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Katalonien
"Rajoy ist am Schachzug"

Nach der inoffiziellen Volksbefragung für eine Unabhängigkeit Kataloniens fordert die frühere spanische EU-Parlamentarierin Barbara Dührkop ein richtiges Referendum. Dazu müsse die Regierung die Verfassung ändern, sagte Dührkop im Deutschlandfunk. Ministerpräsident Rajoy könne das Thema nicht vor sich herschieben.

Barbara Dührkop im Gespräch mit Dirk Müller | 11.11.2014
    Demonstration von katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern
    Wie geht es nach dem Referendum in der spanischen Region Katalonien weiter? (ap / Quique Garcia)
    Nach Ansicht von Dührkop sei das Erreichen einer vollkommenen Unabhängigkeit aber schwierig zu erreichen. Sie sei vielmehr dafür, eine Verfassungsänderung im Sinne eines Föderalstaates vorzunehmen, sagte Dührkop, die zwischen 1987 und 2009 für die Sozialistische Arbeiterpartei im Europäischen Parlament saß. Allerdings seien die Fronten verhärtet. Ministerpräsident Mariano Rajoy habe die Tür zu Verhandlungen zugemacht. Zudem mache er keine klaren Botschaften.
    Kataloniens Regierung sieht sich nach der inoffiziellen Volksbefragung in ihrem Streben nach Unabhängigkeit für die Region im Nordosten Spaniens bestärkt. An der Wahl hatten sich am Wochenende etwa 2,3 Millionen Stimmberechtigte beteiligt. Davon votierten 80,8 Prozent für die Unabhängigkeit. Die Wahlbeteiligung war aber relativ gering.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Mit dem demokratischen Selbstverständnis ist das so eine Sache, wenn sich eine Region auf die Fahnen geschrieben hat, unabhängig werden zu wollen. Das war immer in der Geschichte so, denken wir gar nicht weit zurück, zum Beispiel an das ehemalige Jugoslawien. Die Schotten sind jüngst immerhin so weit gekommen, darüber abstimmen zu können. Es fehlte schlicht dann doch die Mehrheit, sich von London lösen zu wollen. Vorhanden ist diese Mehrheit aber offenbar in Katalonien. 80 Prozent haben für ein freies, unabhängiges Katalonien gestimmt an diesem Wochenende, in einer Volksbefragung oder auch Abstimmung, die inoffiziell war, weil die spanischen Verfassungsrichter ein Referendum verboten hatten, unterstützt dabei von der Regierung in Madrid.
    Dennoch ein klares Votum für die demokratischen Separatisten, die weitermachen wollen, die es möglich machen wollen, eigenständig und souverän zu werden. - Am Telefon ist nun die spanische Politikerin Barbara Dührkop, viele Jahre Europaabgeordnete für die spanischen Sozialisten. Sie wohnt im Baskenland in San Sebastian. Guten Morgen.
    Barbara Dührkop: Ja, guten Morgen.
    Müller: Ich möchte keinen Fehler machen, ich sage das noch mal. Wir erreichen Sie im Baskenland in San Sebastian?
    Dührkop: Ja, so ist es.
    Müller: Sind Sie auch Separatistin?
    Dührkop: Nein, bin ich nicht. Ich möchte zu Katalonien erst mal sagen: 80 Prozent haben zwar mit Ja gestimmt, aber zur Wahl sind nur zwei Millionen Katalanen von sechs Millionen Stimmberechtigten gegangen.
    Müller: Das ist so wie bei Barack Obama. Den haben auch nur 50 Prozent gewählt.
    Dührkop: Genau. Und da muss man sich fragen, ob das ein Wahlergebnis ist, was man so hinnehmen kann, dass eine Mehrheit dafür gestimmt hat. Das das eine sehr schlechte Situation, eine schwierige Situation ist, das möchte ich aber nicht verneinen.
    "Viele Fragen sind ungeklärt"
    Müller: Frau Dührkop, warum ist das so schwierig, das anzuerkennen, dass offenbar - ich habe ja gesagt: Offenbar - die Mehrheit dafür ist in Katalonien?
    Dührkop: Wenn wir sagen, dass man über mehr Rechte oder mehr Selbstregierung abstimmen könnte, da steht auch nichts dem entgegen. Man kann ja auch Verfassungsänderungen machen.
    Aber unabhängig zu sein, das ist schon, ich meine, etwas schwieriger. Da werden auch sehr viele falsche Botschaften verteilt, zum Beispiel dann bleiben wir in Europa selbstständiger Staat und so weiter. Da gibt es so viel zu klären.
    Ich weiß nicht richtig, da bin ich mir etwas unsicher: Wie macht man das, wenn es tatsächlich eine absolute Mehrheit ist? Das müsste man vielleicht klären, weil an Stimmzahlen ist es weniger als bei den Wahlen zur autonomen Regierung gewesen.
    Müller: Aber das war ja auch nur eine freiwillige Wahl. Das heißt, es hat vielleicht ja auch nicht jeder ernst genommen und hat gesagt, brauchen wir sowieso nicht hingehen, weil es ja nicht anerkannt wird.
    Dührkop: Genau! Und deswegen müsste man vielleicht versuchen, dass Madrid einlenkt und sagt, dass wir ein echtes Referendum machen ja oder nein. Hier waren die Fragen ja etwas obskurer auch, kann man sagen, dass man es ein bisschen vertuschen konnte vor dem Verfassungsgerichtshof.
    Aber vielleicht müsste man oder sollte man auf jeden Fall. Rajoy, der ja nichts sagt - das ist ja so bei ihm Gang und Gäbe -, macht ja keine klare Botschaft. Man kann es ja nicht einfach so vor sich hingehen lassen, dass daraus nichts wird. Ich glaube, Spanien muss sich, wie die Sozialisten auch vorschlagen, die Verfassung angucken und schauen, welche Verfassungsänderung man machen könnte, damit man da tatsächlich zu einem Stimmungswandel kommen könnte.
    Müller: Das heißt, Sie wären da schon parlamentarisch bereit, wenn Sie jetzt Mitverantwortung tragen würden, immer noch mittragen würden, in Madrid zu sagen, wir müssen ein Referendum, eine gültige, rechtlich einwandfreie Volksbefragung einräumen, möglich machen?
    Dührkop: Ich bin absolut dafür und das sagt ja auch der neue Chef der Sozialisten, dass man vielleicht irgendwie eine Verfassungsänderung im Sinne eines Föderalstaates machen müsste. Aber wenn man sich so verhärtet auf zwei Positionen - zurzeit sieht es so aus, als würde Artur Mas, der Regierungspräsident von Katalonien, auch nicht mit Rajoy richtig ernst sprechen wollen. Aber wer jetzt hier, ich sage mal, die Tür zugemacht hat, das ist wohl mehr oder weniger der Regierungschef von Spanien.
    Jetzt ist er aber am Schachzug, jetzt muss er was sagen.
    Müller: Ist das in Ihrem Sinne ein demokratisches Selbstverständnis, dass eine Regierung in Madrid blockiert, alles verhindert, alles verbietet und dann vielleicht - das ist jetzt meine Frage - den Wunsch, den Drang nach Souveränität, nach Veränderung nur noch bestärkt in Katalonien?
    Proteste werden friedlich bleiben
    Dührkop: Das glaube ich sicher. Ich meine, zum Beispiel ist man im Baskenland klüger, weil die haben ja hier nicht mitgemacht. Die haben ja gesagt, das ist nicht der Weg, den wir machen wollen. Wir wollen zuerst verhandeln und schauen, wie wir weitergehen. Aber vom demokratischen Verständnis her von der Regierungspartei in Madrid betrachtet, alles was jetzt hier in Spanien passiert, da kann man wohl daran zweifeln.
    Müller: Wenn dieser Volkswille in Katalonien, wie immer er jetzt auch festgestellt worden ist, ob diese 50 Prozent oder diese zwei Millionen, von denen Sie gesprochen haben, 80 Prozent Zustimmung immerhin bei dieser Befragung, bei dieser Umfrage - inwieweit das mehrheitsfähig wäre im Falle einer offiziellen Befragung beziehungsweise eines offiziellen Referendums, sei jetzt mal dahingestellt -, wenn das nicht passiert, wenn Madrid nicht auf Barcelona oder auf die Katalanen zugeht, besteht dann die Gefahr, dass diese gewaltfreie, friedliche Demonstration, diese Proteste, diese Wünsche irgendwann gewaltbereit werden?
    Dührkop: Das glaube ich nicht. Da habe ich eigentlich keine Angst. Das wäre wohl etwas zu weit zurückzugehen in den Zeiten. Aber ich glaube, das Erste, was passieren wird, dass zur Wahl aufgerufen wird, aber allgemeine Wahl, und daraus zu sehen, wie wir weitergehen.
    Aber Katalonien hatte ja mal so was Ähnliches wie die ETA im Baskenland. Die sind aber schnell verschwunden, weil da ist eine andere Auffassung in Katalonien. Und Sie sagten ja auch, es war friedlich bis jetzt, und da habe ich eigentlich keine Angst.
    Müller: Es gibt keine Erkenntnisse, keine Befürchtungen mit Blick auf mögliche radikale Gruppierungen und Kräfte, die das Ganze anheizen könnten?
    Dührkop: Nein, nein. Das hat man ja am Wahltag auch gesehen. Da hätte auch von der anderen Seite was kommen können. Aber die Befürchtung habe ich nicht.
    Müller: Reden wir noch mal über Unabhängigkeit allgemein. Sie haben ja zu Beginn unseres Gespräches auch gesagt, Sie können sich das schwer vorstellen. Was würde das bedeuten, Katalonien innerhalb Spaniens unabhängig. Wir haben gestern einmal auf die Liste von unabhängigen Staaten geschaut, die vorher auch gemeinsam organisiert waren: Slowakei, Tschechien, also Tschechoslowakei, ist ja ein bekanntes Beispiel. Auch der Kosovo ist ein Beispiel, was mit viel Gewalt dann erkämpft worden ist und was immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Aber beispielsweise auch Sudan und Südsudan.
    Jetzt fragen sich doch viele, die die inneren Verhältnisse in Spanien nicht kennen und sich nicht permanent mit diesen Verfassungsfragen beschäftigen: Was im Sudan möglich ist, warum ist das nicht in Spanien möglich?
    Dührkop: Das ist klar, weil die spanische Verfassung sieht ja nicht vor, dass sich ein Autonomiestaat losbrechen kann, und das ist, glaube ich, auch ein Weg, den man nicht einschlagen sollte.
    Dieses Europa der Völker halte ich für eine sehr gefährliche Angelegenheit, wenn es darum geht, die europäische Einheit zu behalten. Aber was man machen kann: Das kann ja auch sein, dass man da einrenken kann und sagen kann, machen wir ein anderes Staatsgebilde einfach. Da bin ich aber, muss ich ganz ehrlich sagen, überfragt, wie das aussehen könnte.
    "Erst einmal klären, was man in Katalonien will"
    Müller: Also ein bisschen wie Vereinigte Staaten oder in Deutschland der Föderalismus?
    Dührkop: Genau - Föderalstaat. Obwohl man auch damit einräumen muss, dass die Selbstbestimmung im Baskenland teilweise sogar mehr Selbstbestimmung hat im Baskenland als ein Bundesland über gewisse Sachen.
    Ich glaube, man muss auch mal fragen: Was wollen wir? Wenn es nur um Unabhängigkeit geht, dann muss man doch irgendwie zusammenkommen und sprechen können. Aber wenn es so sein sollte, man macht einen Typ von Föderalstaat, das muss man ja erst mal herausverhandeln und darüber sprechen, was wäre die Alternative zur Unabhängigkeit.
    Müller: Unabhängig von dieser Verfassungsfrage, von der rechtlichen Frage, ist die entscheidende Frage, die in Madrid mit Blick auf Katalonien diskutiert wird, die Frage, dass Katalonien so wirtschaftsmächtig, so wirtschaftsstark ist, zu den wichtigsten Regionen in Spanien zählt?
    Dührkop: Das halte ich jetzt von Madrid für übertrieben. Das ist natürlich ein Schlagwort, was die verwenden möchten. Aber man kann ja auch gucken: Das Baskenland ist ja auch nicht gerade arm. Das kann man nicht sagen. Ich glaube nicht, dass da die Gefahr ist, zum Beispiel von Madrid aus. Aber eher ist das Gefühl: Wenn ein Staat abbröckelt, was machen wir?
    Ich glaube, das ist wirklich die Frage: Was machen wir, wenn mehrheitlich jetzt von ganz Katalonien abgestimmt wird, dass sie unabhängig sein wollen? Hat Spanien nichts zu sagen? Haben die Basken, haben die Madrider nichts zu sagen?
    Wir sind ja alle Spanier schließlich! Ob wir dann auch mitreden sollen oder nicht? Ich glaube, da gibt es so viele Fragen, die noch beantwortet werden müssen, und sehr viel, worüber man noch sprechen muss.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk die spanische Politikerin Barbara Dührkop. Vielen Dank für dieses Gespräch nach San Sebastian, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Dührkop: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.