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Kein Nachwuchs für den Fadenwurm

Gesundheit.- Mit der Industriechemikalie Bisphenol A lassen sich große Mengen Plastik herstellen. Allerdings ist der Stoff gesundheitsgefährdend. Wie sehr genau, wollen Genetiker von der Harvard Medical School mithilfe eines winzigen Fadenwurms herausfinden.

Von Marieke Degen | 09.11.2010
    Bisphenol A ist praktisch überall. In Babyfläschchen, in Plastikschläuchen auf der Intensivstation, im Thermopapier von Kassenbons, in Lebensmittelverpackungen und in Flammschutzmitteln. Für Monica Colaiacovo ein Anlass zur Sorge.

    "In Studien sind die Konzentrationen von Bisphenol A in Blut oder Urin gemessen worden, Bisphenol A wird da mit Herzkrankheiten in Verbindung gebracht, und mit Volkskrankheiten wie Diabetes. Und bei extrem hohen Konzentrationen im Urin steigt anscheinend die Gefahr, eine Fehlgeburt zu erleiden."

    Monica Colaiacovo ist Genetikerin an der Harvard Medical School in Boston, sie wollte genauer wissen, wie es zu diesen Fehlgeburten kommen kann. Bisphenol A ist ein sogenannter endokriner Disruptor, ein Stoff, der in das Hormonsystem von Mensch und Tier eingreifen und offenbar die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann. Das haben schon diverse Studien mit Ratten und Mäusen gezeigt, aber:

    "Wir haben immer noch nicht verstanden, was genau Bisphenol A in unserem Körper anstellt. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob es bestimmte Gene direkt schädigt, oder die Funktion von Genen stört."

    Monica Colaiacovo hat sich deshalb ein anderes Versuchstier vorgenommen: Den Fadenwurm C. elegans. Das Tier ist gerade mal einen Millimeter lang, trotzdem haben wir Menschen einiges mit ihm gemeinsam. Viele Fadenwurm-Gene sind auch in unserem Erbgut zu finden, und sie haben die gleiche Funktion. Die Forscher haben die Würmer in ihrem Labor auf speziellen Platten gehalten, die mit Bispehnol A bestrichen waren.

    "Die Würmer waren der Chemikalie permanent ausgesetzt. Sie haben Bisphenol A gefressen, aber auch über ihre Haut aufgenommen."

    Im Wurmkörper hat sich eine große Menge an Bisphenol A angesammelt. Wie bei Menschen, die zum Beispiel in Plastikfabriken arbeiten, und die ebenfalls hohen Bisphenol-A-Konzentrationen ausgesetzt sind.

    "Da waren die Würmer kaum noch fruchtbar. Sie haben sechsmal weniger Eier gelegt als sonst. Außerdem haben sich die Eier nicht entwickelt: Praktisch alle Embryonen sind gestorben."

    Die Forscher hatten den Verdacht, dass schon bei der Entwicklung der Eier etwas schief läuft, genauer gesagt: bei der Zellteilung. Sie haben sich also die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Eier genauer angesehen.

    "Die Chromosomen im Zellkern waren zum Teil zerbrochen, sie sahen richtig ausgefranst aus. Und manchmal lagen sie nicht einzeln vor, sondern zusammengeklumpt. Das hat dazu geführt, dass sie sich nicht richtig teilen konnten. Dass nach der Teilung in einer Tochterzelle mehr Chromosomen waren als auf der anderen, und sich die Eier nicht richtig entwickeln konnten."

    Doch was hat Bisphenol A damit zu tun? Eine ganze Menge: Die Forscher fanden heraus, dass die Chemikalie ein paar wichtige Gene lahmgelegt hatte.

    "Und zwar waren das Gene, die dafür verantwortlich sind, dass Brüche in der DNA geflickt werden. Wenn dieser Reparaturmechanismus nicht mehr funktioniert, dann kommt es zu genau den Störungen in den Chromosomen, die wir beobachtet haben."

    Menschen haben die gleichen Reparaturgene wie die Laborwürmer. Es ist also gut möglich, das Bisphenol A im menschlichen Körper ganz ähnlich wirkt, sagt Monica Colaiacovo.

    "Unsere Studie gibt noch ein bisschen mehr Anlass zur Sorge. In hohen Konzentrationen kann Bisphenol A die Fortpflanzungsfähigkeit beeinflussen, dessen sollten wir uns bewusst sein. Menschen sollten solchen hohen Konzentrationen nicht ausgesetzt werden, daran müssen wir arbeiten."

    Immerhin: In Kanada ist Bisphenol A als gesundheitsschädlich eingestuft worden und darf nicht mehr in Babyfläschchen verwendet werden. In Deutschland wird die Chemikalie aber nach wie vor eingesetzt.