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Kathrine Switzer
Umstrittene Marathon-Vorläuferin

Frauen sind zu schwach für Marathon? Davon wollte Kathrine Switzer nichts hören und lief im April 1967 den Boston-Marathon: als erste Frau mit einer Startnummer. Für viele gilt sie seitdem als Frauenmarathon-Pionierin - aber nicht für alle.

Von Heiko Oldörp | 16.04.2017
    Frauenmarathon-Pionierin Kathrine Switzer lehnt vor einem alten Foto, das ihren ersten Marathon-Lauf 1967 zeigt.
    Damals und heute: Kathrine Switzer lief als erste Frau mit Startnummer 1967 den Boston-Marathon - und mit Hindernissen. (dpa / picture alliance / Chema Moya)
    "The athlete, who is here to run the Boston Marathon again, remarkably, and to carry yet further forward the cause that she initiated that day in 1967 – Kathrine Switzer!"
    Wo immer Kathrine Switzer in diesen Tagen in Boston auftritt, wird sie beklatscht, gefeiert, verehrt. Und die kleine, zierliche Frau wird reichlich rumgereicht. Pressekonferenzen, Sponsorentermine, Interviews - ganz schön viel für eine 70-Jährige. Und erst Recht für eine 70-Jährige, die morgen den Marathon laufen will:
    "Ein Grund, warum ich laufe, ist, den Fortschritt zu feiern, den wir in den vergangenen 50 Jahren erreicht haben. Aber es geht auch darum, was für die kommenden 50 Jahre getan werden kann.”
    Erste Frau mit Marathon-Startnummer
    Switzer ist voller Energie und Ausdauer - das ist gut für eine Langstreckenläuferin und auch gut, wenn man - wie sie - eine Story verkaufen will. Die von der ersten Frau, die mit einer Startnummer einen Marathon lief. 1966 studiert Switzer an der Syracuse University im US-Bundesstaat New York. Sie ist die einzige Frau des Leichtathletik-Teams.
    "Mein Trainer war den Boston-Marathon 15 Mal gelaufen. Und jedes Mal erzählte er mir im Training eine Boston-Geschichte. Da habe ich gesagt, lass' uns nicht länger drüber reden, lass' uns den Boston-Marathon laufen. Er meinte, Frauen können keinen Marathon laufen, sie sind zu schwach, zu anfällig. Daraufhin sagte ich, 'erzähl' keinen Quatsch. Ich bin mit dir gerade 16 Kilometer im Schneesturm gelaufen.”
    Switzer überzeugt ihren Trainer und meldet sich für den Boston-Marathon an - und zwar als K.V. Switzer. So hatte sie ihren Namen geschrieben, seitdem sie zwölf Jahre alt war. Ihr kommt zugute, dass es am Renntag kalt ist und sie somit einen dicken Pullover sowie eine Wollmütze trägt und nicht auffällt.
    Weltberühmte Attacke
    Doch nach wenigen Kilometern entdecken Journalisten im vorbeifahrenden Pressebus, dass sich da im Männerfeld eine Frau befindet. Renndirektor Jock Semple springt sofort ab, läuft zu Switzer und will ihr die Startnummer entreißen. Aber Switzers Freund, ein Hammerwerfer und Footballspieler, checkt ihn einfach weg. Fotografen halten die Szene fest, die Bilder gehen um die Welt.
    "Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Jock Semple denke und ihm danke", sagt Kathrine Switzer heute. "Wir sind beste Freunde geworden und wie kann man jemanden nicht lieben, der dir geholfen hat, die Welt zu verhändern. Das Foto ist eines der bemerkenswertesten in der Geschichte des Frauenlaufens - und es hat natürlich sehr geholfen.”
    Switzer gewinnt 1974 den New York-Marathon und wird anschließend eine führende Aktivistin der Frauenbewegung. Sie schreibt ein Buch, arbeitet als Sportkommentatorin und erstellt ein Programm mit 400 Läufen in 27 Ländern, an denen eine Millionen Menschen teilnehmen. Die Daten dieser Rennen tragen dazu, dass Frauen-Marathon in das Olympische Programm aufgenommen wird und 1984 in Los Angeles Olympia-Premiere hat.
    War Switzer wirklich die Erste?
    Doch war Switzer wirklich die Pionierin, für die sie sich ausgibt? Diese Frage ist wohl Interpretationssache. Bereits 1966 hatte Bobbi Gibb bei der Rennleitung in Boston angefragt, ob sie starten dürfe und zur Antwort bekommen, dass Frauen nur Wettkämpfe bis zu einer Distanz von 2,4 Kilometern erlaubt seien. Doch damit gab sich Gibb nicht zufrieden. Sie versteckte sich in einem Gebüsch kurz hinter der Startlinie und schloss sich dem Männerfeld an, als es vorbeilief. Im Ziel war Gibb schneller als zwei Drittel ihrer männlichen Konkurrenten.
    Ein Jahr später war sie wieder dabei. Wieder ohne offizielle Startnummer, aber selbstbewusst. Jeder, so Gibb, hätte gewusst, dass eine Frau den Marathon laufen würde. Sie habe im Startbereich gestanden und sei sogar von der Presse interviewt worden, sagt Gibb gegenüber dem Deutschlandfunk.
    "In 67 everybody knew there was going to be a woman running the Boston Marathon. I stood right out in the open, the press interviewed me.”
    Erst abends erfuhr sie aus der Zeitung, dass da noch eine zweite Frau im Feld war - Kathrine Switzer. Im Gegensatz zu ihr geht Gibb einen anderen Weg, arbeitet als Anwältin und Künstlerin - und ist bis heute nicht gut auf Switzer zu sprechen.
    "Wenn sie einfach aufhören würde zu lügen, wäre ich mit ihr befreundet. Aber wie kann ich mit jemandem befreundet sein, dem ich nicht traue? Und wie kann ich jemandem trauen, der nicht die Wahrheit sagt?”
    Für manche ist Bobbi Gibb die wahre Marathon-Pionierin
    Gibb, die 1967 knapp eine Stunde vor Switzer ins Ziel kam, betont, dass ihre Landsfrau sich ihre Startnummer erschlichen habe und illegal im Männerrennen mitgelaufen sei. Switzer versteht den Unmut nicht und sagt gegenüber dem Deutschlandfunk:
    "Das ist bedauerlich, denn ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe mich offiziell angemeldet, denn mein Trainer bestand drauf, dass wir die Regeln einhalten. Wir haben das gemacht, was wir für richtig hielten. Es war eine Kollision von Umständen. Es tut mir leid, wenn sie denkt, dass ich nicht die Wahrheit sage.”
    Gibb wurde später nachträglich als Siegerin der Jahre 1966 bis 1968 geehrt. Verdient, sagt die dreimalige deutsche Boston-Gewinnerin, Uta Pippig.
    "Ich glaube, dass Bobbi nun mal die Erste war und Kathrine hat das noch mal anders vollzogen - das Jahr danach. Ich verehre beide. Für mich ist Bobbi nun mal die Frau, die mehr im Stillen das vollzogen hat und im Stillen die erste Frau war. Sie ist für mich die wahre Pionierin.”