Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Katholische Kirche am Amazonas
"Erdölförderung muss eingestellt werden"

Die Bodenschätze im Amazonasgebiet, insbesondere das Erdöl - sind sie Fluch oder Segen für die dort ansässigen indigenen Völker? Einerseits sollen sie in Ecuador laut Verfassung von den Gewinnen profitieren. Andererseits leiden sie darunter, dass ihr Lebensraum verschmutzt wird. Die katholische Kirche reagiert auf diesen Konflikt mit eindeutigen Positionen.

Von Burkhard Birke | 16.11.2016
    Gesang hallt durch die Kirche in Selva Alegre. Mehrere Dutzend Gläubige haben sich im Multifunktionssaal von Huataracu in der Kommune von Selva Alegre im ecuadorianischen Amazonasgebiet versammelt: Die Männer sitzen links, die Frauen und Kinder rechts in dem Holzgebäude. Die Hitze staut sich, dem ein oder der anderen rollen die Schweißperlen von der Stirn und dennoch lauschen sie andächtig José Andi.
    "Als Katechist bereite ich die Jugendlichen vor und verbreite das Wort des Evangeliums, das uns Pacha Yaya überliefert hat."
    Pacha Yaya: Das ist Kitchwa und bedeutet 'Vater der Erde', der Schöpfer. Einmal im Monat zelebrieren die Kitchwa aus Selva Alegre hier einen Gottesdienst: gemeinsam mit einer Ordensschwester, und wenn er gerade verfügbar ist, einem spanischen Priester.
    Katholische Mission im Amazonasgebiet
    Gebete und Schöpfungsgeschichte auf Kitchwa - Predigt und andere Erläuterungen auf Spanisch. So missioniert die katholische Kirche heute: Sie bettet ihr Glaubensbekenntnis ein in Sprache, Sitten und Gebräuche der Indigenen. Missionierung durch Inkulturation - das ist der Weg, das neue Credo der katholischen Mission im Amazonasgebiet.
    "Wir müssen die Inkulturation ernst nehmen, der Kirche ein Amazonas-Gesicht und den Völkern indigene Priester und Bischöfe geben, damit sie zu Subjekten ihrer eigenen religiösen Geschichte werden. Als Kirche müssen wir den Indigenen das Recht zurückgeben, Protagonisten ihrer eigenen religiösen Geschichte zu sein", sagt Kardinal Hummes.
    Als Vorsitzender von Repam, dem panamazonischen Netzwerkes der katholischen Kirche, will Kardinal Claudio Hummes vor allem eines: aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Für den Brasilianer bedeutet das: Die Kirche muss sich an die Seite der Schwachen stellen und sie in ihrem Kampf gegen Umweltverseuchung und Ausbeutung schützen.
    Gottesdienst mit einer Ordensschwester in Selva Alegre
    Gottesdienst mit einer Ordensschwester in Selva Alegre (Burkhard Birke)
    "Der Papst sagt zwei Mal ausdrücklich in der Enzyklika Laudato Si, dass sich die Zivilgesellschaft organisieren muss, um Druck auf die Regierungen auszuüben, damit sie die Schritte einleiten, um unser gemeinsames Haus zu retten."
    Folgen der Umweltverschmutzung
    Wie gefährdet dieses gemeinsame Haus - Pacha Mama, Mutter Erde, wie die Kitchwa sagen - ist, ist auch in Selva Alegre zu spüren - das seinen Namen derzeit zu Unrecht trägt. Selva Alegre heißt: fröhlicher Urwald. Die gute Laune kommt den Bewohnern aber zunehmend abhanden.
    "Früher, 1995, da haben wir hier viel Kaffee produziert, heute nicht mehr. Ein Hektar wirft heutzutage fünf oder sechs Zentner ab: Früher waren es 40, weil es keine Verschmutzung durch die Erdölfirmen gab", klagt Nelson Grefa sein Leid.
    Er und andere wie Milton Alvarado haben aus der Not eine Tugend gemacht und schlecht bezahlte Hilfsarbeiterjobs bei den Ölfirmen angenommen.
    "Von 2004 bis 2008 habe ich dank der Ölfirma und der Gemeinde als Produktionshelfer gearbeitet. Mit diesem Job konnte ich die Ausbildung meiner Kinder bezahlen."
    Indigene Völker bedroht
    Elf Kinder hat Milton Alvarado: Die älteren haben den Schulabschluss geschafft. Jobs freilich sind Mangelware, aufgrund der Umweltverschmutzung ernährt das Land die Menschen nicht mehr. Was bleibt, ist die Flucht in die Städte. Auch die eigene Sprache, das Kitchwa, wird zunehmend verdrängt, selbst in Selva Alegre.
    "Wir sprechen kein Kitchwa, nur Spanisch. Wir haben Angst, Kitchwa zu sprechen, weil wir dann wie Idioten behandelt werden", gesteht die vielleicht zehnjährige Yandi.
    Mit dem Lebensraum sind auch die Kultur und die Sprache der Kitchwa, aber auch anderer Völker im Amazonas bedroht. Die Erdölförderung erweist sich als Fluch und Segen.
    "Petrobras, die private brasilianische Ölfirma, hat uns viel bei der Bildung und im Gesundheitssektor geholfen. Sie hat auch den Transport unserer Kinder zur Schule bezahlt. Die Schule lag sehr weit entfernt. Aber seit wieder die staatliche ecuadorianische Petroamazonas die Bohrrechte besitzt, bekommen wir keine Hilfen mehr", stellt Milton Alvarado lakonisch fest.
    Bischof verlangt Förderstopp für Erdöl
    Der Ölpreis befindet sich im Keller, die Förderung steckt in der Krise. Schon zu Boom-Zeiten beteiligten die Erdölfirmen die indigenen Völker nicht so am Reichtum des schwarzen Goldes, wie sie das laut Verfassung müssten. Nun aber versiegen die Hilfsquellen erst recht. Für Walter Heras, den Bischof von Zamora, ein Grund mehr, einen Förderstopp zu fordern:
    "Bisher haben wir kein einziges Erdölförderprojekt gesehen, das nachhaltig wäre. Auch bei der Umweltverschmutzung sehen wir keine Fortschritte, obwohl modernste Techniken und Methoden bei der Förderung eingesetzt werden. Aufgrund der Resultate, die wir sehen, scheint eine nachhaltige Förderung undenkbar. Deshalb muss man die Erdölförderung einstellen."
    Ein radikaler Schritt, wohl aber der einzige, der das Überleben der bedrohten Völker im Amazonas sichern könnte. Nicht nur die Erdölförderung bedroht das Amazonasgebiet und damit den Lebensraum von drei Millionen Indigenen - sondern auch die Förderung anderer Bodenschätze und die großflächig angelegte Agrarindustrie.
    Kirche will Lebensraum und Lebensformen schützen
    "390 verschiedene Völker oder Ethnien gibt es im Amazonas - und zirka 200 verschiedene Sprachen und damit Kulturen. Die größte Herausforderung unserer Zeit ist dabei auch aus Sicht der Kirche, die Völker zu schützen, die völlig abgeschnitten von der Außenwelt leben. Insgesamt gibt es 140 auf der Erde: 120 davon im Amazonasgebiet", mahnt Mauricio Lopez, Generalsekretär des kirchlichen Panamazonas-Netzwerkes Repam.
    Ein Fünftel der Wasserreserven und eine unglaubliche Artenvielfalt beherbergen die fast sieben Millionen Quadratkilometer des Amazonasbeckens. Ein Drittel des Urwalds der Erde ist dort noch zu finden, ein Viertel des Sauerstoffs unseres Planeten entsteht dort: Nicht nur der Lebensraum der letzten Völker ohne Kontakt zur Außenwelt, sondern auch unser eigenes Leben ist bedroht, wenn das Amazonasgebiet, die Lunge der Welt, zerstört wird. Auch deshalb kämpfen Teile der katholischen Kirche für den Erhalt von Lebensraum und Lebensform der eingeborenen Völker im Amazonasgebiet.
    Die Recherchen für diesen Beitrag entstanden während einer Pressereise mit dem katholischen Hilfswerk Adveniat.