Donnerstag, 18. April 2024

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"Kaya Kinondo" in Kenia
Der Wald als Kirche

Nicht weit entfernt von den großen Strandresorts und Nationalparks in Kenia liegt "Kaya Kinondo". Er ist einer der wenigen heiligen Wälder Ostafrikas, der von Touristen besucht werden darf. Hier werden sowohl eine alte Kultur als auch die Natur bewahrt.

Von Katharina Nickoleit | 25.02.2018
    Ein Mann trägt eine runde Basttasche in der Hand und geht auf einem schmalen Pfad in den Kaya-Wald
    Ein Ältester der Mijikenda auf dem Weg in den Heiligen Kaya-Wald in Ost-Kenia , (imago / Xinhua )
    Wir sind am Rande eines dichten Waldes. Riesenhafte Bäumen stehen darin, das können wir von hier aus sehen. Vor uns schlängelt sich ein schmaler Pfad, der schon nach wenigen Metern in Dickicht verschwindet. Bevor wir ihn betreten dürfen, erklärt uns unser Führer Mwarif die Regeln.
    "Das Wichtigste ist, dass Ihr keine Zweige oder Blätter abreißen oder einsammeln dürft. Keine lauten Geräusche machen oder rumschreien. Und keinen Hut aufsetzen."
    Fast schon schuldbewusst nehmen wir die Sonnenhüte vom Kopf.
    "Nirgendwo hin pinkeln. Nicht rauchen, keinen Alkohol trinken. Und auf keinen Fall irgendwo Müll hinschmeißen. Und auf gar keinen Fall einander küssen oder umarmen oder Händchen halten!"
    Eintritt nur mit schwarzem Tuch
    Die Regeln unterscheiden sich nicht wesentlich von denen eines Kirchbesuchs. Das ist tatsächlich gar nicht so falsch.
    "Es ist ein heiliger Wald. Früher glaubten die Menschen an die Natur. Sie gingen zum Beten nicht in Moscheen oder Kirchen, sondern in den Wald um mit den Geistern und ihren Vorfahren zu sprechen und Hühner oder Schafe zu opfern. Und das tun manche heute immer noch."
    Kaya Kinondo in der Nähe des Kenianischen Ferienortes Diani ist einer der wenigen Heiligen Wälder Ostafrikas, der von Touristen besucht werden darf -wenn sie die Regeln einhalten und ein schwarzes Tuch umlegen.
    "Es heißt Kaniki und jeder, der den Wald betritt, muss es tragen. Es ist ein Schutz, damit man die siebenköpfige Schlange nicht weckt."
    Mwarif schlingt mir das Baumwolltuch um die Hüfte. Und dann geht es endlich los. Der dichte Wald scheint alle Geräusche von der nahen Straße zu verschlucken. Es dämmrig und angenehm kühl. Große Schmetterlinge taumeln zwischen den Bäumen umher, handlange Tausendfüßler kreuzen unseren Pfad.
    Die Wald-Apotheke
    Mwarif gehört zum Stamm der Mijikenda, der diesen Wald verehrt. Er ist Mitte 30, ein freundlicher, hoch gewachsener Mann, der gerne lacht. Mwarif bleibt vor einem Baum stehen.
    "Früher, als die Menschen noch keine Kleidung trugen, da nahmen meine Vorfahren die Rinde dieses Baumes, klopfen sie mit Steinen geschmeidig und machten daraus Lendenschurze."
    Das Volk der Mijikenda nutzt diesen Wald seit mehr als 600 Jahren. So ziemlich jede seiner 190 Pflanzenarten kann für einen bestimmten Zweck verwendet werden.
    "Wir haben hier im Wald viele Medikamente. Das hier ist der Krokodilbaum."
    Er zeigt auf einen Baum, dessen Zweige mit knubbligen Stacheln versehen sind.
    "Wenn man Zahnbluten hat, dann kann man entweder auf diesen Zweigen herum kauen oder aus ihnen einen Tee kochen, mit dem man gurgelt. Dann ist das Problem gelöst."
    Ein paar Meter weiter pflückt Mwarif ein Blatt von einem Busch, zerbricht und reibt es und lässt uns daran riechen. Scharf steigen uns ätherische Öle in die Nase.
    Ja, das ist wirklich eine gute Medizin, wenn die Nasennebenhöhlen zu sind!
    Mwarif zeigt uns essbare Pilze, lässt uns süßsaure Tamarindfrüchte kauen und gibt uns riesige Schneckenhäuser und Korallen aus der Zeit in die Hand, als dieser Grund noch Teil des Meeresbodens war.
    Im Zentrum des Waldes
    Und dann stehen wir plötzliche mitten im Wald vor einem kleinen Holztor.
    "Bevor ihr durch das Tor geht, müsst ihr die Schuhe ausziehen und dann werde ich Euch mit einem Zweig berühren und noch einmal willkommen heißen."
    Die Socken dürfen wir anbehalten. Mwarif steht schon mit dem Zweig in der Hand bereit.
    Wir sind im Zentrum des Waldes angekommen, dem heiligsten Ort von Kaya Kinondo, wo die Geister der Ahnen leben. Vorsichtig laufen wir auf Strümpfen über den weichen Waldfußboden. Mwarif erinnert uns noch mal an das Verbot, sich zu umarmen.
    "Wenn Euch das fehlt, dann umarmt doch einfach einen Baum. Ihr könnt ihn auch küssen. So könnt Ihr die Energie des Baumes in Euch aufnehmen."
    Ein bisschen albern kommen wir uns schon vor, als wir einer nach dem anderen den mächtigen Stamm umarmen und die Wange an die Rinde lehnen. Aber es fühlt sich auf eine seltsame Weise beruhigend an.
    "Dieser Baum ist 700 Jahre alt. Wenn Du ihn umarmst, dann nimmst du die Kraft all dieser Jahre auf. Das ist ein besonderer Baum zum umarmen und um davor zu meditieren."
    Die Ältesten beten zu den Geistern ihrer Vorfahren
    Noch weiter dürfen wir nicht in den Heiligen Wald hinein, denn dort liegen die Zeremonialzentren, kleine, nach oben spitz zulaufende Hütten aus dürren Zweigen, in denen die Ältesten Opfer darbringen und beten.
    "Wenn es keinen Regen gibt oder wir keine Fische mehr fangen, dann kommen wir hier her und bitten um Segen. Oder wenn ein Paar kein Kind bekommt, dann kommt es hier her, betet und opfert und bekommt dann ein Baby."
    Das funktioniert, so versichert Mwarif, sogar bei politischen Problemen.
    "Wir hatten ja gerade Wahlen, da gibt es immer Stress. Die Alten kamen her, beteten und alles kam in Ordnung."
    Das ist ein Ritual, bei dem Außenstehende nicht dabei sein dürfen. Die Ältesten beten dabei nicht etwa zu Gott, sondern zu den Geistern ihrer Vorfahren.
    "Am Besten betet man zu Big Helda. Das war ein großartiger Häuptling, der einst hier lebte. Man spricht mit ihm, und der vermittelt deine Wünsche dann weiter an Gott."
    Es wird dämmrig - Zeit, den Heiligen Wald zu verlassen. Niemand darf nachts hier sein, auch die Ältesten des Volkes der Mijikenda nicht. Denn nachts, so sagt Mwarif, sei hier einfach zu viel Magie.