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Katalonien-Konflikt
Der Kampf um Unabhängigkeit geht weiter

Nach dem Unabhängigkeitsreferendum und der Flucht von Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont nach Belgien ist es ruhig geworden um Katalonien. Aber der Konflikt schwelt weiter und könnte am Freitag wieder hochkochen - dann will das spanische Kabinett in der Region tagen.

Von Hans-Günter Kellner | 20.12.2018
    Die spanische und katalonische Fahne: Kommt hier bald noch Fahne der Region "Tabarnia" hinzu? Das hoffen die Initiatoren einer Online-Kampagne.
    Die Fahnen von Spanien und der Region Katalonien auf dem Gebäude der katalanischen Regierung in Barcelona (dpa/Andrej Sokolow)
    Für die Hausärzte in Katalonien geht es so nicht mehr weiter. Sie wollen mindestens zwölf Minuten Zeit für jeden Patienten haben, doch die katalanische Regionalregierung habe die Gesundheitsausgaben in den letzten Jahren um zehn Prozent gekürzt, protestierte eine Ärztin bei einer Demonstration vor wenigen Wochen.
    Aber der katalanische Regierungschef Quim Torra setzt andere Prioritäten: Man solle sich auf das Wesentliche konzentrieren, sagte er darauf, auf den Kampf um die Unabhängigkeit. Den Weg dorthin weise Slowenien: "Den Slowenen war ganz klar: Schreiten wir voran zur Freiheit. Mit allen Konsequenzen. Machen wir es wie die Slowenen."
    Allerdings wurde Slowenien 1991 erst nach einem kurzen Krieg mit Jugoslawien unabhängig, dabei starben mehr als 60 Menschen. Der spanische Politikwissenschaftler Fernando Vallespín betont, Quim Torra habe vermutlich gar nicht gewusst, wovon er sprach.
    Grund zur Sorge sieht er dennoch: "Torra gab zu verstehen, dass es ohne Tote keine sogenannte Freiheit gibt. So etwas ist zum ersten Mal zu hören, das ist ein Paradigmenwechsel. Bislang war ja von einem Spaziergang in die Unabhängigkeit die Rede. Jetzt haben sie gemerkt, dass das nicht möglich ist, und haben sich radikalisiert."
    Das Separatisten-Lager ist gespalten
    Denn neben den friedfertigen Organisationen im separatistischen Lager, zu denen prinzipiell auch Quim Torras Partei gehört, gibt es inzwischen auch autonome Gruppen, die hin und wieder Autobahnen oder Zuggleise besetzen, an öffentlichen Gebäuden spanische Hoheitssymbole entfernen oder bei Demonstrationen die katalanische Polizei angreifen. Das spaltet das separatistische Lager, sagt Fernando Vallespín:
    "Die große Mehrheit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist gegen Gewalt. Die wichtigste Unabhängigkeitspartei, die Republikanische Linke, tritt sogar für Gespräche mit der spanischen Regierung ein. Aber es gibt eben auch andere Leute, für die das Ziel alle Mittel rechtfertigt."
    Nun sind auch Demonstrationen gegen eine Sitzung des spanischen Kabinetts am Freitag angekündigt. Der spanische Premier Pedro Sánchez will seine Minister nicht wie sonst üblich in Madrid, sondern in Barcelona versammeln - wie schon im Oktober in Sevilla. Was für den Sozialisten ein Zeichen guten Willens ist, spiegelt für Quim Torra eine koloniale Haltung gegenüber Katalonien wider.
    Die sozialistische Regierung leidet unter dem Konflikt
    Quim Torra sieht auch keine Möglichkeit, den Haushalt der spanischen Regierung zu unterstützen, auch wenn der Entwurf mehr Steuermittel für die Regionen vorsieht. Landesweite Neuwahlen wären die Folge. Für den Politologen Fernando Vallespín ist die Lage aussichtslos:
    "Dieses Bild von einer spanischen Regierung, die in der Hand der katalanischen und baskischen Unabhängigkeitsbewegungen ist, schadet den Sozialisten sehr. Das Katalonien-Thema war schon Anfang des Monats bei ihrer Wahlniederlage in Andalusien entscheidend. Ein Teil der Wähler der Sozialisten honoriert zwar noch die wiederholten Gesprächsangebote von Pedro Sánchez, aber wenn die andere Seite das immer wieder ablehnt, müssen die Sozialisten ihre Haltung ändern."
    Aber noch ist es nicht soweit. Nach langen Verhandlungen ist Quim Torra zu einem Treffen mit dem spanischen Regierungschef im Vorfeld der Kabinettssitzung in Barcelona bereit. Doch dabei drohen weitere Konflikte. Denn der Katalane will neben dem Selbstbestimmungsrecht auch die Situation der sieben katalanischen Politiker ansprechen, die seit einem Jahr wegen des Unabhängigkeitsprozesses in Untersuchungshaft sind und denen die Anklage Rebellion zur Last legt. Vier von ihnen haben vor zwei Wochen einen Hungerstreik begonnen. Sie werfen dem spanischen Verfassungsgericht vor, ihre Haftbeschwerden zu verschleppen. Die mündliche Verhandlung soll nach dem Jahreswechsel vor dem Obersten Gerichtshof beginnen.