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"Kein Stadion, sondern eine Baustelle"

Die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine im nächsten Jahr bereitet der UEFA seit langem Kopfzerbrechen. Vor allem die Ukraine gilt als Sorgenkind: Korruption und Chaos an der Staatsspitze behindern die Vorbereitungen. Polen präsentierte sich dagegen als Musterknabe: Schon in diesem Sommer sollten die Stadien bespielbar und die Autobahnen in spätestens einem Jahr befahrbar sein. Inzwischen aber häufen sich auch im Land an der Weichsel die Probleme.

Von Florian Kellermann | 02.06.2011
    Noch vor wenigen Wochen wollten die Verantwortlichen gar keinen Zweifel aufkommen lassen: Die PGE Arena in Danzig werde wie geplant am 9. Juni mit einem Freundschaftsspiel zwischen Polen und Frankreich eingeweiht, versicherten sie. Es wäre der perfekte Start für das Stadion gewesen, das von außen wie ein riesiges gelbes Bonbon aussieht. Aber die Polizei machte dem Fußballverband einen Strich durch die Rechnung. Sie könne den Bau in seiner jetzigen Form nicht abnehmen, sagt Polizeisprecherin Aleksandra Siewert:

    "Es fehlt hier noch an allem Möglichen, an Anfahrts – und Evakuierungswegen und an einer Überwachung des Stadions. Ohne das alles können wir doch dich Sicherheit der Zuschauer nicht garantieren. Für uns ist das noch kein Stadion, sondern eine Baustelle."

    Das Freundschaftsspiel wird jetzt also in Warschau ausgetragen, in der Spielstätte des Erstliga-Klubs Legia Warszawa. Die Arena in Danzig wird, so heißt es jetzt, zwei Wochen später eingeweiht, ganz bescheiden mit einem öffentlichen Picknick.

    Noch weit schlimmer könnte es dem Nationalstadion in Warschau ergehen, wo im August die erste Veranstaltung stattfinden sollte. Der Bau sprengt nicht nur den Zeitplan. Er weist offenbar ernsthafte Mängel auf. Treppen, die im Notfall von den Rängen direkt nach außen führen sollen, entsprechen nicht den Sicherheitsstandards, berichteten Medien. Sportminister Adam Giersz hat das inzwischen bestätigt:

    "Wir haben die Baufirma darauf hingewiesen und warten jetzt auf deren Stellungnahme. Sie muss einen Plan vorlegen, wie sie die Mängel beseitigen will. Erst dann können wir sagen, um wie viel Zeit sich die Fertigstellung verzögern wird."

    Dabei sind die Treppen nicht das einzige Problem. Auch die Elektroinstallation in dem Stadion wurde falsch berechnet, wie der Auftragnehmer, die österreichische Alpine Bau, einräumte. Ein polnische Zeitung schrieb, dass zwei notwendige Trafostationen in den Projektunterlagen schlicht fehlen.

    Experten sprechen bereits davon, dass das Stadion erst im Februar oder März, also mit zehnmonatiger Verzögerung fertig wird. Wenn das stimmt, müsste auch das Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Deutschland in Polen im September verlegt werden. Minister Giersz drückt sich inzwischen sehr vorsichtig aus.

    "Das Wichtigste ist jetzt, dass wir bis zur Europameisterschaft fertig werden. Denn dafür bauen wir das Stadion ja eigentlich, nicht für Testspiele."

    Ein großes Fragezeichen steht auch hinter der Verkehrsinfrastruktur, die bis zur EM entstehen sollte. Zwar sind fast überall im Land Autobahnen und Schnellstraßen im Bau. Aber an vielen Stellen ist unklar, ob die Firmen bis zum Juni 2012 fertig werden. Falls ihnen das nicht gelingt, müssen die Fans an vielen Stellen Umwege über zweispurige Landstraßen in Kauf nehmen – was, so fürchten Experten, die Reisezeit um Stunden verlängern wird.

    So an der A2, die von Frankfurt an der Oder bis nach Warschau führen soll. Auf zwei Bauabschnitten ruhten die Arbeiten vor kurzem mehrere Tage lang. Denn der Auftragnehmer aus China, die Gesellschaft Covec, bezahlte ihre polnischen Subunternehmer nicht. Der Verkehrsexperte Adrian Furgalski:

    "Ich hoffe, dass der chinesische Konzern die Mittel überweist und am besten sogar noch mehr Geld als geplant: Denn jetzt müssen die Arbeiten rund um die Uhr laufen, damit die Autobahn bis zur Europameisterschaft befahrbar sein wird."

    Mit anderen Worten: In Polen hat das große Zittern begonnen, ob das Land wirklich bis zum nächsten Jahr alle Hausaufgaben erledigen wird. Groß sind die Chancen dafür allerdings nicht mehr.