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Katholische Kirche
Rupien für Indien, Priester für Deutschland

In Deutschland fehlen Priester, deshalb werden Geistliche aus dem Ausland angeworben, unter anderem in Indien. Dort sind Christen eine Minderheit, die Zahl der Berufungen ist jedoch hoch. Der Austausch hat nicht nur eine spirituelle, sondern auch eine finanzielle Seite.

Von Simon Berninger | 20.05.2019
Pater Lucas Vallikattukuzhy in der Kirche seiner Gemeinde im emsländischen Heede (Niedersachsen). Pater Lucas stammt aus Indien und arbeitet seit 2001 als katholischer Priester in Deutschland.
So wie Pater Lucas Vallikattukuzhy im emsländischen Heede (Niedersachsen) arbeiten heute zahlreiche indische Geistliche in Deutschland, um dem Priestermangel entgegenzuwirken (dpa / Ingo Wagner)
Die Priesteramtsanwärter im Oriens College geben alles, um ihren Besuchern aus Deutschland einen würdigen Empfang zu bereiten.
Tep Gwatilo ist einer von ihnen. Der 29-Jährige trägt ein schickes Hemd und Jeans, die Haare sind gestylt. An seine Herkunft aus dem indigenen Volk der teils christlich gewordenen Rengma erinnert nichts mehr. Deren Glaubensleben will er später als Priester stärken – er hat nicht vor, nach Deutschland zu gehen.
Er sagt: "Wir haben viel davon gehört, auch unsere Bischöfe schicken ja Priester ins Ausland. Aber ich persönlich will später nicht nach Deutschland, ich will Priester für meine Leute werden, in den entlegenen Gebieten hier im Nord-Osten, wo ich wirklich eins sein kann mit den Gläubigen aus meinem Stamm. Aber es hängt natürlich alles von meinem Bischof ab."
Globalisierung auch für Priester
Ihm würde sich Tep Gwatilo im Zweifel auch nicht widersetzen, wenn der ihn doch nach Deutschland schicken würde. Immerhin sei es dann der Wunsch des Bischofs, dem er am Tag seiner Priesterweihe Gehorsam schwören wird.
"Wenn mich mein Bischof ins Ausland schicken würde, wär das wohl ziemlich hart für mich, aber ich würde es als Herausforderung sehen", sagt er.
In das gemeinsame Priesterseminar der 15 Bistümer in Indiens Nord-Osten ist Bambergs Erzbischof Ludwig Schick gekommen, mit einer Delegation des Hilfswerks Missio Deutschland. Stippvisite in einer Region, in der die Bistümer ohne Kirchengelder aus Deutschland deutlich ärmer wären. Das Erzbistum Bamberg gab beispielsweise finanzielle Unterstützung für das Oriens College. Dessen Seminaristen gibt der oberfränkische Erzbischof bei seinem Besuch mit auf den Weg:
"Wir brauchen Priester", sagt Ludwig Schick. Er mag dabei auch an den Priestermangel in Deutschland denken. Im Nord-Osten von Indien, wo sich der Katholizismus erst durch europäische Missionare im 19. Jahrhundert verbreitet hat, mangelt es dagegen nicht an Berufungen, sagt der Leiter des Oriens College, Regens Kuriakose Poovathumkudy:
"Seit fast 40 Jahren gibt es das Seminar inzwischen. Und in dieser kurzen Zeit haben mehr als 700 Priester das Seminar durchlaufen. Zurzeit haben wir 86 Seminaristen, das ist eine ganze Menge, schließlich sind Christen hier eine Minderheit, gerade mal etwas mehr als zwei Prozent."
In Deutschland sind die Christen dagegen in der Mehrheit, es gibt aber immer weniger Priester. Für Erzbischof Ludwig Schick ist deshalb klar:
"Ich hätte gerne in Deutschland mehr, aber ich denke, wir müssen eine globale Welt werden – wir sind eine globale Welt, auch der gegenseitigen Solidarität. Von daher denke ich, ein Teil, ein paar Priester von Indien sollen auch nach Deutschland kommen. Mir wäre es auch recht, wenn wir welche hätten, die hierher kommen, was wegen unseres Mangels im Augenblick nicht so möglich ist."
Dafür mangelt es der Kirche hierzulande nicht an Geld, mit dem sie sich ihrerseits solidarisch zeigen kann, wenn Priester aus Indien nach Deutschland kommen. Eine längst gängige Praxis, auch im Erzbistum Bamberg. Dort sind derzeit 25 indische Geistliche im Einsatz – und deren Heimatbischöfe profitieren davon.
Ludwig Schick: "Wir zahlen die Gehälter entsprechend unseren Gehaltstabellen. Und die machen untereinander aus, zehn Prozent, 15 Prozent, die sie davon an ihre Diözesen abgeben. Und ich würde das auch nicht negativ sehen, denn dieser Austausch von Priestern ist ja auch quasi ein gewisses Reverse-Programm: Denn die werden gesendet, auch um dann die Missionswerke hier zu unterstützen. Davon bauen dann die Diözesen Schulen, die Schwestern Hospitäler et cetera."
Unklarheit über persönliche Abgaben
Bei rund 4.000 Euro brutto liegt das Einstiegsgehalt eines Priesters in Deutschland, das demnach auch die Priester aus Indien bekommen. Wie viel sie davon an ihren Heimatbischof abgeben, sei kein Vertragsgegenstand, sagt auch Alois Moos vom Bistum Speyer. Dort hat sich der Leiter der Personalförderung für die derzeit 19 Geistlichen aus Indien eingesetzt, die das Bistum aktuell beschäftigt.

Alois Moos sagt: "Ob die Priester etwas abgeben müssen, ob sie das freiwillig tun oder wie viel das ist, da halten wir uns raus. In den Verträgen steht nichts drin, mit guten Gründen: Wir könnten diese Verträge nie kontrollieren. Wir würden die Beziehung dadurch zu einer reinen Geschäftsbeziehung machen. Und das wollen wir nicht: Für uns steht der pastorale Austausch im Mittelpunkt. Und dadurch wird auch ein Beitrag geleistet, Kirche als die eine Kirche zu verlebendigen, die ganz viele Gesichter hat."
Mit den wohlklingenden Absichten ist es auf Seiten der indischen Bischöfe jedoch so eine Sache. Denn wenn die deutschen Bistümer eben nicht festlegen wollen, wie viel die entsandten Priester nach Indien abgeben, dann nennen die indischen Bischöfe eben eine Summe – und die kann sehr hoch sein. Gerüchten zufolge gibt mancher Priester sogar die Hälfte seines Monatseinkommens nach Indien ab. Alois Moos dazu:
"Wir hatten leider eine Extremsituation, dass zwei Priester aus Indien bei uns geklagt haben, dass sie hier jetzt ausgebeutet werden, sodass es menschenunwürdig ist. Wir haben mit diesem indischen Heimatbischof ein sehr deutliches Wort geredet. Und nachdem das ausgesprochen war, hat sie ihr Bischof zurückbeordert. Wir hätten sie weiterhin eingesetzt, aber wir waren da ohnmächtig."
Denn die Priester aus Indien bleiben auch in Deutschland ihrem Heimatbistum rechtlich unterstellt.
"Der Zölibat steht hier nicht zur Diskussion"
Seminarist Tep Gwatilo hält wenig davon, dass deutsche Bischöfe auf indische Priester zurückgreifen – und deren Heimatbischof obendrein noch Kapital daraus schlägt.
"Priestersein ist kein Beruf", ist er überzeugt. "Es geht nicht in erster Linie um’s Geldverdienen. Ich finde, die deutschen Bischöfe sollten lieber für mehr Berufungen in ihrer Heimat sorgen. Wenn man nur schon mal gut über Priester spricht, führt das automatisch auch zu mehr Berufungen."
Mit dieser Meinung steht Tep Gwatilo im Oriens College nicht alleine da. Regens Kuriakose Poovathumkudy sagt, die Zahl der Berufungen in seiner Region hätten sich erst in den letzten Jahren auf ein auskömmliches Maß eingependelt. Und längst nicht alle Seminaristen blieben auch dabei.
Der Regens sagt: "Nur auf Priester aus dem Ausland zu hoffen ist keine langfristige Lösung. Wir haben derzeit stabile Priesterzahlen, ja. Aber trotzdem haben wir auch Probleme: Manchmal treten unsere Seminaristen aus, weil sie am Zölibat scheitern. Aber wir haben keinen Grund, zu glauben, dass deshalb ein Priestermangel entsteht. Daher steht der Zölibat hier auch überhaupt nicht zur Diskussion."
Das bestätigt auch Tep Gwatilo. Er hält nichts davon, den Zölibat in der Hoffnung zu lockern, dass es dann auch mehr Priester gäbe: "Berufung heißt auch, zum Zölibat berufen zu sein. Und man verpflichtet sich ja freiwillig darauf, keiner wird gezwungen. Also da kann es gar keine Diskussion geben."
Wer nicht passt, muss wieder gehen
Umso lauter diskutieren freilich die Katholikinnen und Katholiken in Deutschland über den Zölibat. Genauso wie über die Priesterweihe von Frauen oder die Segnung von homosexuellen Partnerschaften. Es sind Themen, die in Indien nicht auf der Agenda stehen. Auch deshalb durchlaufen die Priester erst eine Probephase, die sie auf die kirchliche Situation in Deutschland vorbereitet. Alois Moos sagt, welche Erfahrungen er dabei mit den indischen Priester macht:
"Die meisten Priester sind irritiert über diese Fragestellungen, aber sie sind in der Regel in der Gemeindeseelsorge, und dort spielen Fragestellungen wie Zulassung von Frauen zum Priesteramt eher eine untergeordnete Rolle. Und zu den vielen auch schlechten Erfahrungen gehören noch ganz andere Themen: eine Reserviertheit, ein gewisser priesterlicher Stolz: "Die Menschen sollen zu mir kommen, wenn sie was wollen. Auch diese Erfahrungen haben wir gemacht und Konsequenzen gezogen."
Soll heißen: Wer nicht passt, muss wieder gehen. Auch in der Erzdiözese Bamberg gibt es eine Vorbereitungsphase für die Priester aus Indien. Erzbischof Ludwig Schick geht es aber gelassen an, wenn seine indischen Priester nichts mit den Themen anfangen können, die in Deutschland diskutiert werden.
Er sagt: "Wir müssen in Deutschland auch sehen, dass die Themen da sind, auch in den Medien. Aber so im alltäglichen Leben spielen die oft doch nicht so die Rolle. Und wenn jetzt indische Priester festangestellt werden, sind die auch in einem Team. Also wir vermeiden, dass Priester alleine sind, auch die deutschen. Und wenn jetzt solche Fragen kommen, dann sollen die auch behandelt werden. Und wenn das ein indischer Priester nicht kann, weil es fremd ist für ihn, wird das im Team besprochen und ein anderer übernimmt das."
Der Beitrag entstand im Rahmen einer Pressereise nach Indien mit dem Hilfswerk Missio.