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Kein Vertrag mit der älteren Generation

Seit Mitte der achtziger Jahre bieten Universitäten das Studium im Alter an. Viele Senioren konnten nach dem Krieg nicht studieren und holen das jetzt gerne nach. Auch sie zahlen dafür Gebühren, allerdings weit weniger als ihre weniger betagten Kommilitonen an vielen Hochschulen investieren müssen. Manche Jung-Studenten finden das ungerecht und fühlen sich durch die Senioren bei ihrer Ausbildung gestört.

Von Miriam Grabenheinrich | 06.12.2006
    Der Hörsaal 1 der Universität Bielefeld füllt sich in Windeseile. In den ersten Reihen sitzen vorwiegend Senior-Studenten - sie kommen meistens schon eine viertel Stunde vor Beginn der Literaturwissenschaft-Vorlesung. Kurz bevor der Professor den Hörsaal betritt, ist der bereits absolut überfüllt. Viele der jungen Studenten müssen auf der Treppe sitzen. Dass an der Vorlesung rund vierzig Senioren teilnehmen, ärgert manche von ihnen sehr.

    " Ich finde es affig. Weil es gibt ja Studierende, die machen das nicht zum Spaß, die wollen sich ausbilden lassen und die sitzen in Hörsälen, wo es total überfüllt ist und man 500 Euro zahlt. "

    " Sie sollen gerne teilnehmen, aber dann müssten die Hörsäle groß genug sein. Ansonsten ärgert es schon, wenn ich nicht richtig mitschreiben kann, weil jemand auf einem Platz sitzt der nicht mitschreibt sondern nur aus Interesse sich die Sachen anhört. "

    Der Unmut der jungen Studierenden über die Senioren ist in letzter Zeit gestiegen. Denn: seit der Einführung von Bachelor und Master haben sie mehr Zeit- und Leistungsdruck. Die Leiterin des Studienprogramms "Studieren ab 50", Magdalene Malwitz-Schütte, berücksichtigt das seit diesem Semester :

    " Weil die jungen Studierenden sehr viele Pflichtveranstaltungen haben zu denen sie einfach gehen müssen und sie bekommen dort einen Punkt für Anwesenheit. Und dadurch sind die Möglichkeiten für die Älteren, an fast allem teilzunehmen erheblich eingeschränkt worden und zwar dadurch, dass eben Pflichtveranstaltungen der Erststudierenden eigentlich gar nicht in unserem Programm enthalten sind. "

    Für die Senioren gibt es ein eigenes Vorlesungsverzeichnis. Darin stehen tatsächlich keine Pflichtveranstaltungen. Die sind für die Senioren auch nicht so wichtig, denn die meisten von ihnen studieren als Gasthörer. Einen Abschluss brauchen sie nicht und für ihr Studium nehmen sie sich daher viel Zeit.

    Im Hörsaal 1 beginnt die Vorlesung. In den ersten Reihen melden sich immer wieder Senioren zu Wort. Die jungen Studierenden sind sichtlich genervt. Sie empfinden die Wortmeldungen ihrer älteren Kommilitonen als zu unwissenschaftlich.

    " Die fragen viel und erzählen auch viel Sachen die nicht so reinpassen aus ihrer Lebenserfahrung. "

    " Halten sich für intelligenter und meinen sie könnten zu allem was loswerden und das kann schon nervig werden. "

    " In der Literaturwissenschaft habe ich sie immer als sehr anstrengend empfunden. Als sehr oberlehrerhaft und schulmeisterlich. "

    Solche Vorwürfe kann Ursula Landwehr nicht nachvollziehen. Die 71-jährige studiert seit zehn Jahren Literatur und Geschichte.

    Sie hat sich in der Uni-Mensa mit dem 73-jährigen Adam Lucht verabredet. Er studiert seit zehn Jahren Rechtswissenschaften. Die Kritik der jüngeren Kommilitonen finden die beiden Senioren unfair:

    " Wir haben ja über Jahrzehnte durch unsere Steuerzahlung das Bildungswesen mitfinanziert. Und jetzt sind wir frei und die Bildungsstätten sind da. Ich kann so etwas nicht begreifen: wie ein junger Mensch so eingestellt sein kann. Wir beanspruchen kein Semesterticket, wir beanspruchen keine Vergünstigung in der Mensa, was sollte man dagegen haben, wenn wir hier hören und an den Vorlesungen und Seminaren teilnehmen? "

    Ein Seminar über Kunstgeschichte: In dem kleinen Raum sitzen zehn junge Studierende und drei Senioren. Die 70-jährige Ingrid Herpel kennt den Generationskonflikt in Seminaren. Sie ist der Meinung, dass der Dozent zwischen Alt und Jung vermitteln muss.

    " Diese Rolle hat er, denn von den Jungen traut sich meistens keiner was zu sagen, wenn manche Ältere ins Schwafeln kommen und wir älteren gucken uns an und finden es auch furchtbar und dem muss Einhalt geboten werden . "

    Dieser Meinung ist auch Walter Kambartel, Dozent für Kunstgeschichte. Er bittet die Senioren in seinen Seminaren darum, den Jüngeren den Vorrang zu lassen.

    " Also ich bin da auch auf Verständnis gestoßen. Dass die Senioren sich in bestimmten Dingen zurückhalten. Und dass die Senioren sich erst in einer zweiten Diskussionsphase einbringen. Tun sie auch: ich habe häufig festgestellt, dass sie sagen: ja wir wollen den Jungen nicht die Fragen wegnehmen. "

    Die Zahl der älteren Studierenden ist seit Beginn der Studienangebote für Senioren vor 20 Jahren erheblich gestiegen. Mittlerweile studieren an den deutschen Hochschulen fast zwei Millionen junge und circa 35.000 alte Menschen. Die Dozenten sind daher Mittler zwischen den Generationen. Das ist ein neuer und auch wichtiger Aspekt der Bildung an unseren Hochschulen.