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Kathryn Andrews' Ausstellung in Berlin
Ein Zirkuszelt in der Kirche

Kathryn Andrews macht Kunst, die auf den ersten Blick aussieht, als wäre sie für Kinder gemacht – mit Clowns, Ballons und Plüschtieren. Aber ihre farbenfrohen Arbeiten haben eine düstere Seite. In ihrer aktuellen Ausstellung stehen Weltimperien im Mittelpunkt.

Von Marie Kaiser | 11.06.2019
Zirkuszelt in der Kirche, Installation von Kathryn Andrews
"Circus Empire" heißt die Ausstellung der Künstlerin Kathryn Andrews in der St. Agnes Kirche in Berlin (König Galerie)
Ein rot-weiß gestreiftes Zirkuszelt wie aus einem Kindertraum - über sieben Meter hoch mit vielen kleinen Fähnchen. So steht es mitten in der ehemaligen Kirche Sankt Agnes in Berlin, ein wenig als hätte es sich verirrt in dieses brutalistische Gebäude, in dieses unglaublich hohe Kirchenschiff aus Beton.
Als Kathryn Andrews den Raum zum ersten Mal sah, wusste sie, dafür muss ich mir etwas Besonderes einfallen lassen: "Ich habe gedacht, wenn ich die Kunst einfach so in diese Kirche stelle, dann wird die Kirche die Kunst zerstören. Also habe ich mir überlegt: Vielleicht ist es besser, wenn ich die Wirkung der Kirche zerstöre, indem ich ein Zirkuszelt aufbaue – denn der Zirkus war immer ein Ort mit zweifelhafter Moral."
Glücksrad mit Handgranaten und Kleeblättern
Kunst in einem Zirkuszelt zu zeigen – schöner könnte Kathryn Andrews nicht mit der ehrfürchtigen Stimmung brechen, die in manchem Kunsttempel herrscht. Wer es betritt, wird von Schafblöken und dem Geruch nach Bauernhof empfangen. Überall liegen Heuballen herum.
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Wie auf einem Jahrmarkt gibt es viele Attraktionen. Fünf große Glücksräder, die Gespräche zwischen Besuchern anstoßen können. Auf einem sind zwei antike Büsten zu sehen. Anstelle der Augen sind zwei Löcher eingelassen. Je nachdem, wo das Glücksrad stoppt, erscheint eine Handgranate, ein dreiblättriges Kleeblatt, Lackschuhe, Lippenstifte oder ein Spiegelei. Neben dem Mund werden dazu zufällig Versatzstücke für Small Talk angezeigt.
"Mal sehen, wo es landet? Vielleicht auf: Ist das ein Original? Oder: Sind das echte Diamanten?"
Das Rad könnte aber auch vergiftete Komplimente wie "Ich liebe deine Lachfalten" oder "Du erinnerst mich an meinen Ex" anzeigen.
"Solche Ideen kommen mir einfach so in den Sinn. Oft sind sie am Anfang noch unfertig. Dann fange ich an zu zeichnen und Skizzen zu machen. Wenn die Idee immer absurder wird, dann weiß ich, das geht in die richtige Richtung!"
"Circus Empire" heißt die Ausstellung – Zirkus-Imperium. Kathryn Andrews befasst sich darin mit großen und mächtigen Reichen der Geschichte: Dem griechischen, dem römischen, aber auch dem Imperium der USA. Dafür hat sie wie auf dem Rummel einen großen Greifautomaten aufgestellt; gefüllt mit quietschbunten Stofftieren, die mit dem Greifarm herausgefischt werden können. Nur dass hier schon eine Trophäe am Greifarm hängt: Die fratzenhafte Maske des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon. Es ist die Originalmaske aus dem Film "Point Break", in dem die Bankräuber Masken amerikanischer Präsidenten tragen.
Amerikanischer Kolonialismus im Film
Kathryn Andrews baut in ihre Kunstwerke gern solche originalen Hollywood-Devotionalien ein, zwischen den Plüschtieren verbergen sich einige von ihnen. Die Titel der dazu gehörigen Filme oder Serien sind auf die Glasscheibe des Automaten gedruckt: "True Lies", "Gunman Dead" "License to kill" oder "Homeland". Es geht in diesen Filmen um Themen wie amerikanischen Kolonialismus. Das Morden und die Gewalt wird in ihnen glorifiziert!
Der amerikanische Traum als eine Mischung aus Blut und Gier auf der einen, Hollywood-Glamour und Freizeitpark auf der anderen Seite. Von solchen Kontrasten lebt Kathryn Andrews Kunst, die auf den ersten Blick oft so wirkt, als wäre sie für Kinder gemacht mit all den Clowns, Ballons und Plüschtieren: "Ja, es stimmt, ich arbeite oft mit Themen, die Kindern gefallen könnten. Aber an Kinder denke ich nicht, wenn ich Kunst mache. Ich mag es einfach, leichte und düstere Themen zu kombinieren – diese Gegensätze zusammenzubringen."
Die bunten Kuscheltiere in der Ausstellung lassen aber auch an die Arbeiten des Installations- und Performancekünstlers Mike Kelley denken, für den Kathryn Andrews lange Jahre als Buchhalterin gearbeitet hat, bevor sie seine Schülerin wurde.
"Mike war ein extrem wichtiger Künstler für mich. Er war brillant! Seine Kunst ist sehr komplex, aber gleichzeitig auch sehr zugänglich und direkt. Er war immer ein Entdecker und sehr ehrgeizig, hat mit verschiedenen Ästhetiken, Formen und Materialien experimentiert. Und ich hoffe, ich habe etwas davon in meinen Arbeiten übernommen."
Erkunde den Picasso in dir
Extrem zugänglich und doch komplex, ist auch eine interaktive Skulptur am Ausgang des Zirkuszelts. Der "Picasso Trace Buzzer". Dafür hat Andrews eine der berühmten Stier-Zeichnungen von Pablo Picasso aus Edelstahl nachbauen lassen. Besucher können mit einem Stab mit einem Ring an der Spitze die Linien des Stiers entlangfahren, um herauszufinden, wie viel Picasso in ihnen steckt. Wer auch nur ein wenig von der Linie abweicht, wird sofort verwarnt.
Ein lautes Geräusch ertönt und die Anzeige "Not Picasso, not Picasso" leuchtet auf. Ganz spielerisch und humorvoll arbeitet sich Kathryn Andrews so an einem der Säulenheiligen der Kunstgeschichte ab und teilt gegen die von männlichen Genies dominierte Kunstwelt aus. Und Kathryn Andrews hat auch so viel Humor, dass sie den direkten Vergleich mit Großmeister Picasso nicht scheut und sich selbst am "Picasso Trace Buzzer" versucht.
"Ich bin sehr gut, vielleicht bin ich ja Picasso... Beeeep! Oh, nein, bin ich doch nicht."