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Kein Ponyhof für Arbeitnehmerrechte

Die ARD-Reportage über die Arbeitsverhältnisse beim Internet-Versandhändler Amazon haben ein gewaltiges Echo hervorgerufen. In einem neuen Lager Koblenz beschäftigt der Konzern rund 1800 zumeist ungelernte Kräfte. Kritiker bemängeln fehlende Transparenz und eine schlechte Rechtslage der Angestellten.

Von Ludger Fittkau | 21.02.2013
    Ein neues Gewerbegebiet - westlich von Koblenz, in der Nähe eines Autobahnkreuzes. Der amerikanische Internethändler Amazon hat hier auf freiem Feld im vergangenen Jahr eine Lagerhalle errichtet. Graue Fassade, gelbe Fensterrahmen und Tore. Einige Amazon-Lagerarbeiter stehen hinter dem Werkszaun in leuchtenden Sicherheitswesten bei der Zigarettenpause.

    Seit mehreren Tagen habe ich über die Münchener Pressestelle des Konzerns versucht, einen Ansprechpartner in Koblenz zu finden. Doch E-Mails blieben unbeantwortet, Telefonanrufe endeten auf Anrufbeantwortern. Die Bitte um Rückruf - vergeblich. Jetzt drücke ich am Eingang zum Werksgelände die Schelle, die neben den Drehtüren angebracht ist, durch die einzelne Arbeiterinnen und Geschäftspartner von Amazon eingelassen werden.

    "Hier ist Fittkau vom Deutschlandfunk. Ich hätte gerne jemanden von der Geschäftsleitung gesprochen"

    "Eine Sekunde bitte, ja.
    Ich kann den Chef leider nirgendwo erreichen, der ist irgendwo unterwegs. Ich kann ihn leider nicht finden."

    "Kann ich den denn telefonisch erreichen?"

    "Da kann ich ihnen leider nichts rausgeben."

    Der Security-Mann am anderen Ende der Leitung hat auch keinen Tipp, auf welchem anderen Weg ich mit einem Amazon-Verantwortlichen in Koblenz in Kontakt treten kann.

    Rund 1.800 meist ungelernte Kräfte aus der Region beschäftigt Amazon zurzeit in Koblenz, davon rund 1.000 Festangestellte. Mehr als ursprünglich geplant, sagt am Telefon Frank Schmidt, einer der Geschäftsführer der Koblenzer Arbeitsagentur. In der Diskussion werde jetzt leider vergessen, dass Amazon Menschen zu akzeptablen Löhnen eine Perspektive biete, die zuvor zum Teil jahrelang arbeitslos waren. Das bestätigt auch Norbert Faltin, Festangestellter bei Amazon und dort Vertrauensmann der Gewerkschaft ver.di:

    "Es gibt 8.000 Mitarbeiter, die fest angestellt sind in Deutschland, und ich gehe auch davon aus, dass die alle ihr Bestes geben, und ich sage auch ganz bewusst – zufrieden sind. Und genauso wie ich 100 Prozent "Amazonier" sind. Das wollen wir mal feststellen. Das sind aber die Festangestellten. Und darüber hinaus haben wir genau so viel Befristete und wir haben natürlich noch Leiharbeiter. Und dann kann man sagen: Bei der Stufe Zwei – Befristungen. Herrscht natürlich Druck und herrscht Angst. Weil man nicht planen kann, keine Planungssicherheit hat und eigentlich nie weiß, wann geht es zu Ende, oder wann wird es verlängert. Also, man hat Angst."

    Doch für viele Ungelernte wird Amazon auch künftig keinen Dauerarbeitsplatz bieten können - denn Internet-Versandhandel gerade mit Büchern ist Saisongeschäft. Hauptstoßzeit ist vor Weinnachten. Bis zu 3.300 ungelernte Beschäftigte braucht Amazon in Koblenz dann zum Packen und Verladen. Auf Leiharbeiter aus dem Ausland müsse der Konzern eigentlich nicht zurückgreifen, betont Frank Schmidt von der Arbeitsagentur. Der Bedarf könnte mit heimischen Packern gedeckt werden. Ver.di-Vertrauensmann Norbert Faltin findet es jedoch gut, dass auch Wanderarbeiter aus südeuropäischen Krisenländern bei Amazon in Deutschland arbeiten können:

    "Ich denke da speziell an Spanien und Griechenland. Das befürworte ich ausdrücklich. Aber gleichzeitig sage ich: Solidarität ist angesagt, gleiche Arbeit, gleicher Lohn. Es kann nicht sein, dass diese Leiharbeiter nach Deutschland kommen, dann keinen Vertrag bei Amazon bekommen, sondern bei einer Leiharbeitsfirma. Und dann auch noch zwei Euro weniger verdienen und dann auch irgendwo untergebracht werden, das sei mal dahingestellt, was nicht deutschen Standards entspricht. Dafür muss ich mich als Deutscher, als Gewerkschaftler schämen, und das möchte ich nicht."

    Den obersten Gewerkschafter in Rheinland-Pfalz treffe ich wenig später in Mainz. Dietmar Muscheid ist Vorsitzender des DGB-Bezirks West, zu dem die Länder Rheinland-Pfalz und das Saarland zählen. Er spricht von einem US-amerikanischen "System Amazon":

    "Eben ein System, dass einerseits nicht mit notwendiger Transparenz in diesem Markt agiert und zum zweiten einem nicht unerheblichen Teil seiner Beschäftigten Rechte vorenthält. Und im Grundsätzlichen ein Unternehmen, das sich wohl schwer damit tut, nach in Deutschland gültigen Sitten und Gebräuchen zu agieren. Dazu gehört nach unserem Selbstverständnis Betriebsrat, dazu gehört, dass man Tarifverträge hat und diese auch anwendet und nicht alleine entscheidet, wie man Menschen bezahlt. Unabhängig von all dem, was wir da lesen, durften und sehen und hören, konnten mit Anwerbungen aus ganz Europa und der Unterbringung und all dem, was da noch skandalisiert wurde, zurecht skandalisiert wurde."

    Eine Bushaltestelle gleich neben dem Parkplatz am Koblenzer Amazon- Werksgelände: Hier halten die Pendelbusse, die die Packer zum Schichtwechsel aus der Stadt auf das Feld am Stadtrand bringen, auf dem der Internethändler sein Lagerhaus errichtet hat. Hier hielten vor Weihnachten auch die Busse mit den Wanderarbeitern, die in einer leer stehenden Ferienhaussiedlung in der Eifel untergebracht waren. Auch Norbert Faltin gehörte eine Zeit lang zu diesen Wanderarbeitern, bevor er den unbefristeten Vertrag bei Amazon bekam.

    "Ich habe selber mal in einem solchen Ferienpark geschlafen – ich sage da nichts drüber."

    Der Imageschaden seines Arbeitgebers sei ohnehin schon groß genug, begründet Norbert Faltin in diesem Fall sein Schweigen. Doch den Mund verbieten lassen wird er sich nicht. Sein nächstes Ziel: ein Tarifvertrag. Ein hartes Stück Arbeit wird das – da macht sich der ver.di-Mann Faltin keine Illusionen. Amazon auf dem Acker bei Koblenz ist kein Ponyhof für Arbeitnehmerrechte.