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Kein Weihnachten ohne Bacalhau

Die Portugiesen verzehren mehr Fisch als jede andere Nation in der EU - auch zum Fest! Am besten schmeckt ihnen junger Kabeljau, der vor den Lofoten gefangen, getrocknet und gesalzen wird, bis er stocksteif ist: Stockfisch eben.

Von Tilo Wagner | 24.12.2010
    Der Anblick eines Stockfischs ruft nicht wirklich sofort Appetit hervor. Die am Bauch aufgeschnittenen, platten Trockenfische ähneln äußerlich eher großen, kopflosen Fledermäusen und riechen nach muffigem Salz. Das Geheimnis des Bacalhau, so nennen die Portugiesen ihren traditionsbeladenen Stockfisch, liegt in der Entsalzung, sagt Rui Bértolo, der in einem Lebensmittelgeschäft am Lissabonner Tejo-Ufer den Fisch verkauft.

    "Einen Bacalhau zuzubereiten ist eigentlich kinderleicht, sofern er vorher die genaue Zeit im Wasser gelegen hat. Damit wäscht man das Salz aus dem Fisch. Und das ist auch das Hauptproblem. Viele wissen nicht, wie lange der Fisch eingeweicht liegen soll und wie häufig man das Wasser wechseln muss."

    Maria Pinto hat den Dreh längst raus. Sie betreibt mit ihrem Mann ein Restaurant im historischen Stadtviertel Alfama. Regelmäßig kochen die Pintos für große Touristengruppen, natürlich Bacalhau. Die Köchin holt eine Platte aus der gekühlten Anrichte und zeigt die weichen, aufgespülten Kabeljaustücke, die den Entsalzungsprozess bereits hinter sich haben. Die sehen jetzt schon eher aus wie Fisch:

    "Den Bacalhau kriegen wir trocken in Kartons geliefert. Ich schneide ihn, lege ihn in einen großen Eimer mit Wasser, das ich immer wieder austausche. Diese Stücke sind groß, die müssen 48 Stunden lang einweichen."

    Angeblich soll es möglich sein, jeden Tag im Jahr ein anderes Rezept für die Zubereitung des Stockfischs zu wählen. Er wird gratiniert, gegrillt oder gebraten. Doch gerade an Weihnachten könnte der Fisch gar nicht einfacher zubereitet werden:

    "An Heiligabend kocht man den Bacalhau mit Kartoffeln und Gemüse, zum Beispiel mit Rübstiel, Brokkoli und portugiesischem Kohl. Man muss nur darauf achten, dass man nicht alles zusammen in einen Topf schmeißt, weil Fisch, Kartoffeln und Gemüse unterschiedlich lang kochen."

    Die Portugiesen nennen den Bacalhau auch den "treuen Freund". Und tatsächlich ist der Fisch seit rund 500 Jahren Bestandteil der portugiesischen Küche. Ursprünglich wurde er insbesondere für die Verpflegung von Schiffsbesatzungen mitgenommen, die auf ihren Entdeckungsfahrten im 15. und 16. Jahrhundert auf Trockennahrung angewiesen waren. Nach dem Fund von großen Kabeljaubeständen vor Neufundland begannen portugiesische Fischer die abenteuerliche Fahrt über den Atlantik regelmäßig auf sich zu nehmen. Die Konservierung in Salz garantierte, dass der Fisch auch nach Monaten auf hoher See beim Landgang verkauft werden konnte.

    Auch im 20. Jahrhundert blieb der Stockfisch der beliebteste Verzehrfisch in Portugal. Das kann aber auch als Zeichen für einen Entwicklungsrückstand des Landes gesehen werden. So hatte der überwiegende Teil der Bevölkerung auf dem Land noch in den 1960er-Jahren keinen Kühlschrank. Restaurantbesitzer Carlos Pinto erinnert sich, dass in der Provinz deshalb vor allem Bacalhau gekauft wurde.

    "Der Fisch war konserviert. Man konnte ihn zu Hause aufbewahren. Es gab ja so gut wie keinen frischen Fisch. Bacalhau haben die Leute gekauft, denn man konnte daraus auch kleine Fischbällchen machen, die man mit zur Arbeit aufs Feld nahm."

    Noch immer essen die Portugiesen jährlich rund 36.000 Tonnen Bacalhau, der überwiegende Teil wird aus Norwegen importiert. Das ist zwar schon fast ein Drittel weniger als noch vor 15 Jahren. Die Kabeljaubestände sind dennoch drastisch geschrumpft. Jetzt hat die EU beschlossen 2011 die Fangquote von Kabeljau um 20 Prozent zu reduzieren.

    So wird der ehemalige "Fisch der Armen" zu einer teuren Spezialität. Mittlerweile zahlen die Portugiesen für ein gutes Stück Stockfisch einen Kilopreis von acht bis zwölf Euro. Da wird selbst der sonst so an Touristen interessierte Carlos Pinto vorsichtig, wenn es darum geht, die köstlichen Bacalhau-Speisen außerhalb von Portugal bekannt zu machen:

    "Für die Portugiesen wäre das nicht gut. Denn dann steigt die Nachfrage, der Fisch wird teuerer und uns bleibt von unserem Produkt immer weniger."