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Kein Riechen ohne Schmecken

Es gibt nicht nur Menschen, die man nicht riechen kann, es gibt auch Menschen, die nicht riechen können. Keine lebensbedrohliche Krankheit, aber eine, die die Lebensqualität deutlich einschränkt. Sündhaft teurer Rotwein schmeckt wie abgestandene Cola, raffiniert komponierte Gerichte wie fader Mikrowellenfraß. Hilfe bei diesem Leiden finden Patienten an der Universität Dresden, die gar ein eigenes Zentrum für Riech- und Schmeckstörungen aufgebaut hat.

Von Mirko Smiljanic | 27.01.2004
    Es war ein Schock, erzählt Kathrin Reimer aus Magdeburg, als sie vor vier Monaten feststellen musste: "Ich schmecke nichts und mit dem Riechen hapert es auch." Egal, was sie isst; egal, woran sie riecht – alles wirkt konturenlos, irgendwie grau. Ihr Hausarzt überwies sie schließlich an das Riech- und Schmeckzentrum der Universität Dresden. Dort erfuhr sie zunächst Fakten über die beiden ältesten Sinne des Menschen: Etwa dass untrainiert Menschen nur 20 bis 30 Gerüche riechen, trainierte Parfumeure dagegen 2.000 Aromen unterscheiden. Dass Menschen – egal ob trainiert oder nicht – aber nur Viererlei schmecken: Süßes, Saures, Salziges und Bitteres. Wer Weine erdig, blumig oder sonst wie erlebt, hat das Erdige oder Blumige deshalb gerochen – niemals geschmeckt! Vorausgesetzt natürlich, die Nase funktioniert.

    Die Hauptursache ist, wenn die Riecharomen nicht mehr in die Nase reinkommen, wenn die Nase verstopft ist oder wenn Polypen beim chronischen Schnupfen die Nase verlegen, das sind die Entzündungen; dann gibt es Unfälle, Trauma, also, wenn man auf den Hinterkopf fällt, dann können die ganz zarten Riechfasern an der Schädelbasis abgeschert werden, manchmal wachsen sie wieder aus, manchmal aber sind sie wieder kaputt.

    Professor Karl-Bernd Hüttenbrink, Direktor der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Universität Dresden und Leiter des Riech- und Schmeckzentrums. Eine weitere Ursache für Riechstörungen sind Grippeviren: Sie zerstören – manchmal, nicht immer – die Riechnerven; ebenfalls manchmal, aber nicht immer regenerieren sich die Nervenfasern.

    Die einzige Form der Riechstörung, die man heute behandeln kann, ist die chronische Entzündung der Nebenhöhlen, der Nase, oder Polypen; da kann man operativ dran gehen oder mit Sprays kann man den Weg der Aromen zur Riechschleimhaut wieder herstellen. In all den anderen Fällen konnte man bisher gar nichts machen. Man stand vor einem therapeutischen Dilemma,...

    …das sich aber glücklicherweise nach und nach auflöst. Zunächst einmal versuchen die Dresdner HNO-Ärzte klassische Medikamente intelligenter einzusetzen. Ein klassisches Medikament ist Cortison, um chronische Entzündungen der Nebenhöhlen in den Griff zu bekommen. Allerdings muss das hochwirksame Medikament in Form von Tabletten verabreicht werden, für Sprays ist der Weg zum Riechepithel unter der Schädelbasis viel zu weit. Folge: Die Patienten leiden nach kurzer Zeit unter massiven Nebenwirkungen. Aus diesem Grund platzieren Karl-Bernd Hüttenbrink und sein Team Cortison in kleinen Mengen direkt auf die Riechschleimhaut.

    Da sind wir jetzt am Testen, ob man lokal – also örtlich – durch Einlage von spezielle kleinen Trägersubstanzen dort eine Dauerwirkung erzeugen kann, das sind keine Substanzen, Puder oder so, sondern kleine Plättchen, die dann einmal eingelegt werden und die dann für vier Wochen den Riechsinn wieder herstellen können.

    Eine zweite Therapievariante ist Alphaliponsäure, die die Nervenaussprossung fördert und häufig Diabetespatienten verabreicht wird. Interessant ist diese Behandlungsmethode vor allem dann, wenn eine Virusgrippe die Geruchsnerven geschädigt hat,…

    …und wenn man von der Hypothese ausgehet, dass nach einer Virusgrippe die Riechzellen einfach keine Verbindung mehr zum Gehirn haben, also da, wo dir Riechfasern die Nervenzellen einmüden lassen ins Gehirn, dass man diese Aussprossung fördert durch dieses Medikament, das wirkt zum Beispiel bei diabetischen Nervenschäden, in dem es die Nervenaussprossung fördert, und wir haben gesagt, wir versuchen das mal bei Riechstörungen, und es scheint zu wirken. Wir sind gerade bei der Auswertung einer großen Doppelblindstudie, um das auch wissenschaftlich zu untermauern.

    Parallel zu dieser Studie, untersuchen die Dresdner Wissenschaftler die Wirkung von Vitamin B und Caroverin, ein Glutamat-Antagonist, den Ärzte als Krampflöser bei Tinitus und Hörsturz verschreiben. Zum Renner könnte sich zudem das Dresdner Riechtraining entwickeln. Karl-Bernd Hüttenbrink hatte beobachtet, dass 50 Prozent aller Menschen einen bestimmten Geruchsstoffe aus dem Tierreich – Androstenon – wahrnehmen, während die andere Hälfte nichts riecht. Schnüffelt nun die nichts riechende Hälfte regelmäßig an Androstenon-Proben, ändert sich nach zwei Wochen das Bild: Auch sie riechen die Substanz, die übrigens Eber empfängnisbereiten Sauen unter die Nase reiben, um sie während der Paarung in eine so genannte Duldungsstarre zu versetzen… Das bedeutet: Riechen lässt sich trainieren – vielleicht auch bei Menschen mit gestörtem Geruchssinn. Um dies zu testen, verteilen die Dresdner Forscher ein Set mit sieben Duftstoffen, unter anderem mit Zimt, Rosenöl und Eukalyptus. Und weil Riechen unmittelbar die Gefühle von Menschen beeinflusst, spielt ein kleines bisschen Psychotherapie auch noch eine Rolle.

    Eine der unangenehmsten Begleiterscheinungen bei der Riechstörung ist die so genannte Parosmie, das heißt, der Patient riecht falsch, das heißt, der Patient merkt, dass da noch was ist, wenn er beispielsweise eine Kaffeetasse nimmt, aber es riecht nicht nach Kaffee sonder manchmal ganz unangenehm, nach Jauche, sagt der Patient, er leidet natürlich darunter. Das ist manchmal ein Zeichen der Regeneration, wenn ein Teil der Nervenzellen ausgefallen ist, und in der Phase der Regeneration, melden die falsche Impulse ans Gehirn, und dann sagt das Gehirn, uhhh, das ist ja wir Jauche, leider. Wenn man diese Patienten jetzt psychologisch betreut, zum Beispiel mit der Akupunktur, fördert man zwar nicht das Riechen als solches, aber die Wahrnehmung. Ich habe als Patienten gehabt, die sagen, ja, ja, das reicht zwar noch unangenehm, aber das macht mir nichts mehr aus.