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Katalonien
Ex-Premier wegen Volksbefragung vor Gericht

Flankiert von Protesten hat in Barcelona der Prozess gegen den früheren katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, trotz eines vom spanischen Verfassungsgericht verhängten Verbots 2014 einen Volksentscheid über die Abspaltung von Spanien durchgeführt zu haben.

Von Julia Macher | 06.02.2017
    Menschen halten "estelada" oder Pro-Unabhängigkeits-Fahnen hoch, nachdem der frühere Präsident der katalanischen Regionalregierung am 6. Februar 2017 bei Gericht in Barcelona/Spanien eintrifft. Tausende gehen aus Protest gegen das Verfahren gegen drei katalanische Politiker auf die Straße.
    Proteste gegen das Verfahren der spanischen Regierung gegen drei katalonische Politiker vor dem Gerichtsgebäude in Barcelona/Spanien (AP / Manu Fernandez)
    Die Choreografie steht: Sprechchöre und ein Meer von Begleiten Mas, seine Ex-Vizepräsidentin Joana Ortega und Bildungssenatorin Irene Rigau auf dem Weg zum Gericht. 40.000 Menschen haben den Angeklagten ihre Unterstützung zugesagt, aus allen Ecken Kataloniens reisen sie an: in 157 von den Organisatoren gecharterten Bussen. Dazu bekommen Mas, Ortega und Rigau auch Geleit von der gesamten katalanischen Exekutive. Eine große Inszenierung, die der Welt vermitteln soll: Hier steht ein Land von Gericht.
    Artur Mas, dem wegen Amtsmissbrauch und Ungehorsam für zehn Jahre der Ausschluss von öffentlichen Ämtern droht, sieht die Demokratie bedroht.
    "Der spanische Staat zeigt sein undemokratischstes Gesicht. Statt sich einer Abstimmung, einer Wahl zu stellen, versucht er um jeden Preis die Anführer der Unabhängigkeitsbewegung mundtot zu machen. // Ich hoffe, der Prozess gegen mich lässt die Menschen in Katalonien, die noch Zweifel an der Unabhängigkeit haben, erkennen, dass es in so einem Staat keine gute Zukunft geben kann."
    Katalanisch-spanischer Dauerstreit
    Nicht nur dem ehemaligen Ministerpräsidenten, auch der Parlamentspräsidentin Carme Forcadell droht ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs: weil sie gegen das Verbot des Verfassungsgerichts eine Debatte über einen verfassungsgebenden Prozess für Katalonien auf die Tagesordnung setzte.
    "Das war kein Ungehorsam, ich habe lediglich meine Aufgabe als Präsidentin erfüllt: nämlich die Diskussion einer parlamentarischen Initiative zu ermöglichen. Alles andere wäre doch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und der parlamentarischen Gruppen gewesen,"
    glaubt Forcadell. Madrid beharrt: Das katalanische Parlament darf ein Urteil des Verfassungsgerichts nicht ignorieren. Die Verteidigung eines verbindlichen gesamtspanischen rechtlichen Rahmens, vor allem anderen und die These, nach der entsprechende Mehrheiten Alleingänge legitimieren: Diese beiden Positionen stoßen beim Dauerstreit zwischen Madrid und Barcelona seit Jahren aufeinander.
    Nach den Wahlen im September 2015 hatte die Regionalregierung angekündigt, innerhalb von 18 Monaten über eine Loslösung von Spanien zu verhandeln. Doch das Bündnis zwischen der Unabhängigkeitskoalition Junts pel Si (zusammen für ja) und der linksradikalen CUP verfügt lediglich über die Mehrheit der Parlamentssitze, nicht der Wählerstimmen. Daher fordert Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont erneut ein Referendum.
    Unabhängigkeit nicht in Sicht
    Egal, ob mit oder ohne Segen aus Madrid: Gewählt werde auf jeden Fall – im Frühjahr oder Herbst, mit allen juristischen Garantien und bindenden Ergebnissen. Dafür will Katalonien einen eigenen rechtlichen Rahmen schaffen, jenseits der spanischen Verfassung. Bloß: Wie das im Detail funktionieren soll - und wie man auf die zu erwartenden, vermutlich harten Sanktionen aus Madrid zu reagieren gedenkt, sagt keiner. Bei der Suche nach internationaler Unterstützung in der Brexit-geschwächten EU war die Regionalregierung nur mäßig erfolgreich. So mehren sich auch in Katalonien die Stimmen, die von politischem Theater sprechen. Als große Illusion bezeichnet der Journalist Guillem Martínez in seinem Buch den Prozess zur Unabhängigkeit:
    "Das alles ist meiner Meinung nach keine reine Unabhängigkeitsbewegung, sondern eine Mobilisierung, eine Antwort auf die allgemeine Politik-Krise. Bisher gab es zwar viele 'historische Momente', aber nichts Konkretes. Auf politischer Ebene erscheint eine Verfassungsreform am wahrscheinlichsten – mit Fiskalpakt und irgendeiner Anerkennung der nationalen Besonderheiten. Der Unabhängigkeitsprozess als solcher nähert sich seinem Ende.Das wird episch."
    Sowohl ein möglicher Amtsausschluss von Artur Mas, der bei möglichen Neuwahlen mit einer erneuten Kandidatur liebäugelt, wie auch ein Urteil gegen die amtierende Parlamentspräsidentin Carme Forcadell, eine der Symbolfiguren der Unabhängigkeitsbewegung, könnte für Dramatik bei diesem epischen Ende sorgen. Doch der zu erwartenden Verve der Demonstrationen zum Trotz: Eine unabhängige katalanische Republik ist auf der iberischen Halbinsel vorerst nicht in Sicht, ein Lösung der verfahrenen Situation ebensowenig.