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"Kein guter Stil"

Der Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg, hat Länder, kommunale Arbeitgeberverbände und ver.di dazu aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Nur so könne dieser unnötige Tarifstreit beendet werden. Der Tarifvertrag sei erst vor vier Monaten unterzeichnet worden. Ihn jetzt zu kündigen sei "keine vertrauensbildende Maßnahme", so Schmalstieg.

Moderation: Christine Heuer | 07.02.2006
    Christine Heuer: In Baden-Württemberg streiken sie seit gestern und die kommunalen Angestellten in anderen Bundesländern könnten bald folgen. Zu den Ländern, in denen die Urabstimmung gerade läuft, gehört Niedersachsen. Dort, hat ver.di gestern angekündigt, könnte der Streik vielleicht sogar noch in dieser Woche beginnen. Einen Vorgeschmack hat das Land am 1. Februar bei landesweiten Arbeitsniederlegungen bereits erlebt. Betroffen davon natürlich auch die Landeshauptstadt Hannover und damit ihr Oberbürgermeister, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen Herbert Schmalstieg!

    Herbert Schmalstieg: Guten Morgen Frau Heuer!

    Heuer: Sie haben, Herr Schmalstieg, Fehler auch auf der Arbeitgeberseite moniert. Hat ver.di Recht zu streiken?

    Schmalstieg: Natürlich hat jede Gewerkschaft das Recht zu streiken, aber warum streiken sie zurzeit? Was ich moniert habe und was ich auch nach wie vor moniere ist, dass erstens die Tarifgemeinschaft der deutschen Länder sich herausgelöst hat aus der Tarifsolidarität mit den Kommunen und dem Bund. Deswegen fordere ich auf, dass die Länder wieder mit ver.di verhandeln. Und zweitens, was die kommunalen Bereiche angeht in Niedersachsen und auch in Baden-Württemberg, haben beide Bundesländer ohne Not von den kommunalen Arbeitgebervereinigungen einen Tarifvertrag gekündigt, der erst vor wenigen Monaten abgeschlossen worden ist, der zu Stande gekommen ist, weil damals die kommunalen Arbeitgeber wollten, dass die Arbeitszeit verlängert wird, und ver.di wäre nicht bereit gewesen, einen solchen Tarifvertrag abzuschließen. Der neue Tarifvertrag hat viele Neuerungen für den öffentlichen Dienst, hat das Tarifrecht völlig verändert und geändert. Es gibt Möglichkeiten, vieles auszuprobieren. Wir haben das in Hannover gemacht. Und nach vier Monaten kündigt man! Das ist keine vertrauensbildende Maßnahme und deswegen habe ich mich in Niedersachsen mit einigen anderen Kollegen massiv gegen die Kündigung dieses Tarifvertrages ausgesprochen.

    Heuer: Aber die Öffnungsklausel, Herr Schmalstieg, die Öffnungsklausel nämlich für längere Arbeitszeiten, um die es ja jetzt geht, die war doch in diesem Tarifvertrag festgeschrieben worden. Insofern halten die Kommunen sich doch nur an die beschlossene Vereinbarung?

    Schmalstieg: Ja, das ist richtig. Nur wenn ich einen Tarifvertrag mache und weiß auf beiden Seiten, dass er nicht zu Stande kommt, mit vielen Neuerungen, die auch Leichtlohngruppen und Ähnliches vereinbart hätten, dann probiere ich erst mal die Neuerungen aus und setze nicht den Frieden aufs Spiel, indem ich nach vier Monaten kündige, weil beide Seiten wussten, dass das ein ganz sensibles Thema ist. Man hätte hier weiter erst mal verhandeln müssen und nicht verhandeln unter dem Druck einer Kündigung. Es gibt einige Städte – zu denen gehört auch Hannover -, die gesagt haben, wir werden die Möglichkeiten, jetzt längere Arbeitszeiten zu vereinbaren ab 1. Februar, nicht anwenden. Übrigens wäre damit auch nicht das zu erreichen, was die kommunalen Arbeitgeber zum Teil meinen, nämlich dass dadurch es eine Haushaltsentlastung gibt. Wir haben das anders gemacht. Wir haben im letzten Jahr einen eigenen Tarifvertrag mit ver.di abgeschlossen, als Stadt über den kommunalen Arbeitgeberverband, wo wir erstens Beschäftigungssicherung bis 2011 garantiert haben und zweitens die Arbeitnehmer verzichten auf zwei Prozent ihres Bruttolohns. Das ist etwas, was Solidarität ist und was Haushaltsentlastung bringt. Über den Zeitablauf dieses Tarifvertrages sind das bei uns über 35 Millionen Euro.

    Heuer: Und das reicht aus? Mehr Geld müssen Sie gar nicht einsparen?

    Schmalstieg: Natürlich müssen wir mehr Geld einsparen. Nur es ist doch eine Rechnung, die nicht aufgeht, wenn man sagt, 18 Minuten soll man am Tag länger arbeiten und dann könne man dort sehr viel Geld sparen, wenn man Arbeitsplätze reduziert, Arbeitsplätze abschafft. Das ist ja der Hauptpunkt, gegen den die Gewerkschaften sich wenden. Wenn bei uns theoretisch 130 bis 200 Arbeitsplätze nicht mehr vorhanden wären, wäre das auch nur der Fall, denn es gibt einige Bereiche, wo kleine Arbeitseinheiten sind. Wenn da fünf Kollegen oder Kolleginnen 18 Minuten länger arbeiten, kann man keinen Arbeitsplatz einsparen. Deswegen glaube ich muss man hier erreichen und erwarten, dass beide Seiten, ver.di wie auch die kommunalen Arbeitgeber und auch die Tarifgemeinschaft der Länder, endlich an den Tisch kommen, um hier einen Streit, der unnötig ist zu diesem Zeitpunkt, auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger, der Einwohnerinnen und Einwohner unserer Städte auszutragen.

    Heuer: Wenn beide Parteien zurückgehen an den Verhandlungstisch, Herr Schmalstieg, wo könnte denn da der Kompromiss liegen?

    Schmalstieg: Ich kann mich jetzt hier nicht einmischen in die Verhandlungen der Tarifvertragsparteien, aber ich weiß, dass es eine Reihe von Kompromissen gegeben hätte, die wohl auch die Gewerkschaftsseite bereit gewesen wäre einzugehen. Nun hat das eskaliert, weil man offensichtlich – ich will ja nicht bösartig sein, weil das meinem Naturell gar nicht entspricht – versucht, auch zum Teil aus wahltaktischen Gründen zu diesem Zeitpunkt dieses zu organisieren. Wenn das so wäre, wäre es schlimm, denn das gehört nicht dahin.

    Heuer: Will heißen der baden-württembergische kommunale Arbeitgeber an sich hat diesen Streik bewusst provoziert?

    Schmalstieg: Ich will nicht sagen bewusst provoziert. Das war ja, wie Sie zu Recht sagen, eine Möglichkeit, den Tarifvertrag zu kündigen. Nur aus meiner Sicht – das gilt für Niedersachsen gleichermaßen wie für Baden-Württemberg – war zu diesem Zeitpunkt die Kündigung des Tarifvertrages nicht angemessen. Wenn man vor vier Monaten einen Tarifvertrag abschließt mit Änderungen, über die man über Jahre verhandelt und gestritten hat, der ein völlig neues Tarifgefüge und ein neues Tarifrecht und ein neues Arbeitsrecht auch gebracht hat für den öffentlichen Dienst im kommunalen Bereich, wenn man dann nach vier Monaten die Vertrauensbasis zumindest beeinträchtigt, dann ist das finde ich kein guter Stil. Deswegen habe ich bei uns in Niedersachsen – ich will mich nicht zu Baden-Württemberg äußern – bereits im vergangenen Jahr rechtzeitig, als die ersten Diskussionen begannen, davor gewarnt, diese Option der Kündigung zu ziehen.

    Heuer: Andererseits, Herr Schmalstieg, hat ver.di ja auch etwas von dem Streik. Ver.di mobilisiert damit nämlich die eigenen Mitglieder und das ist auch dringend nötig, denn das sind ja immer weniger.

    Schmalstieg: Ich bin jetzt hier nicht der Schiedsrichter, um zu erklären, ob ver.di davon profitiert. Sicherlich! Ich glaube, dass es richtig und gut ist – ich will mich da nicht einmischen -, wenn es neben starken Arbeitgeberverbänden auch starke Gewerkschaften gibt, weil die einen wesentlichen Beitrag dazu mit geleistet haben, um den Aufbau unserer Demokratie in Deutschland voranzubringen.

    Heuer: Sie selbst haben längere Arbeitszeiten für Hannover ausgeschlossen. Wir haben das gerade noch einmal gehört. Das heißt aber sicher nicht, dass Sie in Hannover vom Streik verschont werden?

    Schmalstieg: Nein, das heißt es nicht. Ich will aber noch eines sagen: Es ist ja so, dass der alte Tarifvertrag mit den 38,5 Stunden für alle weiter gilt, für alle Beschäftigten weiter gilt, bis ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen worden ist. Sie können nur bei Neueinstellungen oder bei Förderung Neueinstellungen zu einer anderen Arbeitszeit, meinetwegen über 40 Stunden sogar, vereinbaren. Wenn wir dieses realisieren würden, gibt es ja praktisch ein Drei-Klassen-Recht, sage ich mal. Die Beamten müssen schon 40 Stunden arbeiten. Das ist geregelt. Alle Tarifbeschäftigten, die bei der Stadtverwaltung beschäftigt sind, werden weiterhin 38,5 Stunden arbeiten. Nur mit diejenigen – in Hannover waren das 25 oder 29 im vergangenen Jahr -, die neu eingestellt worden sind, könnte ich vereinbaren, dass sie 40 Stunden arbeiten. Und da will mir jemand erzählen, dass das ein großer Fortschritt und ein Durchbruch ist? – Wenn man das sieht, diese Situation, und vergleicht sie mit der Auseinandersetzung, wie sie jetzt ist, dann sage ich noch einmal ist die Kündigung zu diesem Zeitpunkt nicht angemessen.

    Heuer: Herr Schmalstieg, aber wenn trotz dieser Vorgaben auch in Hannover gestreikt werden wird, dann bleibt es dabei: Sie haben ein gewisses Verständnis für ver.di?

    Schmalstieg: Ich habe unseren Mitarbeitern gesagt, in Hannover braucht man normalerweise nicht zu streiken, weil wir erstens einen eigenen Tarifvertrag haben, zweitens ich erklärt habe, dass ich die Möglichkeit einer verlängerten Arbeitszeit nicht praktizieren werde. Wenn ver.di jetzt im Rahmen einer Urabstimmung streikt, hätte ich persönlich bei der Stadtverwaltung Hannover dafür kein Verständnis. Das habe ich den Kolleginnen und Kollegen auch gesagt. Aber auf der anderen Seite sehe ich natürlich die Gesamtsituation und wir werden uns darauf einstellen.