Mittwoch, 17. April 2024

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Kastanienzeit

Kastanienzeit in der Pfalz. Dort wird das Buchengewächs auch Keschde genannt. Bei der Wanderung auf dem Keschedeweg mit Blick auf das Rheintal und Weingärten gibt es reichlich Kastanien für Sammler.

Von Anke Ulke | 07.11.2010
    Mein Schnupperwandern am Keschdeweg beginnt auf der Mitte der Strecke, oberhalb von Edenkoben, am Waldrand, am Ortsausgang des bekannten, romantischen Weindorfs Rhodt unter Riedberg. Sabine Zwick aus Edenkoben begleitet mich. Sie kennt die Gegend und hat die Wanderkarte.

    "Welches Teilstück gehen wir heute? - Das ist der mittlere Teil zwischen Edenkoben und Weyer und stellt eine Rundvariante dar, sodass wir in Edenkoben auch wieder rauskommen."

    Sabine Zwick faltet die Karte zusammen und los geht's. An der Rietaniahütte, einer Waldhütte mit Wanderparkplatz, sind wir auf dem offiziellen Keschdeweg. Der Wald ist licht und hell, die Kastanien verlieren jetzt ihre schmalen, gelb verfärbten Blätter, nach jedem Windstoß plumpst es rundum von oben raschelnd ins Laub und auf den Weg. Es regnet Keschde! Nur das Wanderzeichen, eine Kastanie, die sich aus ihrer grünen Hülle schält, ist schwer zu finden!

    "Des ist ein sehr beliebtes Souvenir, dieses Kastanienzeichen, es werden oft viele entwendet, dann haben wir auch mal Holzfällarbeiten, wir haben Stürme, sodass manche Bäume auch mal wegfallen und zweimal im Jahr werden die Wege kontrolliert, aber wenn zwischendurch mal was wegkommt, dann ist es ein bisschen schwierig."

    Wir folgen roten Wandermarkierungen und bald teilt sich der Weg.

    "Wir sind jetzt hier angekommen am Schweizer Haus, ist eine Pfälzer Waldhütte, und jetzt gabelt sich der Weg, es gibt eine Variante, die führt in den Pfälzer Wald hinein, nach Ramberg und es gibt den Hauptweg, den laufen wir jetzt weiter, der führt dann Richtung Weyer und dann Richtung Süden, entlang des Haardtrands. Das ist jetzt der Punkt, wo man aufpassen muss, weil sich jetzt der Kastanienweg aufteilt."

    Der schmale Weg läuft in engen Kurven bergab, die rote Erde ist teilweise von Wildschweinen stark zerwühlt! Denn auch die wissen: Es ist Kastanienzeit! Immer wieder öffnet sich der Blick aufs Rheintal und die Weingärten. Oberhalb des Örtchens Weyer, am Waldrand, ein Sammler, der sich ständig bückt und im Laub wühlt. Wolfgang Markwald aus Göttingen ist Keschdefreund.

    "Wir verschenken sie zum Teil, die Einheimischen kommen ja selber nicht zum Zuge, und dann sammeln wir; und es gibt verschiedene Möglichkeiten, die zuzubereiten, aber wir müssen die erst mal trocknen. Am Hauptsächlichsten machen wir so ein Mus, was man unter Süßspeisen mischen kann. Man haut das durch die Moulinette und das geht wunderbar."

    Weiter geht's, vorbei an Sturmschäden, handgeschnitzten Tierfiguren im Skulpturengarten, einer Mariengrotte. - Wer nach dem Rundweg dem Keschdeweg Richtung Nordosten folgt, stößt bald auf die Villa Ludwigshöhe. Zartgelb leuchtet der einstige Sommersitz Ludwigs des I. von Bayern aus dem Wald. Wir treffen den Förster Jochen Edinger. Forstleute wie er sind besorgt, denn die Edel-Kastanien sind von einem zerstörerischen Pilz bedroht.

    "In letzter Zeit haben wir massive Probleme durch den Kastanienrindengrips, der Cryphonectria parasitica ist ein Schädling, ein Pilz, der sich in der Edelkastanie festsetzt und zwar direkt unter der Rinde, im sogenannten Kambium, das ist die Wachstumsschicht und diese Wachstumsschicht zerstört."

    Der Baum, den Edinger uns zeigt, hat eine zerfressene Rinde, die so aussieht, als hätte sie ein Tier angenagt. Doch kleine rot-orange Pusteln zeigen, hier ist ein Pilz am Werk und streut schon seine Sporen. Jochen Edinger.

    "Der Pilz umschließt den ganzen Baum, und dann stirbt die Krone oben drüber ab. Und unten bilden sich im besten Fall einfach eine Notkrone, sogenannte Wasserreiser, die den Baum schützen sollen, bis er ganz kaputt geht. Nur das ist kein Baum mehr, das ist n Stumpf, der dann wächst."

    Doch obwohl der Pilz extrem zerstörerisch ist - Hoffnung auf Heilung haben die Forstleute trotzdem: Es gibt ein Virus, das wiederum den Pilz angreift und ihn an der Ausbreitung hindern kann. Erste Versuche lassen hoffen, dass die Edelkastanie an der Weinstraße erhalten bleibt. Bevor es weitergeht zum nächsten Ort und Wandereinsatz, steht noch ein Besuch in Venningen, beim Essigdoktor an. Zur Kastanienessigprobe im Weinkeller.

    "Wir gehen jetzt runter in die Essigstuben, dort wo die Weine langsam vergären zu Essig."

    Georg Heinrich Wiedemann, ein jugendlich wirkender Mittfünfziger, ist der Essigdoktor und hat sich mit Haut und Haaren dem Essig verschrieben. Im Weinkeller der Familie reifen beste Weine aus der Region in alten Holzfässern zu edlen Essigsorten heran. Natürlich gibt es auch einen Kastanienessig. Aus einer alten Beerenauslese und aromatischem Kastanienhonig entsteht ein kognakfarbener Essig, der kräftig, fruchtig und exotisch zugleich schmeckt.

    "Denn kann man dann nehmen, jetzt zum Beispiel, jetzt ist Herbstzeit, wenn eine schöne Gänsebrust oder Entenbrust glaciert ist mit dem Kastanienhonigessig, das wird immer wieder im Backofen überbacken und immer glaciert, glaciert, glaciert, vier, fünf Mal, dann gibt es so eine leichte, schöne Kruste, und die schmeckt dann säuerlich und hat eine glänzende Farbe durch diesen Kastanienhonig."

    Essigdoktor Wiedemann zeigt uns noch die Essigmutter, eine gallertartige Masse aus Essigsäurebakterien, die sich von Alkohol ernähren und die man zur Herstellung von Essig braucht. Seine wird in einem antiken Schrank wie ein kleines Heiligtum verehrt und immer wieder gefüttert.

    "Das heißt unsere Mutter, knapp 150 Jahre alt, ist natürlich immer stark betrunken. Muss auch immer Alkohol kriegen, sonst würde sie nicht weiter funktionieren. Und die wandelt uns den Alkohol des Weines um zu Essig."

    Weiter geht's am Folgetag, Richtung Süden, zu einer zweiten Etappe des Keschdewegs, nach Annweiler am Trifels. Auch hier gibt es wieder unzählige Wanderwege, der Keschdeweg ist nur einer davon. Die Etappe heute führt vom Parkplatz Ahlmünde, kurz vor der trutzigen Burg Trifels mit ihrer fast 1000-jährigen Geschichte, zum Zollstock, einem Wanderknotenpunkt und über den Keschdeweg ins Fachwerkstädtchen Annweiler. Der Weg ist weitgehend eben, führt meist bergab, durch Kastanien, Kiefern und Buchen. Christina Abele aus Annweiler begleitet mich.

    Mitten im lichten Wald kommen wir an eine große Wegekreuzung. Weit und breit ist bei wunderbarem Herbstwetter kein Mensch zu sehen, niemand, den man im Zweifel nach dem Weg fragen könnte!

    "Hier ist der Wanderknotenpunkt Zollstock, aber unendlich viele Wege hier im Pfälzer Wald und da trifft man nicht gleich jemanden, den man fragen kann. Rechts geht es jetzt zum Trifels weg, und Richtung Klettererhütte, Rehberg sind beliebt Wanderziele, links geht auch eine Rundtour von Keschedeweg Richtung Leinsweiler, und danach geht's dann auch wieder an Orte an der Weinstraße, nach Birkweiler, nach Ranschbach und hier auch zum Hohenberg hoch, da ist noch mal ein Aussichtspunkt."

    Immer wieder öffnet sich der Wald, gibt den Blick frei auf Wiesen oder Weiden oder den Kirchturm eines nahe gelegenen Ortes. Obwohl der Keschdeweg hier eigentlich bergab führt, geht es doch immer mal wieder auch bergauf.

    "Es sind immer wieder Steigungen zu überwinden, ich lauf ja mal ins Queichtal rein, mal wieder raus, da sind immer wieder Höhenunterschiede zu überwinden, richtig steil würde ich nicht sagen, trotzdem sollte man natürlich Wanderschuhwerk dabei haben."

    Bald sind wir im Städtchen Annweiler und eine kulinarische Stadtführung steht auf dem Programm. Armin Klein, mindestens 1 Meter 90 groß und sehr schwer, ist Gästeführer, Hobbyschauspieler und offensichtlicher Genießer in Person. Gemütlich geht es mit ihm von Kastanienravioli zu Maroneneis durch die idyllische Kleinstadt an der Queich. Die Queich wurde in Annweiler als Antrieb für Wassermühlen genutzt.

    "Das sind überwiegen Lohemühlen, Lohe, da ist Eichenrinde, die hat man getrocknet, gemahlen in diesen Mühlen, die hat man gebraucht für das Gerben von Leder, das heißt, man hat das Leder in sogenannten Lohegruben geschichtet, Leder, eine Schicht Eichenrinde, und immer abwechselnd, mit Wasser aufgefüllt und dann blieb das Leder da unter Umständen bis zu drei Jahren drin, je nach Dicke des Leders, und diese Lohe wurde hier in diesen Mühlen in Annweiler gemahlen."

    Die letzte Etappe des Schnupperwanderns auf dem Keschdeweg wartet. In Hauenstein, für mich Endpunkt der Tour, will ich endlich das machen, was alle hier im Herbst machen: Keschde sammeln! Der Einstieg zum Keschdeweg ist beim Deutschen Schuhmuseum und gekennzeichnet. Jacques Noll aus Hauenstein ist diesmal dabei. Kastanien hat er schon immer gesammelt.

    "Ich bin hier aufgewachsen, das gehört dazu, der eine geht Pilze suchen und wir sind immer, als Kinder schon die Kastanie gelesen, die Keschde, und hab's dann am Straßenrand verkauft. Für ein, zwei Deutsche Mark damals noch, und für uns war das immer ganz toll, die Oma dann immer noch erzählt, früher hat's Keschdegemüse dazugegeben, es ist getrocknet wore."

    Das Wandern wird für heute gestrichen - wir gehen sammeln. Kaum unter den Kastanien, verlassen wir den Weg, rascheln Hang auf, Hang ab durchs Laub, befreien die Keschde mit festen Stiefeltritten aus ihrem stacheligen Gefängnis, um uns nicht zu sehr die Finger zu stechen. Bei Esskastanien wichtig: Es kommt auf die Größe an! Jacques Noll hat den richtigen Blick.

    "Da ist jetzt die richtige Größe, Durchmesser zwei Euro Stück Minimum. Da müssen Sie nicht so arg schälen, das ist Ok."

    So verlockend die vielen, dunkel glänzenden kleinen Keschde auch sind - liegen lassen. Das Schälen ist hinterher zu aufwendig und lohnt nicht. Aber sammeln muss sein.

    "Es gehört dazu, wenn man am Wald aufwächst, dann gehören die Keschdewälder dazu und dann sammelt man das auch im Oktober."