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Kavala-Prozess in Istanbul
Lebenslang für türkische Gezi-Park-Proteste gefordert

Der türkische Kulturmäzen Osman Kavala soll die Gezi-Park-Proteste in Istanbul 2013 mit initiiert haben. Er habe die Regierung stürzen wollen, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor und fordert lebenslange Haft. In der Anklage finden sich auch abgehörte Gespräche mit deutschen Stiftungen.

Von Karin Senz | 24.06.2019
Demonstration 2013 auf dem Taksim-Platz in Istanbul gegen den Umbau des Gezi-Parks
Demonstration 2013 auf dem Taksim-Platz in Istanbul gegen den Umbau des Gezi-Parks (picture alliance/MAXPPP)
657 Seiten Anklageschrift - die Staatsanwaltschaft Istanbul hat sich viel Arbeit gemacht, um zu zeigen, dass die Gezi-Park-Proteste ein Umsturzversuch waren. Demonstranten hätten Polizisten Blumen geschenkt, heißt es da zum Beispiel, Frauen hätten ihren Partnern mit Sexentzug gedroht, wenn sie nicht mit auf den Taksim-Platz zur Demo kämen, ein deutscher Pianist habe ein Konzert gegeben.
Für die Bundestagsvizepräsidenten und Grünen-Abgeordnete Claudia Roth ist das alles nur absurd:
"Gezi war doch kein Umsturz. Die Gezi-Park-Bewegung ist entstanden, weil es viele Menschen gab, die wollten Bäume in der Mitte von Istanbul retten. Das nennt man bei uns aktive Zivilgesellschaft. Das war so ein bisschen Woodstock mitten Istanbul. Das war doch kein Putsch."
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth (Grüne), äußert sich am 30.05.2016 in Berlin zum Thema Rassismus.
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth (Grüne) (dpa)
Claudia Roth kommt regelmäßig in die Türkei, auch jetzt zum Prozessauftakt. Der dürfe nicht wegen der Berichterstattung über die Bürgermeisterwahl in Istanbul untergehen. Osman Kavala sei schließlich ein international anerkannter Kulturmäzen und Gesprächspartner für europäische Regierungschefs, wie Kanzlerin Angela Merkel.
Das Goethe-Institut belauscht
In der Anklageschrift findet sich auch ein Treffen Kavalas mit einem deutschen Diplomaten samt Foto - eigentlich ein No-Go. Und auch deutsche Stiftungen und Organisationen in der Türkei sind erwähnt. Das Goethe-Institut beispielweise arbeitet bei mehreren Projekten mit Kavala und seiner Stiftung Anadolu Kultur zusammen. Nach der Anklageschrift war dem Instituts-Leiter Reimar Volker klar:
"Wir wissen jetzt definitiv, dass wir abgehört werden!"
Unter anderem hat Volker gelesen: "Das über anderthalb Seiten ein Telefonat transkribiert ist. Das meine Vor-Vorgängerin geführt hat, mit Osman Kavala. Da ging es um eine Absprache wann man sich trifft zum Abendessen. Das ist schon sehr irritierend."
Osman Kavala wurde im Oktober 2017 am Istanbuler Flughafen festgenommen, als er gerade von einem Treffen mit dem Goethe-Institut in Diyarbakir zurückkam. Seitdem sitzt er im Gefängnis. Seine Kollegin Asena Günal erzählt, es geht ihm trotz allem gut:
"Er war ja zuerst in einer Einzelzelle und hatte einen sehr kleinen Hof für den Hofgang. Seit einigen Monaten hat er die Möglichkeit in einem größeren Hof andere Zelleninsassen zu treffen und mit ihnen zu reden. Den Großteil seiner Zeit verbringt Osman Kavala aber mit Lesen und Schreiben, er schreibt und kriegt Briefe. Er hat einen Fernseher und schaut ab und zu auch mal einen Film. Er treibt auch Sport. So verbringt er seine Tage."
Der türkische Geschäftsmann Osman Kavala
Der türkische Geschäftsmann Osman Kavala (imago stock&people)
Auch Can Dündar ist angeklagt
Reimar Volker, der Leiter des Goethe-Instituts in der Türkei, kann bei den Vorwürfen gegen Kavala nur den Kopf schütteln:
"Es passt in einen größeren Konzept, nämlich der zunehmenden Kriminalisierung der Zivilgesellschaft. All die Arbeit, die Osman Kavala gemacht hat, dient letztlich der Versöhnung, der Zusammenarbeit, dem Kontakt mit dem Iran, aber auch nach Europa. Das in Zusammenhang zu bringen mit Umsturzversuchen, ist schwer nachzuvollziehen."
Der türkische Journalist Can Dündar 
Der türkische Journalist und ehemalige Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar (Imago)
Neben Osman Kavala gibt es in dem Verfahren noch 15 weitere Angeklagte, darunter Schauspieler, Anwälte und Journalisten, wie Can Dündar. Er lebt seit knapp drei Jahren in Deutschland. Bis auf Osman Kavala und einen weiteren sind alle auf freiem Fuß. Emma Sinclair Webb von Human Rights Watch in der Türkei macht klar:
"Kein Gericht hätte die Anklageschrift zu dem Fall jemals annehmen dürfen. Was wir also erwarten ist, dass die Klage fallen gelassen wird - gegen alle 16 Angeklagten. Was aber auf jeden Fall passieren müsste, ist, dass die beiden Angeklagtem die noch im Gefängnis sind, rauskommen - das wäre das mindeste."
Mit einem Urteil nach den ersten beiden Prozesstagen rechnen die wenigsten. Wichtige Prozesse mit internationaler Aufmerksamkeit ziehen sich in der Türkei oft über Monate.