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Kein Geld, keine Zeit, kein Platz

"Schweigen, Lügen und Vertuschen - Wenn die Wahrheit nicht mehr öffentlich wird", so lautete das Motto des 14. Mainzer Mediendisputs. Doch bei der Veranstaltung stellte sich schnell heraus, dass heutzutage weniger gelogen und vertuscht als schlicht überhaupt nicht mehr recherchiert wird.

Von Brigitte Baetz | 14.11.2009
    "Von einer sehr auflagenstarken Qualitätszeitung erhielt ich in diesem Frühjahr für eine volle Woche Arbeit 200 Euro. Ein Medienmagazin bat mich kurz darauf um eine Buchrezension. Auf meine kühne Nachfrage nach einem Honorar kam die Antwort, ich könne ja das Buch behalten."

    Tom Schimmeck, ehemaliger Spiegel-Redakteur, taz-Mitbegründer und renommierter freier Autor, sagt: Von Zeilenhonoraren kann heutzutage kein Mensch mehr leben. Ihm selbst ginge es nur deshalb gut, weil er viel für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk arbeiten könne, einem, so sagt er, der letzten Zufluchtsorte des Qualitätsjournalismus.

    "Fragen Sie heute mal einen Redakteur am Telefon nach Reisespesen. Da kommen manchmal Geräusche aus der Hörmuschel, die sie bislang nur aus Hagenbecks Tierpark kannten."

    Kein Geld, keine Zeit, kein Platz: wer noch genau recherchiert, wer das Handwerk Journalismus noch ernst nimmt, meint Schimmeck, verhält sich als freier Autor wie ein ökonomischer Idiot. Für Qualität kann und will heutzutage kaum noch eine Redaktion angemessen bezahlen. Eine Folge des Spardrucks in den Redaktionen, der kostenlosen Konkurrenz durch das Internet, des abnehmenden Gefühls dafür, dass Qualität Geld kostet. Darunter leidet nicht nur die stetig steigende Zahl freier Journalisten, sondern auch die Ausbildung, wie der Medienpublizist Bernd Gäbler aus der Lehrpraxis von Publizistikstudenten zu berichten wusste.

    "Bei mir ist das vor allem der ostwestfälische Raum, Neue Westfälische, zum Teil WAZ-Gruppe. Die schreiben dort, wenn sie ne halbe Seite haben, kriegen sie 24 Euro und dazu gesagt: sie müssen auch noch drei Fotos liefern zu dem Thema. Und, was ich das Furchtbarste finde, denn als Sprungbrett kann man so was ja machen: es bürgert sich ein, dass diese Verantwortlichen für die Lokalseiten nichts mehr redigieren."

    Der Nachwuchs bekommt nicht mehr beigebracht, wie eine gute Nachricht auszusehen hat und auch der Leser wird nicht mehr ernst genommen. Ein unglaublicher Niedergang des Lokaljournalismus, so Gäbler. Doch auch in der Hauptstadt, meint die Parlamentskorrespondentin der Berliner taz, Ulrike Winkelmann, sieht es nicht viel anders aus.

    "Ehrlich gesagt, finde ich, dass das Wort Qualitätsjournalismus nur zum geringsten Teil angewendet werden sollte auf das, was dort zum Beispiel für sehr viel Geld ver-x-facht wird. Für die Art und Weise, wie natürlich immer und immer wieder voneinander abgeschrieben wird. Wie bestimmte Leitthesen der Regierung nie hinterfragt werden auch im Sinne von wissenschaftlich ausgelotet werden und daher wundere ich mich eigentlich überhaupt nicht, dass viele Leute nicht bereit sind, im Internet für die Inhalte, die sie sonst bezahlen müssten, (nicht) mehr zu bezahlen, weil sie einfach nicht mehr erkennen, was eigentlich der Wert dieser Nachrichten sein sollte."

    Der Journalismus ist in der Krise, nicht nur einer ökonomischen, auch in einer des Selbstverständnisses. Es fehle den Kollegen an Mut und Haltung, sagt Gerhard Manthey, Gewerkschaftssekretär bei ver.di. Eine Teilschuld für die Entwicklung hin zu Redaktionsschließungen und Stellenabbau liege auch bei den Journalisten selbst.

    "Weil sie nicht genug Ärger machen. Sie haben Angst. Das ist verständlich. Man muss ihnen aber bewusst machen, dass, wenn sie sich nicht wehren, die Verleger von ihnen alles nehmen, was sie bekommen werden."

    Stefan Weichert vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin geht noch einen Schritt weiter. Für ihn gibt es grundsätzlich keine Existenzgarantie für Journalisten und auch keine für Qualitätsjournalismus. Wer sich jetzt, als Medienunternehmen oder als Journalist, nicht auf die neuen Gegebenheiten des Internet einstelle, der drohe den Anschluss zu verlieren. Die Entwicklung in den USA sei dabei Menetekel und Vorbild in einem.

    "Die ganzen Leute, die jetzt gegangen worden sind, was machen die: die machen sich alle selbstständig. Die gründen eigene Blogs, die gründen eigene Websites, vor allem. im Lokal-, Regionaljournalismus. Das wünsch ich mir manchmal in Deutschland auch, dass ein bisschen mehr Experimentiergeist herrscht, weil ich glaube, dann können wir es schaffen."