, stattdessen gibt es Plastikbecher - entweder gratis oder gegen Pfand. Das soll auch das Müllproblem eindämmen.
    Anwohner müssen mitfeiern - auch gegen ihren Willen
    Der Feierbereich an der Zülpicher Straße kann gleich ganz gesperrt werden, wenn das nötig wird. Am 11.11. - dem Beginn der Karnevalssaison - war es hier so voll gewesen, dass die Ordner niemanden mehr aufs Gelände gelassen haben. Auch wenn gerade nicht Karneval ist, kommen vor allem junge Menschen auf die Zülpicher - wenn die Kneipen voll sind, wird eben draußen weitergefeiert.
    Und die Anwohner? Müssen mitfeiern, ob sie wollen oder nicht:
    "Ist ja entspannt auch, ich dachte es wär viel mehr los, aber es geht voll, finde ich. Ich glaub, wenn ich jetzt nur Frühdienst hätte…"
    Und mit genug Alkohol geht ja bekanntlich alles.
    "Also wenn ich so was wie straight edge wäre oder einfach nicht trinken würde oder so was, dann wär's schon scheiße."
    Kritik von einer Karnevals-"Insiderin"
    Eine die arbeiten muss, ist Maureen Wolf, Wirtin im Oma Kleinmann an der Zülpicher Straße, und trotzdem in voller Montur. "Ich bin Glitzerzwerg."
    Langer Glitzerhut, glitzernde Wangen. Überhaupt überall Glitzer. Und Karnevalsprofi:
    "Das ist jetzt mein 30. Jahr in der Gastronomie sozusagen und mein 40. als Feiernde."
    In den 40 Jahren hat sie eine Veränderung mitbekommen: Es sei roher geworden, sagt Wolf.
    "Es gibt halt viele, also zumindest die, die draußen feiern, die sich schon auch teilweise schwer daneben benehmen. Die also einfach machen, was sie wollen. Die verrichten ihre Notdurft überall, die zerstören Sachen, die grölen rum, die können gar keine Lieder singen, also die wissen gar nicht, wie man schunkelt, können sich den Alkohol auch relativ schlecht einteilen, also das geht relativ schnell zu Ende mit denen."
    Am Rhein gibt's einen Sündenbock für alles
    Und wenns mal nicht so läuft, dann gibt's am Rhein übrigens einen ganz einfachen Trick. Es gibt einen, der ist immer Schuld.
    "Alles ist der Nubbel schuld. Also, wenn Sie Ihre Miete versoffen haben an Karneval, bisschen fremd gebützt haben, das ist alles der Nubbel schuld und dann wird der hier zu Grabe getragen und dann verbrannt."
    Und eigentlich ist trotz all dem Gesaufe der Karneval doch auch gar nicht so schlimm.
    "Damals in jungen Jahren haben wir bestimmt auch so manches ausprobiert, aber irgendwann haben wir gewusst, wann Schluss ist. Und heute liegen die also wirklich schwer alkoholisiert irgendwo in der Ecke und landen dann im Lazarettzelt." – "Das haben Sie früher nicht gemacht?" – "Machen se mal aus…"
    Das sagt ein Herr im traditionellen Kölner Streifenkostüm.
    Feiern mit einem besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl
    Und jetzt mal Butter bei die Fische: Warum zum Karneval nach Köln?
    "Das hab ich mit in die Wiege gelegt bekommen. Gut, es gibt mit Sicherheit noch viele andere Regionen, wo der Karneval mindestens genauso gut ist. Aber hier ist er einfach noch ein bisschen besser."
    Und was sagen Sie, Frau Wolf?
    "Man wird wehmütig, man pflegt Traditionen, das alles ist halt total schön, es macht Spaß und das gibt einem auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl."
    In diesem Sinne: jetzt einfach mal mittanzen, singen gerne auch, so schwer ist der Text ja nicht. Und schon sind sie Teil der großen Karnevalsfamilie. Nur zum Pinkeln gehen Sie bitte aufs Klo!
    Prost!