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Kasseler Flüchtlingshaus
Begegnung als Ziel

Heim, Hostel, Werkstatt, Party-Location und Ausstellungsfläche - das alles ist die Flüchtlingsunterkunft "Sandershaus" am Stadtrand von Kassel. Möglich wurde das auch, weil ein breites Bündnis in der Gesellschaft die Integration unterstützt.

Von Sven Kästner | 10.08.2017
    Der Eritreer Afwerke Gebreamlak sitzt am 14.12.2015 nach seiner Einreise im Terminal des Kassel-Airports in Calden (Hessen). Insgesamt 156 sogenannte Resettlement-Flüchtlinge aus Khartum im Sudan waren an Bord des Flugzeugs. Sie kommen auf Einladung der deutschen Behörden.
    Rund 40 Geflüchtete wohnen in der Kasseler Unterkunft "Sandershaus". (dpa / picture alliance / Uwe Zucchi)
    "Hallo!" - "Hallo!" - "Das ist die Küche."
    Es herrscht reger Betrieb in der Gemeinschaftsküche der Flüchtlingsunterkunft "Sandershaus" am Stadtrand von Kassel. Hier in der zweiten Etage eines ehemaligen Fabrikgebäudes bereiten gerade einige Bewohner ihr Abendessen vor. Adam Murrat aus Syrien hat einen Berg Kartoffeln vor sich.
    "Ich hab Familie auch hier. … Vater, Mutter und zwei Brüder."
    Der junge Mann ist einer von 40 Menschen, die hier seit vergangenem Februar auf 500 Quadratmetern wohnen. Es ist eine eher kleine Gemeinschaftsunterkunft. Nach den ersten Plänen hätte sie doppelt so groß sein sollen. Doch nachdem das frühere Möbellager umgebaut war, waren die Grenzen auf dem Balkan geschlossen, und der umstrittene Flüchtlingsdeal mit der Türkei wirkte. Geschäftsführer Heiko Kannenberg:
    "Ursprünglich war es als eine reine Gemeinschaftsunterkunft konzipiert. Dadurch, dass die Situation sich aber im Jahr 2016 verändert hat, es nicht mehr so viele Geflüchtete gab, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen, haben wir in Zusammenarbeit mit der Stadt Kassel ein neues Konzept entwickelt."
    Kannenberg, ein 49-Jähriger mit ergrauten langen Haaren und sommerlicher Strohmütze darüber, führt eine Treppe tiefer in die erste Etage. Hier werden seit einigen Wochen Touristen empfangen.
    "Was wir jetzt hier vorhaben, ist, eine Mischung hinzubekommen zwischen einer Geflüchteten-Unterkunft, einem Hostel, einem Kulturbetrieb, einer Werkstatt, einer Party-Location, Ausstellungsfläche. Und das alles gemeinsam zu betreiben, so dass die Geflüchteten sich nicht nur in ihrer Ebene bewegen. Sondern Teil des Hauses werden."
    Begegnung ist das Ziel: Zwischen den Flüchtlingen, den Kasseler Gästen der Kulturprojekte und den Touristen im Hostel. Im Erdgeschoss hat Kannenberg eine Bar mit Veranstaltungsraum einbauen lassen. Demnächst sollen noch eine Künstlerwerkstatt sowie Probe- und Ausstellungsräume im Keller dazu kommen.
    Joan Ibrahim aus Syrien lebt seit drei Wochen oben in der Flüchtlingsunterkunft. Gerade übt er auf seiner Saz. Diese türkische Laute nimmt er zur Hand, wenn immer es sein Tagesablauf aus Deutsch-Unterricht, Sportkurs und Mini-Job in einem Restaurant zulässt. Einmal wöchentlich probt er mit Deutschen und anderen Geflüchteten hier im Haus in einer Band.
    Im Kontakt sein
    "I meet every week one band from Germany and from Kurdistan and from other – I don't know which country. So we play together.
    The best of all here: I meet people from Germany: And when I need help or something, so then they help me with everything I need. So I feel home actually here."
    Das Beste hier sei, sagte Joan, dass er Deutsche treffe und Beratung bekomme. Gemeinsam mit serbischen Künstlern hat das Kasseler Sandershaus das Projekt "Büro Mobil" in Belgrad organisiert. Mit mobiler Kochstelle, Handy-Auflade-Station oder Scanner bieten die Künstler den in der serbischen Hauptstadt gestrandeten Flüchtlingen Hilfe an. Tanja Simonovic reist zwischen Kassel und Belgrad hin und her. Mit Bewohnern des Sandershauses hat sie das Projekt vorbereitet.
    "Sie haben uns zum Beispiel geholfen, Texte zu übersetzen, mit denen wir dann unter anderem in Kontakt treten mit denen, die gerade in Belgrad unterwegs sind. Wir haben auch gefragt: Was ist kompliziert gewesen in Serbien, in Belgrad? Wo kann man helfen? Wo kann man unterstützen?"
    Das "Büro Mobil" soll diese Informationen dann nach Kassel bringen. Die Zusammenarbeit zwischen Einheimischen und Geflüchteten habe aber auch schon ganz konkret Früchte getragen, sagt Simonovic.
    "Bewohner und Angestellte des Hauses, die aus Syrien kommen, haben über die Kontakte jetzt WGs gefunden. Und es sind Freundschaften entstanden. Also das ist wirklich cool gelaufen bis jetzt."
    "Sandershaus"-Geschäftsführer Kannenberg findet, dass in Kassel generell viel für Flüchtlinge geschafft worden sei. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und ehrenamtlichen Helfern funktioniere. Ein breites Bündnis in der Gesellschaft unterstütze die Integration.
    Afghanen droht die Abschiebung
    Allerdings ist der Wohnungsmarkt in der Stadt angespannt, anerkannte Flüchtlinge finden schwer eine eigene Bleibe. Und ausufernde Bürokratie erschwere die Arbeitssuche, klagt Kannenberg.
    "Die Anzahl der Briefe ist unglaublich. Ich sehe das ja jeden Tag. Also eine Familie, die gerade nach Deutschland gekommen ist und dann von der Erstaufnahme gewechselt hat, ihre Anerkennung bekommen hat, hat erst Mal gut ein Vierteljahr damit zu tun, vollzeitmäßig, die Anforderungen des Jobcenters zu erfüllen."
    Dass sich die deutsche Flüchtlingspolitik seit 2015 geändert hat, verspüren allerdings die Geflüchteten und die Mitarbeiter auch in einer solch ambitionierten Unterkunft wie in Kassel.
    "Wir haben eine afghanische Familie, die einen Ablehnungsbescheid bekommen hat. Wir haben einen afghanischen jungen Mann, der einen Ablehnungsbescheid bekommen hat. Wo aus heutiger Sicht sicher irgendwann die Abschiebung droht. Das finde ich persönlich sehr problematisch. Weil ich glaube nicht, dass Afghanistan ein sicheres Land ist."