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Kein Zuckerschlecken

"Doctor Atomic" handelt von Befindlichkeiten des Atomforschers Robert Oppenheimer während dessen Mitwirkung am Nuklear-Programm der USA im Jahr 1945. In der Inszenierung von Immo Karaman war das Werk am Saarländischen Staatstheater erstmals in Deutschland zu sehen.

Von Frieder Reininghaus | 14.02.2010
    Das Saarländische Staatstheater an der Fürstenstraße in Saarbrücken ist ein politisch geprägter Ort. Das fortdauernd unproportioniert groß wirkende Haus war, wie auf der Tafel am Theaterparkplatz zu lesen, ein "Geschenk des Führers" ans Gau Saarpfalz anlässlich von dessen "Wiederangliederung ans deutsche Reich" in den 30er-Jahren.

    In dieser hehren Halle wird gelegentlich darauf aufmerksam gemacht, dass Musiktheater nicht immer nur in Fülle des Wohlklangs und gut goutierbaren Bildern aufgeht – und das ist edel, hilfreich und gut so. Am hörbarsten bei der Wiederaufführung von Wladimir Deschewows "Eis und Stahl" vor drei Jahren. Oder jetzt – mit der einem garstigen Thema zugeordneten, allzeit aktiven oder hyperaktiven Tonkunst von John Adams. Aus deren Geschäftigkeit ragen immer wieder auch Erinnerungszeichen der Musikgeschichte auf. Einmal ist's, als komme Wagners "Fafner" gleich um die Ecke, dann lassen wieder Strawinskys Grimassen grüßen oder bringen sich Turba-Chöre des 18. Jahrhunderts in Erinnerung. Die Damen und Herren des Saarländischen Staatsorchesters und Chores unter Leitung von Andreas Wolf unterziehen sich den ihnen auferlegten Mühen auf höchst respektable Weise. Der dreieinhalbstündige Abend ist kein Zuckerschlecken.

    "Doctor Atomic" handelt von Befindlichkeiten des Atomforschers Robert Oppenheimer während dessen Mitwirkung am Nuklear-Programm der USA im Jahr 1945 und den Betroffenheitsdepressionen von dessen Gattin, auch von einigen andersdenkenden Kollegen des Physikers, vom Druck der militärischen Führung, den Skrupeln eines Meteorologen, den Warnungen eines Lagerarztes und vom drohenden Lagerkoller angesichts des bevorstehenden ersten Atombombentests in Los Alamos. Kein Zweifel: Die Männer dort in der Wüste von New Mexico "arbeiteten für die Sicherheit ihres Landes".

    Die Inszenierung beordert die gespaltene Versuchsanordnung auf leerer Bühne hinter Maschendrahtzaun: Alles im Lager – und da geht es spartanisch zu. Bei der Arbeit, wo die schlichten Tische kurzerhand hochkant gestellt werden, damit die Wissenschaftler sie als Tafel nutzen und mit Kreide beschriften können. Auch beim Essen, das die verwöhnte Madame Oppenheimer immer wieder verdirbt, indem sie allzu sehr am Tischtuch zieht. Die Ausbrüche von Kittys Launen, die Carmen Fugiss mit temperamentvollem Sopran nachzeichnet, gehören zu den anregenden Momenten in dieser Männer-Oper. Und wirklich zu Herzen geht auch, dass und wie Olafur Sigurdarson als General um die Einhaltung seines Diätprogramms kämpft. Die Maschinerie hat nicht nur die Wissenschaftler und deren Angehörige, sondern auch die Militärs "in der Falle".

    Das unermessliche Leid, welche der atomare Terror der US-amerikanischen Politik über die Zivilbevölkerung Japans brachte, nimmt Immo Karaman schließlich ganz auf die Reflexionen seines sympathischen Hauptdarstellers Lee Poulis zurück, widmet sich lammfromm seinem Beten und seinem einsamen schweren Herzen. Nur eine schwache ferne Stimme erinnert an die unsäglichen Schmerzen derer, die seine Segnung wirklich abbekommen haben. Zum programmmusikalisch gestalteten Countdown reduziert sich die Szene auf einen einsamen Stuhl und den abgedrifteten Wissenschaftler in ihm. Gerührt möchte man ihm mildernde Umstände zubilligen und froh sein, dass der Einsatzbefehl für die von ihm entwickelte Waffe nicht von jenem deutschen Kanzler kam, in dessen Theater jetzt der Gewissenskonflikt projiziert wird.

    Plot und Text von "Doctor Atomic" wollen und können nicht aus der Haut des Tätervolks, dessen selbstgerechte Moral wie selbstverständlich die Basis des teils unbeholfenen, teils dogmatischen Textes von Peter Sellars ist. Dass er stellenweise auch triefend trivial ausfiel, sollte ebenso mit Nachsicht bedacht werden wie die Baudelaire-Verwurstung. Sellars hat wohl einfach zu viel Daily Soap in den heimischen Fernseh-Programmen internalisiert und den Warteschleifen des Komponisten angedient. Dass dergleichen auch hierzulande wunderbar "funktioniert", wie die Medien- und Theatermacher so gerne sagen, verweist auf einen gewissen Bedarf an Seifenoper für Fortgeschrittene in Stadt und Land.