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"Katar alles andere als ein Fußballland"

Die Fifa hat entschieden: 2018 geht die Fußball-WM nach Russland, 2022 nach Katar. Rainer Holzschuh, Herausgeber des "Kicker", ist "mit Katar wirklich alles andere als einverstanden" - und glaubt an eine freundliche und nette WM in Russland.

Rainer Holzschuh im Gespräch mit Dirk Müller | 03.12.2010
    Showmaster Harald Schmidt: "Es ist so kalt, in Zürich sind vielen FIFA-Funktionären die Hände an den Umschlägen festgeklebt. – Und: Haben Sie es gehört, wo die WM hingeht? 2018 Russland und 2022 nach Katar. Glückwunsch! Es geht auch ohne Korruption."

    Dirk Müller: So sieht das zumindest Harald Schmidt. – Russland 2018, Katar 2022. Wie sieht das der Herausgeber des "Kicker", Rainer Holzschuh? Das wollen wir ihn nun fragen. Guten Morgen!

    Rainer Holzschuh: Einen schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Holzschuh, muss das sein?

    Holzschuh: Ja, das ist die große Frage, die wir uns natürlich alle stellen. Mit Russland kann ich ja noch einigermaßen leben, weil Russland ja eine Fußballnation ist und Russland noch nie eine Welt- oder Europameisterschaft ausgerichtet hat. Aber die Probleme beginnen ja schon bei denen bei den großen Entfernungen.
    Mit Katar, da habe ich so ein bisschen Bauchgrimmen, weil Katar ja nun alles andere als ein Fußballland ist und innerhalb von 50 Kilometern die gesamte Welt des Fußballs zusammenzuholen bei 50 Grad Außentemperaturen, da wird es natürlich ein bisschen kritisch.

    Müller: 50 Grad Außentemperatur, vielleicht war das jetzt ein bewusstes Signal in Richtung Weltklimagipfel nach Cancun.

    Holzschuh: Das kann man vielleicht auch so sagen. Aber wenn, dann wird es ja noch eher heißer werden als kühler, aber wir haben ja schon alles Mögliche erlebt bei Weltmeisterschaften. In Mexiko zum Beispiel 1970 oder 1986, da hat man ja mittags gespielt, in der Mittagshitze auch bei über 40 Grad. Und da gab es für die Spieler keine Möglichkeiten mit der Klimaanlage, wie das ja nun die Araber tun wollen. Also es hat im Fußball schon alles Mögliche gegeben und auch das werden wir alles nicht nur überleben, sondern wir werden uns vielleicht sogar an der Weltmeisterschaft freuen.

    Müller: Die Freiluftstadien in Katar sollen ja tatsächlich mit einer Klimaanlage ausgestattet werden. Herr Holzschuh, heißt das, wir haben in Wirklichkeit ein Hallenturnier?

    Holzschuh: Wahrscheinlich wird es so werden. Das ist aber auch schon passiert, dass Länderspiele in Hallen stattgefunden haben, zum Beispiel in Russland wegen der großen Kälte. Da gibt es ja riesengroße Hallen und da wird Fußball gespielt und das sogar mit Begeisterung. Und vielleicht ist ja in diesen Hallen dann auch eine ganz andere Atmosphäre und Stimmung, als wenn man in Katar dann bei offenen Stadien spielen würde, weil das kann ich mir nicht vorstellen, dass ich bei 50 Grad irgendwo eine Laola-Welle noch mache.

    Müller: Jetzt hat Katar ja weniger als zwei Millionen Einwohner. Wer soll denn da in die Stadien gehen?

    Holzschuh: Wahrscheinlich die ganzen Touristen, die man vielleicht dann auch sogar – ich weiß es nicht, aber ich kann mir das vorstellen – zu Billigstpreisen ankarren wird. Also ich bin mit Katar wirklich alles andere als einverstanden. Es ist eine Situation, die wir uns alle nicht vorstellen konnten noch vor ein, zwei Jahren, dass in einem Wüstenstaat eine Weltmeisterschaft stattfindet. Aber die FIFA hat nun mal auf Innovation gesetzt und sie will ja auch da irgendwo Fuß fassen, wo Fußball nicht Sportart Nummer 1 ist, wie zum Beispiel ja in Korea schon gewesen, wie 1994 in Amerika gewesen. Das sind ja alles Staaten, wo der Fußball fast neu erfunden werden muss oder sich erst mal breitmachen muss. Ob das nun in Katar der Fall ist, oder ob das nichts anderes als eine Trotz-WM ist, das wird man abwarten müssen.

    Müller: War das eine rationale Entscheidung der FIFA?

    Holzschuh: Es war keine Entscheidung der FIFA, sondern es war eine Entscheidung der 22 anwesenden Exekutivmitglieder.

    Müller: Der FIFA!

    Holzschuh: Da weiß man natürlich nicht, wie jeder von denen abgestimmt hat. Und ich kann auch nicht in deren Köpfe hineinschauen. Aber ich kann mir vorstellen, dass die meisten zumindest von ihnen aus lauteren Motiven gehandelt haben. Ich kenne Franz Beckenbauer persönlich, ich kenne ein paar ganz andere von den Exekutivmitgliedern auch persönlich. Und bei den meisten von ihnen bin ich mir eigentlich sicher, dass sie sich haben überzeugen lassen und nicht irgendwie haben reinquatschen lassen.

    Müller: Sie meinen, Franz Beckenbauer hat auch ernsthaft für Katar gestimmt?

    Holzschuh: Das weiß ich nicht, ob er für Katar gestimmt hat. Normalerweise kann ich mir das bei ihm nicht vorstellen. Aber er wird sich seine Gedanken gemacht haben und es standen ja Länder zur Auswahl für 2022, wo man von vornherein nicht so ganz wusste, sind das nun fußballbegeisterte Länder, was ist nun eigentlich da los. Und dann blieb vielleicht nur das kleinste Übel, der kleinste gemeinsame Nenner. Ich weiß es nicht.

    Müller: Jetzt wollen wir vielleicht nicht ganz so sachlich sein, Herr Holzschuh. Jetzt haben wir über das Phänomen Kater geredet. Aber wer um Gottes willen will in Russland Fußball spielen?

    Holzschuh: Russland ist ein Fußballland. Das darf man eigentlich nicht von der Hand weisen. In Russland wird sogar stellenweise sehr, sehr guter Fußball gespielt. Wir haben es bei Gus Schilling gesehen 2008 bei der Europameisterschaft, was da für ein Fußball gezaubert wurde in verschiedenen Spielen. Die große Gefahr ist natürlich und die großen Probleme sind die Riesenentfernungen. Russland ist ein sehr gastfreundliches Land. Wer schon in Russland gewesen ist, weiß, dass die Bevölkerung wirklich sehr, sehr freundlich und sehr nett sein kann. Und ich habe selber schon in Russland tolle Erlebnisse gehabt. Aber natürlich: Das Problem ist die Entfernung. Nur die Entfernung hatten wir in Südafrika auch und jeder hat vorher geunkt, das kann nicht hinhauen. Und es hat denn doch hingehauen und Südafrika war eine fantastische Fußballweltmeisterschaft, mit Ausnahme der Temperaturen, weil dort Winter gewesen ist. Und da haben wir nun genau das Gegenteil zu Katar in 2022. Aber bei Russland verspreche ich mir eigentlich davon, dass wir eine emotional schöne und ordentliche WM erleben, wenn das Problem des Transports gelöst wird.

    Müller: Sollten WM-Ausrichterländer auch sympathisch sein?

    Holzschuh: Sympathisch? Was ist sympathisch? Für mich sind viele Russen, die ich kenne, sympathische, aber wir haben ja alle in Zeiten des Kalten Krieges ein ganz anderes Bild von Russland gewonnen. Ich glaube schon, dass es 2018 eine freundliche, eine nette WM werden kann, unabhängig davon, ob man Sympathie für Russland hat oder nicht.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Herausgeber des "Kicker", Rainer Holzschuh. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.