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Katrin Göring-Eckardt
"Schulz muss erst erklären, was er für Deutschland will"

Katrin Göring-Eckardt sieht im Hinblick auf die SPD-Kanzlerkandidatur von Martin Schulz viele offene Fragen. Schulz trete für Europa ein, seine Positionen zur deutschen Innenpolitik seien jedoch unklar, sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk. "Darauf braucht Schulz Antworten."

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 25.01.2017
    Die Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt
    Die Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt (dpa/picture alliance/Britta Pedersen)
    Auch in ökologischen Fragen und bei der sozialen Gerechtigkeit sei vieles unbeantwortet, sagte Göring-Eckardt. "Was Schulz gestern gesagt hat, war zu dünn, um sich darüber Vorstellungen zu machen." In der Wirtschaftspolitik habe die SPD Fehler gemacht. "Dass Gabriel aus dem Wirtschaftsministerium flüchtet, ist ein Signal, dass er dort einen Scherbenhaufen hinterlassen hat." Sie sprach vor allem die Energiewende an.
    Zumindest sei sie froh, dass mit Schulz jemand an die Spitze rücke, der für ein starkes Europa einstehe. Sein innenpolitisches Profil sei aber offen.
    Schwarz-Grün nicht ausgeschlossen
    Für die Grünen sei die soziale Gerechtigkeit weiter ein wichtiges Thema. "Wir haben in Deutschland Leute, die sich nicht nur abgehängt fühlen, sondern abgehängt sind", sagte Göring-Eckardt. Die SPD habe nicht dazu beigetragen, die Spaltung der Gesellschaft zu verringern.
    Ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl wollte die Spitzenkandidatin der Grünen nicht ausschließen. "Die Grünen gehen nicht mit Koalitionsaussagen in den Wahlkampf. Wir legen unseren Wählern unsere Agenda vor. Und wir werden nach dem Wahlergebnis schauen, ob und wie wir möglichst viel davon umsetzen können."

    Ann-Kathrin Büüsker: "Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Sigmar Gabriel." So twitterte es gestern die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, als Reaktion auf Gabriels Entscheidung, nicht als Kanzlerkandidat für die SPD anzutreten. Jetzt ist sie am Telefon. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt.
    Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, ich grüße Sie.
    Büüsker: Sie haben großen Respekt, haben Sie geschrieben. Aber wie sehr freuen Sie sich denn über die Entscheidung von Gabriel?
    Göring-Eckardt: Ich habe großen Respekt davor, dass jemand sagt, ich bin offensichtlich nicht gut für die SPD, und in dieser Situation. Das ist ja für jemanden, der so Vollblutpolitiker ist wie Sigmar Gabriel, auch eine schwierige Lebensentscheidung und davor habe ich Respekt. Ansonsten ja, es wird wahrscheinlich Herr Schulz der Kanzlerkandidat der SPD werden. Das hat natürlich auch einen ziemlichen Beigeschmack in zweierlei Hinsicht. Das eine ist, diese Entscheidung ist getroffen worden, weil Sigmar Gabriel mit sich selbst gesprochen hat, und wenn man dann hinterher ganz heftig für die Demokratie eintreten und kämpfen will, dann ist das eine Hypothek, die die SPD jetzt hat. Sie wissen, wir haben gerade als Grüne einen langen Prozess, eine Urwahl hinter uns gebracht und so unsere Spitzenkandidaten bestimmt. Das ist unter demokratischen Gesichtspunkten was anderes. Ansonsten, wenn Sie mich fragen, ob ich mich freue oder wie ich mich freue: Ich weiß es nicht, weil ich kenne natürlich Martin Schulz als Europapolitiker. Da bin ich nicht in allem einig mit ihm, aber sage erst mal, das ist einer, der tritt für Europa ein. Aber ich weiß nicht, was er über die deutsche Innenpolitik zu sagen hat, und insofern bin ich darauf gespannt. Was sagt er denn zu ökologischen Fragen? Was sagt er zu der Frage der Gerechtigkeit, wie will er das machen, wie sieht das aus?
    "Dass Sigmar Gabriel aus dem Wirtschaftsministerium flüchtet, ist ein Signal dafür, dass er dort einen Scherbenhaufen hinterlassen hat"
    Büüsker: Gerechtigkeit hat er ja gestern schon als großes Thema angesprochen und ein paar Aspekte genannt. Können Sie sich unter den Voraussetzungen, die er da schon genannt hat, auch vorstellen, dass er ein guter Koalitionspartner für Sie ist?
    Göring-Eckardt: Was er gestern gesagt hat war, ehrlich gesagt, zu dünn, um sich darüber Vorstellungen zu machen. Ich glaube, dass Martin Schulz jetzt erst mal sagen muss, wofür steht er und wofür steht dann auch die SPD, und es gibt ja tatsächlich eine extreme Friktion. Dass Sigmar Gabriel jetzt auch aus dem Wirtschaftsministerium flüchtet, ist ja ein Signal nicht dafür, dass er jetzt einen Neuanfang macht, sondern dass er ein paar Monate ins Auswärtige Amt will, weil er dort einen Scherbenhaufen hinterlassen hat, was die Frage der Energiewende angeht, die Solarindustrie ist kaputt, was den Mittelstand angeht, der unter seiner Ägide nun gerade nicht in eine besonders gute Situation gekommen ist. Darauf braucht Martin Schulz Antworten und er muss natürlich auch eine Antwort geben, wie er dafür sorgen will, dass die Gesellschaft zusammen bleibt. Ich sage das mal: Bei seiner Arbeit in Europa, da bin ich in vielem, was vor allen Dingen Haltung angeht, da hat er viel auf die Reihe gebracht. Aber wenn ich mir anschaue, dass er sich gerade nicht darum gekümmert hat, dass die Europäer eine gemeinsame Flüchtlingspolitik machen, dann sage ich, das möchte ich dann auch gerne wissen, wie das in Deutschland eigentlich geschehen soll im nächsten Jahr oder darüber hinaus.
    Büüsker: Frau Göring-Eckardt, wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind Sie über diese Entscheidung gar nicht so glücklich. Beziehungsweise anders gefragt: Für die Grünen ändert sich durch diese Entscheidung der SPD gar nichts?
    Göring-Eckardt: Für uns ändert sich erst mal nicht viel. Oder sagen wir mal so: Ich weiß es nicht, ob sich was ändert, weil ich sehe nicht, was eigentlich die Agenda von Martin Schulz in der Innenpolitik - und dafür kandidiert er ja - dann ist. Ich bin froh, das will ich ausdrücklich sagen, dass jemand da an die Spitze rückt, wo es kein Vertun gibt bei der Frage, wir brauchen ein starkes Europa, und das brauchen wir in dieser Situation ganz besonders, wenn wir uns anschauen, was Donald Trump gerade jeden Tag unterzeichnet. Gestern - Sie haben darüber berichtet - die Wiedereinrichtung von hoch gefährlichen und Umwelt verschmutzenden Pipelines. Wir brauchen ein starkes Europa. Aber wofür wir es brauchen und was er in Deutschland will, das muss Martin Schulz jetzt erst mal auf den Tisch legen.
    "Die SPD hat nicht dazu beigetragen, dass der Spalt in der Gesellschaft geringer wird"
    Büüsker: Wenn die SPD unter Martin Schulz jetzt linker werden sollte, machen Sie sich ein bisschen Sorgen, dass Ihnen dadurch Wähler abhandenkommen könnten?
    Göring-Eckardt: Darum mache ich mir keine Sorgen, weil unsere Wählerinnen und Wähler schauen natürlich in allererster Linie danach, was legt jemand ökologisch auf den Tisch. Und zweitens: Dass soziale Gerechtigkeit für uns ein riesiges Thema ist, das ist so, das bleibt so und das werden wir den grünen Wählerinnen und Wählern auch überzeugend darlegen können. Da geht es ja darum, dass wir tatsächlich in diesem Land Leute haben, die nicht sich abgehängt fühlen, sondern die tatsächlich abgehängt sind, insbesondere Kinder. Wir haben nach wie vor eine riesige Kinderarmut und das muss man Martin Schulz dann auch ins Stammbuch schreiben. Er tut ja jetzt so mit seinem Satz, Deutschland braucht eine neue Führung, als ob die SPD hier gar nicht regiert. Sie tut das aber seit geraumer Zeit und hat nicht dazu beigetragen, dass der Spalt in der Gesellschaft geringer wird, hat nicht dazu beigetragen, dass die Superreichen sich immer weiter davon machen, und zwar nicht nur die mit dem deutschen Pass, sondern auch solche Riesenkonzerne wie Google, Apple und so weiter.
    Büüsker: Wenn wir ein bisschen in die Zukunft schauen, nach der Bundestagswahl, auf Koalitionsoptionen. Wir hatten heute Morgen hier im Deutschlandfunk schon Jens Spahn im Interview und der hat Sie und auch Ihren Mitkandidaten Cem Özdemir als "interessante Persönlichkeiten an der Spitze der Grünen" bezeichnet.
    Göring-Eckardt: Das ist ja sehr nett von ihm schon am frühen Morgen.
    "Wir werden keine theoretische Debatte über Koalitionsoptionen führen"
    Büüsker: Nicht wahr? - Ist da ein schwarz-grünes Bündnis tatsächlich dann doch näher als ein rot-rot-grünes?
    Göring-Eckardt: Das schauen wir, wenn gewählt ist. Wir haben ja als Grüne gesagt, wir gehen in diesen Wahlkampf nicht mit Koalitionsaussagen, Spekulationen und einem Gewürge darüber.
    Büüsker: Aber warum nicht?
    Göring-Eckardt: Ganz einfach. Wir werden vermutlich ein Wahlergebnis haben, was nicht danach geht, was sich Parteien wünschen. Und wenn Sie mich fragen, was ich mir wünsche, dann würde ich sagen, das ist vielleicht wie früher, da war das mit Rot-Grün ganz prima. Aber wenn ich mir die Kohlepolitik, die Energiepolitik der SPD unter Sigmar Gabriel anschaue, kann ich jetzt auch nicht sagen, dass ich da besonders viel Vertrauen hätte. Deswegen sagen wir, wir legen unseren Wählerinnen und Wählern vor, was wir für eine Agenda haben, und dann werden wir nach einem Wahlergebnis schauen, ob und mit wem wir davon möglichst viel durchsetzen können. Das wird das Entscheidende bleiben und über Koalitionsfragen reden wir in der Auseinandersetzung. Na klar! Dann setze ich mich auseinander mit der Flüchtlingspolitik von Herrn Seehofer, mit der Russland-Politik von Frau Wagenknecht. Ich bin übrigens gespannt, was Herr Gabriel da im Auswärtigen Amt macht, was Russland angeht. Diese Auseinandersetzung werden wir führen, aber wir werden nicht eine theoretische Debatte über Koalitionsoptionen führen. Ich glaube nicht, dass das in dieser schwierigen Zeit, in dieser schwierigen politischen Zeit, in der wir sind, was bringt.
    Büüsker: … sagt Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen, zur Frage, ob unter Martin Schulz ein Neubeginn zwischen Grünen und SPD möglich ist. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch! Einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.