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Katholikentag ist bloß "ein großes Festival mit viel Musik und Liturgie"

Der Jesuit Friedhelm Hengsbach vermisst am kommenden Katholikentag "die politische Orientierung". Der Kirchentag verkomme zum "Event". Themen wie die sexuellen Übergriffe kirchlicher Amtsträger oder die Rolle der Frau in der Kirche würden in Mannheim ausgespart.

Dirk-Oliver Heckmann sprach mit Friedhelm Hengsbach | 16.05.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Einen neuen Aufbruch wagen, so lautet das Motto des 98. Katholikentags, der heute in Mannheim eröffnet wird und zu dem mehr als 50.000 Teilnehmer erwartet werden, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert. Nach dem Willen Alois Glücks, des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, soll das Treffen Möglichkeiten zum offenen Dialog bieten. Gut möglich aber, dass eher alte Streitthemen wieder aufbrechen. Kritiker des Vatikan und Teile der Kirchenbasis wie Kirche von unten und "Wir sind Kirche" nämlich sind weiter unzufrieden über den Kurs der Kirche unter Papst Benedikt XVI. Sie halten das Treffen für eine Farce und bieten ein Alternativprogramm an, auf dem wenig gelittene Theologen wie Eugen Drewermann zu Wort kommen werden. Eröffnet wird dieses Alternativprogramm von dem Sozialethiker und Jesuiten Professor Friedhelm Hengsbach, schönen guten Tag!

    Friedhelm Hengsbach: Guten Tag, Herr Heckmann, ich grüße Sie!

    Heckmann: Herr Hengsbach, der Kirchentag bietet tausendfache Möglichkeiten zum Dialog. Weshalb schließen Sie sich selbst aus?

    Hengsbach: Ja, es gibt zwar 1200 Veranstaltungen, die auf einem 600-seitigen Programm aufgelistet sind, aber es werden bestimmte Themen einfach zugedeckt in dieser Vielzahl der Angebote. Und dieser Alternativkatholikentag oder, man könnte sagen, das Alternativprogramm des Katholikentags, das setzt einige Schwerpunkte. Einmal, dass, wie Sie eben schon gesagt haben, bestimmte Autoren dort zur Sprache kommen, die sonst auf dem offiziellen Kirchentag nicht eingeladen sind. Also, ich spreche übrigens auch auf dem offiziellen Katholikentag, aber zum Beispiel Herr Hering oder Herr Drewermann und Herr Schüller aus Österreich, die kommen da natürlich nicht vor. Es werden einige Themen zugespitzt. Also beispielsweise das schwarze Jahr der sexuellen Übergriffe und der gewalttätigen Übergriffe kirchlicher Amtsträger. Und es wird nicht nur nach Tätern und Opfern gefragt, sondern in erster Linie werden die strukturellen Voraussetzungen, der strukturelle Hintergrund zunächst einmal beleuchtet, weshalb eben solche Dinge in einem kirchlichen Milieu, in einem abgeschlossenen kirchlichen Milieu vorkommen.

    Heckmann: Und das passiert auf dem Kirchentag aus Ihrer Sicht selbst nicht oder nicht genügend?

    Hengsbach: Nicht in dem Ausmaß. Also, es sicher eine Veranstaltung vorgesehen, aber auch sehr in kleinem Kreis, über diese Frage zu sprechen. Der Kirchentag hat ja, ich würde mal sagen, zwei Seiten. Der Erzbischof Zollitsch hat von einem Fest des Glaubens gesprochen, also, es wird ein Event. Es wird, wie also nach der Papstparade im vorigen Jahr wird es also jetzt ein großes Festival mit viel Musik und Liturgie und Gottesdiensten und spirituellen Angeboten sein. Was mir fehlt, ist eigentlich die politische Orientierung des Katholikentages.

    Heckmann: Wie sollten sich denn die katholische Kirche und deren Mitglieder politisch orientieren?

    Hengsbach: Es werden tatsächlich Angebote in jeder Richtung gebracht. Also, alles, was gegenwärtig mal politisch in den Zeitungen steht, ist auch da in Talkshowform noch mal wieder angeboten. Es fehlt die Konzentration. Und die würde ich – also, in meiner Eröffnungsrede werde ich das natürlich in besonderer Weise betonen –, ich würde sie auf drei Punkte konzentrieren: einmal die sozioökonomischen Konflikte gegenwärtig zwischen der privaten Kapitalmacht, also, Finanzmärkten auf der einen Seite und den demokratisch legitimierten Staaten. Dafür mag Griechenland stehen, aber auch schon die elf Regierungen, die gekippt worden sind im Rahmen der sogenannten Euro-Krise. Das Zweite der Konflikt der Spaltung der Arbeitsverhältnisse hier in Deutschland. Jobwunder auf der einen Seite und auf der anderen Seite atypische Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Niedriglohn und dergleichen. Und das Dritte ist der Konflikt international in der ökologischen Dimension, der Kampf um Böden, die entweder der Nahrungsmittelproduktion dienen oder der Spritproduktion.

    Heckmann: Da könnte ich mir vorstellen, würde die offizielle katholische Kirche sagen, wir wollen uns nicht unbedingt in diese Niederungen der ideologischen Auseinandersetzungen hineinbegeben.

    Hengsbach: Ja, dann verwirklichen Sie natürlich das, was der Papst mal in diesem etwas vagen Wort von der Entweltlichung praktiziert hat: Das ist eben der Verzicht, würde ich meinen, der katholischen Kirche gegenwärtig, sich in die gesellschaftlichen Fragen einzumischen. Es hat 1997 dieses gemeinsame Wort der evangelischen und der katholischen Kirche gegeben, aber das scheint bei den Kirchenleitungen, jedenfalls im katholischen Bereich, eher ein Betriebsunfall gewesen zu sein, das wird nicht wiederholt. Und deshalb werden diese Katholikentage eben halt ein Festival sein, in der also spirituelle Bedürfnisse und liturgische oder symbolische oder ästhetische Bedürfnisse in besonderer Weise befriedigt werden.

    Heckmann: Hans Küng, dem ja 1979 die Lehrerlaubnis entzogen worden war, schrieb dieser Tage in der "Süddeutschen Zeitung", das Kirchenvolk solle mit diesem Katholikentag beruhigt statt ernst genommen, die Reformverweigerung in Mannheim mit Aufbruchsgerede überspielt werden.

    Hengsbach: Das würde ich so unterschreiben. Ich würde es anders formulieren, aber ich habe auch den Eindruck, dass zunächst mal ein Dialogprozess in Gang gesetzt worden war, dann wurde aus diesem Dialogprozess ein reiner Gesprächsprozess, eine sehr unverbindliche Veranstaltung, wie sie in Mannheim auch stattgefunden hat. Man hat einfach mal am Tisch gesessen, hat sich unterhalten und gefragt, was denn so die Erwartungen und Befürchtungen sind, was die Stärken und die Schwächen sind. Das hat man auf 400 Pinnwände geschrieben und diese 400 Pinnwände sind jetzt im Internet abzurufen. Was ist damit erreicht? Es werden mit so viel Informationen bedrängende Fragen nach Strukturreformen in der Kirche, das ja offensichtlich auch auf diesen Wänden zu lesen ist, zugemüllt, würde ich mal sagen. Also, die Frage, dass Frauen zu allen entscheidenden kirchlichen Ämtern zugelassen werden oder dass die Amtsträger die freie Wahl ihrer Lebensform haben, dass sie nicht partnerschaftslos und sexuell abstinent oder erotisch abstinent leben müssen, dass das Kirchenvolk beteiligt wird an den Entscheidungen und auch an der Kontrolle der Entscheidungen der Kirchenleitung, und dass die hierarchische, verkrustete und fossile Struktur der Kirche eben halt, ich würde das mal sagen, demokratisiert wird oder zumindest mal aufgebrochen wird!

    Heckmann: Ganz oben, da steht der Papst. Und Hans Küng hat auch geschrieben, der verhindere Reformen und riskiere sogar den Zusammenbruch von Seelsorge und Gemeinden angesichts des Priestermangels. Und er hat die katholische Kirche verglichen mit Leitungskadern in totalitären und diktatorischen Systemen, wo auch niemand eine abweichende Meinung zu äußern wage. Ist das alles nicht ein bisschen hoch gegriffen?

    Hengsbach: Ja, das würde ich schon also etwas als schwarze Worte bezeichnen. Ich würde so sagen: Kann es in einer hierarchischen Struktur eigentlich anders sein, als dass gesellschaftliche Bewegungen an der Basis in dieses System nicht eindringen, oder nur dann eindringen, wenn irgendwo an der obersten Spitze, also vielleicht damals Johannes XXIII., einer sitzt, der aus den Erfahrungen seiner gesellschaftlichen Umwelt etwas mit in dieses Amt hineingebracht hat? Und das ist bei diesem Papst ja fast ausgeschlossen. Wenn man seine Karriere sieht: Ein Wissenschaftler ist ja eh schon erst mal weit abgehoben von dem, was der Schrei des Volkes beispielsweise ausmacht, wie die lateinamerikanischen Bischöfe das sagen ...

    Heckmann: ... trotzdem wird der Zulauf ganz groß sein beim Katholikentag in Mannheim auch. Müssen Sie als Kritiker dieses Systems nicht möglicherweise akzeptieren, dass eine Mehrheit der Katholiken große Veränderung eigentlich gar nicht will?

    Hengsbach: Ja, mit der Mehrheit der Katholiken würde ich vorsichtig sein. Den Glauben kann ich natürlich politisch verstehen, ich kann sagen, der Christ ist politisch oder gar nicht. Oder ich kann sagen, der Christ ist derjenige, der also Freude hat an Gesang, an Musik, an Kunst, an Liturgie oder an einem großen Fest, an Partys. Und insofern ist es verständlich, dass Jugendliche einfach dieses Fest auch feiern. Ich werde das Fest auch mitfeiern, nur, ich habe eine Erwartung, dass solche Katholikentage zumindest mal einen Hauch politischer Botschaft haben sollen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.