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Katalonienkonflikt
Ex-Minister hofft auf Neuwahlen

Zwei Namen stehen im Konflikt um die katalanische Unabhängigkeit im Mittelpunkt: der von Mariano Rajoy, dem spanischen Ministerpräsidenten, und der von Carles Puigdemont, dem katalanischen Regierungschef. Dabei sollte man sich den Namen eines dritten Mannes merken, der Wichtiges zu sagen hat: Josep Borrell.

Von Hans-Günter Kellner | 26.10.2017
    Albert Rivera (Ciudadanos), Ines Arrimadas (PP), Mario Vargas Llosa und Josep Borrell (v.l.n.r.) demonstrieren in Barcelona gegen die Unabhängigkeit Kataloniens.
    Albert Rivera (Ciudadanos), Ines Arrimadas (PP), Mario Vargas Llosa und Josep Borrell (v.l.n.r.) demonstrieren in Barcelona gegen die Unabhängigkeit Kataloniens (AFP / Jorge Guerrero)
    Er tritt in Talk-Shows auf, spricht bei Demonstrationen und schreibt Bücher. Josep Borrell schimpft auf die katalanischen Nationalisten und bezeichnet auch Rajoys Katalonien-Politik als Katastrophe. Und an alle spanischen Hitzköpfe gewandt, sagte er diese Woche in einer beliebten Talk-Show des Fernsehsenders laSexta:
    "Wir müssen unsere gegenseitige Zuneigung wiederaufbauen. Wenn wir uns nicht als Teil derselben Gemeinschaft fühlen, ist das unmöglich. Wir können nicht nur auf Verfassungen und Gesetze verweisen. Das alltägliche Zusammenleben ist zerstört. Hören Sie bitte mit dem Boykott katalanischer Produkte auf. Beginnen Sie, Brücken zu bauen. Zeigen Sie ihnen, dass Sie sie lieben."
    Zweieinhalb Millionen Zuschauer haben diese Sendung verfolgt. Viele im Land halten den Sozialisten inzwischen für den letzten Politiker mit Weitblick. Dass ein 70-jähriger Politiker im Ruhestand so engagiert um Katalonien kämpft, während die spanische Regierung stets nur juristisch argumentiert, wundert auch ihn selbst. Josep Borrell:
    "Mariano Rajoy hat das Problem unterschätzt. Er dachte, die Probleme innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung und die wirtschaftliche Erholung würden ausreichen, um die Stimmung zu beruhigen. Er hat sich ja nicht mal die Mühe gemacht, eine professionelle Kommunikationsstrategie zu entwickeln. Die Katalanen sind überzeugt, dass sie mehr Geld aus der Hauptstadt zurückbekommen würden, wenn sie wie ein deutsches Bundesland wären. Und unser Botschafter in Berlin hat nie überprüft, ob es diese Grenze von vier Prozent überhaupt gibt. Nein, sie dachten, das Ganze ist unwichtig."
    Josep Borrell widerlegt Argumente der katalanischen Separatisten
    Josep Borrell spricht von der häufig gehörten Behauptung katalanischer Nationalisten, dass deutsche Bundesländer höchstens vier Prozent mehr an den Bund zahlen müssen, als sie von ihm in Form staatlicher Investitionen zurückbekommen. Tatsächlich werden solche Statistiken in Deutschland aber gar nicht geführt, teilte der deutsche Botschafter in Madrid Josep Borrell auf Anfrage mit. Josep Borrell hatte für ein Buch diese und weitere Argumente der Unabhängigkeitsbefürworter überprüft. Für seine Haltung bezahlt der alte Sozialist einen hohen Preis. Er sagt:
    "Die Grundlage der Nationalisten ist ein Glaube, der für die Vernunft nur schwer zugänglich ist. Mir geht es so mit guten Freunden, intellektuell mindestens auf meinem Niveau. Aber wir sprechen nicht mehr miteinander. Es bringt nichts."
    60 Prozent der Katalanen beobachten neuesten Umfragen zufolge solche gesellschaftlichen Veränderungen. Josep Borrell ist kein Verfechter eines allmächtigen Zentralstaats. Er kennt das Leid der Katalanen während der Diktatur, stammt aus einem kleinen Dorf in den Pyrenäen. Seine Mutter lernte nie Spanisch, der Vater war als Soldat der Republik nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs sieben Jahre lang interniert. Josep Borrell:
    "Wir haben nur in der Schule Spanisch gesprochen. Wenn wir Katalanisch sprachen, wurden wir gezüchtigt. Die Repressionen des Franco-Regimes gegen die katalanische Sprache waren offensichtlich. Aber heute von einer Unterdrückung der Katalanen zu sprechen, ist absurd. Trotzdem wird Spanien heute mit der Franco-Diktatur gleichgesetzt."
    "Neuwahlen können eine Chance sein"
    Josep Borrell ist nicht gegen den gefürchteten Verfassungsartikel 155. Jeder Föderalstaat benötige ein solches Instrument, wenn eines seiner Mitglieder offen gegen die Verfassung handele. Er hofft aber auch, dass der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont Neuwahlen ausruft. Spaniens Zeitungen spekulieren zwar, Madrid könne trotz Neuwahlen die katalanische Autonomie zeitweise aussetzen, doch Josep Borrell hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben:
    "Ich weiß nicht, was die Regierung vorhat. Bislang bin ich davon ausgegangen, Neuwahlen wären ein Notausgang. Wenn sie denn formal korrekt ausgerufen werden, wären sie eine Chance, die man nicht leichtfertig vergeben sollte."