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Katastrophenhelfer: Es handelt sich um ein Jahrhunderthochwasser

Aus Sicht von Gerd Friedsam, Vizepräsident des Technischen Hilfswerks, sind die richtigen Vorkehrungen für das Jahrhunderthochwasser getroffen worden. An einigen Stellen müssten die Schwächen des Systems aber noch abgestellt werden.

Gerd Friesam im Gespräch mit Dirk Müller | 03.06.2013
    Dirk Müller: Mitgehört hat am Telefon Gerd Friedsam, Vizepräsident des Technischen Hilfswerks (THW). Guten Tag nach Bonn.

    Gerd Friedsam: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Friedsam, bei Ihnen laufen alle Daten, laufen alle Informationen zusammen. Ist das jetzt schon wieder ein Jahrhunderthochwasser?

    Friedsam: Nach den bisherigen Erkenntnissen und im Vergleich zu den bisherigen Hochwassern – wir haben ja auch in anderen Situationen schon von Jahrhunderthochwassern gesprochen – ist auf dem derzeitigen Stand davon auszugehen, dass es für bestimmte Bereiche ein Jahrhunderthochwasser sein wird, begründet dadurch auch, dass in bestimmten Bereichen, beispielsweise in Passau, ja historische Höchststände erreicht werden, die diesen Begriff dann auch zulassen.

    Müller: Wir haben heute Morgen in der Redaktion darüber diskutiert. In einigen Zeitungsartikeln und Kommentaren ist ja schon wieder davon die Rede von diesem Jahrhunderthochwasser. Und dann sagen viele, auch Experten, macht jetzt hier keine Panik, erst mal die ganze Arbeit erledigen. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das schon wieder eine große neue Dimension.

    Friedsam: Was man aus den vergangenen Jahrhunderthochwassern – ich will diese Reihe einfach auch so nennen – gelernt hat, sind viele Dinge, die sich jetzt auch bezahlt machen, beispielsweise im Bereich des Managements von solchen Katastrophen, aber auch in den ganzen Maßnahmen, die in der Zwischenzeit im Hochwasserschutz ergriffen worden sind. Das macht sich jetzt bezahlt und das ist auch deutlich zu erkennen.

    Müller: Wir haben eben Beispiele gehört unseres Korrespondenten. Er hat Dillingen als ein gutes Beispiel genannt, Stichwort Rückhaltebecken. Er hat andere kleinere Regionen genannt mit mobilen Spundwänden, die versuchen, spontan dementsprechend zu helfen. Regensburg ist wiederum ein Gegenbeispiel. Warum haben diese Maßnahmen offenbar gerade in den vermeintlichen Brennpunkten nicht flächendeckend gegriffen?

    Friedsam: Zunächst würde ich auf diese positiven Aspekte gerne eingehen wollen. Ja, man hat in bestimmten Bereichen, die in der Vergangenheit Brennpunkte waren, Deiche verstärkt oder erhöht. Man hat Wasserschutzwände angeschafft und in den Hochwasserschutz entsprechend investiert. Wir haben als Technisches Hilfswerk aus der Hochwasserkatastrophe an der Oder 1997 gelernt, dass wir stärkere Schmutzwasserpumpen brauchen, die dann entwickelt worden sind, erstmalig eingesetzt werden konnten 2002 an der Elbe, aber auch darüber hinaus beispielsweise nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans im Jahre 2006. Das sind Erkenntnisse, die man gewinnt aus vergangenen Katastrophen, und das muss auch in diesem Fall letzten Endes wieder nach der Katastrophe im Vordergrund stehen, genau diese Erfahrungen aufzuzeigen, was müssen wir in bestimmten Bereichen, die vielleicht jetzt nicht so im Fokus waren, noch tun. Ich glaube, da sind wir, was die vergangenen Ereignisse angeht, auf einem wirklich sehr guten Weg.

    Müller: Herr Friedsam, die Frage war aber: Warum hat das System in bestimmten Regionen, in bestimmten Abschnitten jetzt immer noch versagt?

    Friedsam: Sie haben ja auch entsprechend berichtet, dass es in vielen Bereichen zu neuen Höchstständen, neuen Dimensionen der Überschwemmungen letzten Endes gekommen ist, und das, wie gesagt sind aus meiner Sicht die Punkte, die jetzt aufgegriffen werden müssen. Dort haben wir noch nicht richtig erkannt gehabt, was die Vorsorge angeht oder die Schwächen, die das System noch hat, und die müssen abgestellt werden.

    Müller: Jetzt sprechen Sie von "wir". Wer ist dafür mit verantwortlich, es nicht früh genug und nicht zeitig genug zu erkennen?

    Friedsam: Wenn ich von "wir" spreche, dann sind wir sozusagen im Team, das sich letzten Endes mit der Vorbereitung auf große Katastrophen beschäftigt. Das sind in erster Linie die Kommunen, sprich die Gemeinden, Städte, Landkreise, die Bundesländer und dann wir auch als Bundesorganisation, die entsprechend unterstützende Kapazitäten zur Verfügung stellen. Das alles ist ein System der Gefahrenabwehr, das ineinandergreift, und insofern werden wir auch alle diese Bereiche entsprechend nachbereiten und unsere Erkenntnisse daraus ziehen.

    Müller: Herr Friedsam, reden wir noch einmal über das Eingemachte. Sie haben das gerade angedeutet, welche Akteure daran beteiligt sind. Hat es genügend Unterstützung vonseiten der Politik gegeben?

    Friedsam: Ich denke, nach den Ereignissen aus den vergangenen Katastrophen dieser Art sind viele entsprechende Initiativen unternommen worden. Wir alleine beim Technischen Hilfswerk nach der Katastrophe im Jahre 2002 haben ein Hochwasserschutzprogramm aufgelegt, das mehrere zehn Millionen Euro umfasst hat, und hier hat die Politik sehr schnell erkannt, dass hier entsprechend zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden müssen, und das ist dann auch erfolgt. Das ist dann letzten Endes auch eine Wirkung, die sich heute bei diesem Hochwasser ergibt.

    Müller: Das Technische Hilfswerk ist ja weltweit engagiert, aber natürlich auch in Deutschland und gerade nach dem letzten Jahrhunderthochwasser, Oder-Hochwasser. Das ist uns allen noch ein Begriff, noch allen vor Augen, den meisten, die das vor den Fernsehbildschirmen stündlich und täglich verfolgt haben. Wo gibt es immer noch aus Ihrer Sicht Hürden, die überwunden werden müssen? Wo hakt es?

    Friedsam: Es gibt im Moment aus meiner Sicht keine unüberwindbaren Hürden. Wir sind in Deutschland, was das integrierte Hilfeleistungssystem angeht, so gut aufgestellt, dass ich hier auch sagen kann, das sucht seinesgleichen in der Welt.

    Müller: Gerd Friedsam bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk, Vizepräsident des Technischen Hilfswerks. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Friedsam: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.