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Kein afrikanischer Ursprung des Homo erectus?

Paläoanthropologie.- Funde von Steinwerkzeugen im südgeorgischen Dmanisi deuten darauf hin, dass dort bereits vor 1,8 Millionen Jahren Frühmenschen lebten. Das rüttelt stark an den bisherigen Lehrmeinungen zum Ursprung des Homo erectus.

Wissenschaftsjournalist Michael Stang im Gespräch mit Ralf Krauter | 07.06.2011
    Ralf Krauter: Laut Lehrbuch ist die Sache ganz einfach: Unsere Urahnen stiegen irgendwo in Afrika von den Bäumen, entwickelten sich in der Savanne weiter, bis ihr Gehirn so groß war, dass sie einfache Werkzeuge herstellen konnten. Und dann machten sie sich damit auf die Wanderschaft, um die Welt zu erobern. Das klingt plausibel, ist aber vermutlich falsch. Bereits 1991 wurden im südgeorgischen Dmanisi im Kaukasus nämlich Fossilien gefunden, die diese Theorie wackeln lassen. Neue Funde am selben Ort deuten jetzt darauf hin, dass dort bereits vor 1,8 Millionen Jahren Frühmenschen lebten, die Werkzeuge benutzten. Und damit eigentlich früher als erlaubt. Frage an Michael Stang, meinen Wissenschaftskollegen hier im Studio: Warum genau passen die neuen Funde nicht ins klassische Bild der Anthropologen?

    Michael Stang: Wenn man davon ausgeht, dass die Menschen, die diese Steinwerkzeuge, die jetzt entdeckt wurden und datiert wurden, hergestellt haben, zur Spezies Homo erectus gehören, wie es ja Homo erectus auch in Afrika gibt, dann passt das einfach nicht, weil die schon zu früh im heutigen Georgien, also im Kaukasus, waren. Denn man geht davon aus, dass sich Homo erectus erst vor 1,9 Millionen Jahren entwickelte und dann irgendwann begann die Wanderschaft bis nach Asien. Man kennt ja die berühmten Funde auch aus Java. Und wenn man jetzt Funde hat, mit 1,85 Millionen Jahre im georgischen Dmanisi - das passt nicht, weil es immer eine gewisse Zeit braucht, ehe sich eine Spezies entwickeln kann. Und von Ostafrika bis nach Georgien ist es ja auch noch eine ganze Strecke, die zu Fuß irgendwann überwunden wurde.

    Krauter: Homo erectus ist deshalb so spannend, weil er ja der Vorläufer des Homo sapiens ist. Er war das erste große Erfolgsmodell, das die Welt dann eroberte. Die Frühmenschen dort, die im Kaukasus lebten vor 1,8 Millionen Jahren, waren ihrer Zeit also offenbar sozusagen voraus. Woran genau machen die Forscher das denn jetzt fest, dass die dort schon so gut im Werkzeuggebrauch waren?

    Stang: Also man hat jetzt 122 Steinartefakte gefunden, also Steinwerkzeuge, relativ primitiv, aber die man wahrscheinlich dieser Menschenform zuordnen kann. In dieser neuen Lage wurden jetzt keine Knochen gefunden, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Fossilien, die man dort kennt - das sind mindestens sieben Individuen, die vor ein paar Jahren dort gefunden wurden -, dass die zu diesen Werkzeugen gehören. Und man weiß einfach jetzt: Man hat sehr viele Individuen. Da ist auch nichts pathologisch, also krankhaft Verändertes dabei. Es war eine Form, die sehr wahrscheinlich zu Homo erectus gehört. Das waren relativ große Menschen, auch wenn sie nur ein kleines Gehirnvolumen aufwiesen. Aber es gab diese Steinwerkzeuge und es war eigentlich das typische Menschenbild, was man vor Augen hat. Aber man muss jetzt einfach sagen: Die zeitliche Abfolge auf dem Stammbaum, die Evolution des Menschen, da hakt es irgendwo. Weil vor 1,9 Millionen Jahren sich erst der Homo erectus in Afrika entwickelte, aber gleichzeitig schon ähnliche Formen in Eurasien unterwegs waren.

    Krauter: Die Funde passen also nicht ins Bild. Wie müsste man das Bild denn modifizieren, den Stammbaum des Menschen, damit das Bild sich wieder zu einem Ganzen fügt?

    Stang: Was ganz spannend ist, ist, dass jetzt eine neue Datierung dieser neuen Funde, die gemacht wurden, mehr oder weniger eine ganze Palette an neuen Möglichkeiten auf den Tisch werfen. Zum einen gibt es diese klassische Theorie, dass man sagen kann, ja, diese Funde aus Dmanisi gehören zu Homo erectus. Das heißt, Homo erectus kann sich theoretisch in Afrika schon früher entwickelt haben. Aber wenn man sagt, Erectus hat sich früher entwickelt, müsste sich auch die Vorläuferform Homo habilis früher entwickelt haben. Und das ist relativ schwierig. Eine andere Erklärung ist, dass Homo erectus sich nicht zwangsläufig in Afrika entwickelt haben muss, sondern vielleicht auch in Eurasien, dann parallel nach Asien und nach Afrika gewandert ist, oder dass sich diese Form einfach an verschiedenen Stellen mehr oder weniger gleichzeitig entwickelt hat und es durch immer weitere Vermischung dieses einheitliche Bild gibt. Oder eine andere Möglichkeit wäre auch: Es ist überhaupt nicht Homo erectus, den man da in Georgien hat, sondern aufgrund dieses kleinen Hirnvolumens deutet auch einiges darauf hin, es könnten Vertreter von Homo habilis, der Vorgängerform, sein. Und das ist einfach ein sehr kompliziertes Bild. Und man weiß eigentlich nicht genau, was das ist.

    Krauter: Das wäre ja eigentlich die einfachste Erklärung. Da müsste man gar nichts umwerfen, wenn es gar kein Homo erectus wäre, was sie zuletzt ansprachen. Woran liegt es, dass man das überhaupt nicht festmachen kann? Die Klassifikation ist offenbar sehr schwammig in diesem Feld.

    Stang: Man muss sagen, das sind ja einfach nur Namen, die diesen Spezies gegeben werden, praktisch Schubladen, in die man die Knochen legt, um damit hantieren zu können, dass man weiß, wovon man redet. Und wenn diese Schubladen, wenn man bei diesem Bild bleiben möchte, irgendwann zu voll sind, muss man sagen: Okay, wir haben es hier wahrscheinlich doch mit mehr als einer Spezies zu tun. Ob die jetzt zu unseren direkten Vorfahren gehören, sei dahingestellt. Es ist wahrscheinlich eine nah verwandte Form, vielleicht eher ein Cousin oder eine Cousine. Was es genau ist, das weiß man nicht. Die Forscher sagen, wir brauchen einfach noch mehr Fossilien, um ein stimmiges Bild zu bekommen.