Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Katarina Barley (SPD) zu Grenzschließungen
"Nationale Lösungen machen keinen Sinn"

Dass viele europäische Länder im Kampf gegen das Coronavirus ihre Grenzen abriegelten, schmerze sie nicht nur. Es sei auch fraglich, "ob das wirklich so viel bringt", sagte die Europapolitikerin Katarina Barley im Dlf. Es komme eher darauf an, dass die Menschen ihre sozialen Kontakte einschränkten.

Katarina Barley im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.03.2020
Ein Beamter der schweizerischen Grenzwache steht am Grenzübergang an der A5. In der Coronavirus-Krise führt Deutschland am Montag umfassende Kontrollen und Einreiseverbote auch an den Grenzen auch zur Schweiz ein.
Katarina Barley (SPD): Lieber soziale Kontakte vermeiden, als Grenzen dicht machen (picture alliance / Patrick Seeger)
Immer mehr EU-Staaten machen die Grenzen dicht . Erst Österreich, dann Polen, Tschechien und die Slowakei. Kurz darauf Estland, Dänemark und nun auch Deutschland - jedes Land tat dies für sich ohne Absprachen und Koordination. Im Kampf gegen das Coronavirus macht jedes EU-Land, was es für richtig hält. Was COVID-19 für den europäischen Zusammenhalt bedeutet, darüber haben wir mit der SPD-Politikerin Katarina Barley gesprochen. Sie sitzt im Europaparlament und ist eine Vizepräsidentin des Europaparlaments.
Ann-Kathrin Büüsker: Frau Barley, in Europa gehen gerade überall die Schlagbäume runter. Wie sehr schmerzt Sie das als überzeugte Europäerin?
Katarina Barley: Ja, das schmerzt mich schon, zumal sich ja die Frage stellt oder von vielen Experten die Frage gestellt wird, ob das wirklich so viel bringt, denn ob ich jetzt von Köln nach Frankfurt fahre oder von Köln nach Nimwegen in den Niederlanden, ich verbreite, wenn ich infiziert bin, das Virus weiter, und die meisten Staaten sind ja ähnlich betroffen. Dass es Sinn macht, zu besonders stark betroffenen Gebieten Einreisesperren zu errichten, das ist unbestritten. Ob das jetzt unbedingt nationale Grenzen sind, da kann man sicherlich drüber streiten.
Lungenkrankheit COVID-19 - Wie gefährlich ist das neue Coronavirus?
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter – auch in Deutschland. In fast allen Bundesländern schließen daher ab der kommenden Woche flächendeckend Schulen und Kindertagesstätten.
Büüsker: Wenn Sie darüber streiten wollen, gucken wir doch auf die deutschen Entscheidungen, die Grenzen nach Frankreich, Dänemark, in die Schweiz, nach Österreich und nach Luxemburg dichter zu machen, nicht komplett dicht, aber doch deutlich dichter. Ist das dann eine richtige Entscheidung?
Barley: Dänemark hat das ja von der anderen Seite aus schon getan. Ich bin nun keine Virologin. Dass Österreich und Italien besonders stark betroffen sind, das ist klar, dass in die Richtung die Grenzen weniger durchlässig sein können, das leuchtet mir ein. Bei den anderen: Frankreich hat eine ähnlich hohe Fallzahl wie Deutschland. Wie gesagt: Ich glaube, dass es eher darauf ankommt, dass die Menschen tatsächlich die sozialen Kontakte einschränken. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wenn sie in ihrem eigenen Nationalstaat bleiben, dort aber die Partys weitergehen und die Schulen geöffnet bleiben, dann ist sicherlich keinem geholfen.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Büüsker: Geht es bei den Grenzschließungen, nenne ich sie jetzt mal, auch ein bisschen darum, das Sicherheitsgefühl vieler Menschen zu bestärken, zu sagen, wir tun was, auch wenn es vielleicht jetzt nicht die unmittelbare Wirkung hat, aber wir versuchen, euch zu schützen?
Barley: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, würde ich sagen. Wie gesagt: Es gibt Gebiete mit besonders hohen Fallzahlen. Da macht es total Sinn. Ansonsten zwischen Ländern mit ähnlich hohen Fallzahlen kann ich das zumindest nicht erkennen, aber wie gesagt, das ist jetzt eine politische Sicht. Die Virologen sagen, möglichst viel zuhause bleiben, natürlich zwischendurch mal spazieren gehen, an die frische Luft, aber möglichst wenig soziale Kontakte, und darauf kommt es an.
Genug der Verunsicherung auch durch soziale Netzwerke
Büüsker: Wir sind ja heute Morgen auch zusammengekommen, um die politische Dimension dieses Themas zu besprechen. Gucken wir vielleicht auf den freien Warenverkehr, den die EU-Kommission jetzt auf jeden Fall angesichts dieser Grenzkontrollen sichern will. Kann die EU-Kommission dafür garantieren, dass die Waren weiterhin frei fließen können in Europa?
Barley: Da scheint mir zwischen den Mitgliedsstaaten Einvernehmen zu bestehen. Auch dort, wo sehr drastische Maßnahmen ergriffen werden, hat ja jedes Land ein Interesse daran, dass die Regale gefüllt bleiben. Wir haben genug dieser Verunsicherung der Bevölkerung auch durch die sozialen Netzwerke, dass Engpässe auftreten könnten. Bisher ist nach meiner Kenntnis jeder Supermarkt wieder aufgefüllt worden, wenn die Regale leer waren. Da hat jeder Mitgliedsstaat ein ganz eigenständiges Interesse dran. Das wird sicherlich so bleiben.
Büüsker: Ich habe jetzt bei Ihnen eine gewisse Skepsis über generelle Grenzkontrollen beziehungsweise generelle Grenzschließungen herausgehört. Das ist ja ein Instrument im Prinzip der Abschottung, wie es viele Staaten auch in Zeiten der Flüchtlingskrise gefordert haben. Da hat die EU-Kommission immer wieder versucht, Grenzkontrollen zu verhindern. Wie sehr befürchten Sie, dass angesichts dieser Krisensituation, die jetzt durch Corona ausgelöst wird und durch diese Abschottungstendenzen, der Nationalismus in Europa noch mal mehr zunimmt?
Barley: Das Argument wird ja von denen, die daran Interesse haben, schon bemüht. Jetzt geht das auf einmal. Die Lage ist natürlich eine völlig andere. Wir haben jetzt relativ wenig Menschen, die sich von A nach B bewegen und bewegen wollen. Wir haben auch keine Abriegelung von Grenzen. Wenn jetzt jemand, der nicht über einen Grenzübergang kommt, sich irgendwo durch einen Wald schlägt, dann wird der wahrscheinlich auch in das entsprechende Land gelangen. Da werden jetzt keine Zollbeamten oder Bundespolizisten ein dichtes Abriegeln der Grenze vornehmen, sondern das sind Kontrollen an Grenzübergängen, die hier passieren. Die Lage ist überhaupt nicht vergleichbar.
"Atemschutzmasken braucht ja der normale Mensch nicht"
Büüsker: Trotzdem ist ja das politische Symbol, dass jeder diese Krise für sich regelt, dass da jeder sein eigenes Brötchen backt, jeder die eigene Suppe kocht. Wie groß ist denn das Risiko, dass das auch nach der Krise bleibt, dass jeder für sich bleibt?
Barley: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Ich glaube, dass wir aus dieser Krise jetzt noch mal lernen müssen, wie wir aus jeder Krise lernen, nämlich dass auch hier nationale Lösungen keinen Sinn machen. Wir haben das insbesondere im Hinblick auf die Hilfsgüter gemerkt. Das haben Sie ja auch in dem Beitrag so berichtet, dass natürlich jedes Land erst mal schaut, ich muss meine Infrastruktur hier aufrecht erhalten, meine Krankenhäuser, die Menschen, die in den entsprechenden Berufen arbeiten, die brauchen zum Beispiel diese Atemschutzmasken. Die braucht ja der normale Mensch nicht. Diese Viren sind ja nicht in der Luft, sondern die werden übertragen durch Kontakt. Deswegen brauchen normale Menschen gar keine Atemschutzmasken, wenn sie nicht entweder selber infiziert sind, oder mit Patienten in Kontakt sind und die betreuen müssen. Da horten jetzt alle möglichen Leute diese Atemmasken und die Krankenhäuser und Altenheime haben keine mehr. So was will natürlich jedes Land verhindern.
Eine Infektiologin in Schutzausrüstung steht mit vorgefertigten Fragebögen in der Eingangstür der Corona-Ambulanz an der Uniklinik Dresden.
Coronavirus - Infektiologe: Schutzkleidung dringend benötigt
Bei hoher Qualität der medizinischen Versorgung lasse sich der Tod vieler Menschen durch das Coronavirus vermeiden, sagte der Infektiologe Gerd Fätkenheuer im Dlf. Derzeit fehlten jedoch Schutzmaterialien für medizinisches Personal.
Büüsker: Und Italien bekommt Masken aus China und nicht aus Europa. Das ist doch ein fatales Zeichen!
Barley: Nach meiner Kenntnis hat es schon auch Lieferungen aus Europa gegeben, gerade nach Italien. Genau das ist ein fatales Zeichen. Es muss dafür gesorgt werden, dass diese überlebensnotwendigen Dinge solidarisch verteilt werden, und zwar sowohl innerhalb eines Landes als auch innerhalb der Europäischen Union. Da muss aber wie gesagt auch die Normalbevölkerung, da müssen wir alle auch einen Beitrag zu leisten, dass jetzt hier nicht Dinge gehortet werden von Menschen, die das wirklich nicht brauchen.
Büüsker: Die EU-Kommission versucht das jetzt ja auch, auf diesem Wege für gemeinsame Solidarität zu werben. Insgesamt hat man aber ein bisschen das Gefühl, dass das, was die EU-Kommission jetzt macht, vielleicht auch schon etwas eher hätte kommen können. Wurde Brüssel da ein bisschen überrumpelt?
Barley: Wenn man sieht, wie lang das bei den Mitgliedsstaaten gedauert hat, bis sie reagiert haben – klar kann man immer sagen, es hätte früher kommen können. Ich finde schon, dass man bei der Kommission auch etwas früher hätte reagieren können, ja, aber es geht auch darum zu sehen, was kriegen die Mitgliedsstaaten alleine nicht hin. Da hat sich herausgestellt, dass insbesondere bei der Verteilung von lebensnotwendigen Gütern das untereinander nicht klappt, und dass die Kommission da eingreift, ist sicherlich der richtige Schritt.
Büüsker: Als Europapolitikerin sind Sie ja auch viel unterwegs. Wie tragen Sie selbst dazu bei, das Virus nicht weiter zu verbreiten?
Barley: Ja, ich bewege mich hier jetzt seit einer Woche auch wenig raus. Gestern zum Beispiel gar nicht. Das ist sicherlich auch nicht gut. Hin und wieder frische Luft schnappen und ein bisschen spazieren gehen, das sollte man schon tun. Aber wir haben einmal groß eingekauft und sind jetzt seit einer Woche im Grunde genommen fast nicht rausgegangen, und das werden wir sicherlich auch so beibehalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.