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Keine Allianz fürs Leben

Die Ankündigung des Allianz-Konzerns, 7500 Stellen abzubauen, war für die Mitarbeiter ein Schock. Sie haben sich zum Kampf entschlossen. Die Politik rügt zwar das Management, sieht sich aber machtlos.

Von Michael Braun, Dieter Nürnberger, Barbara Roth, Friederike Schulz, Volker Wagener | 28.06.2006
    Deutschlands größter Versicherungskonzern, 177.600 Mitarbeiter weltweit, ein Traditionsunternehmen seit 1890. Wer einen Job bei der Allianz erhalten hatte, für den war allein der schon eine ganz besondere Art der Lebensversicherung. Doch das scheint nun vorbei. Bereits im Herbst vergangenen Jahres kündigte die Unternehmensführung einschneidende Veränderungen an, hielt sich jedoch mit konkreten Zahlen noch zurück.

    Ende vergangener Woche dann die Mitteilung von Vorstandschef Michael Diekmann: 7500 Stellen sollen bis 2008 wegfallen. 5000 bei der Allianz, 2500 bei der Dresdner Bank. Aus Sicht der Geschäftsleitung ein längst notwendiger Schritt wie Vorstandsmitglied Gerhard Rupprecht in einer Telefonkonferenz erklärt:

    "Das sind sehr einschneidende und schmerzliche Schritte, dennoch aber zwingend notwendige Schritte. Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland, besonders im Versicherungsgeschäft, kontinuierlich Kunden und damit auch Marktanteile verloren. Es wäre verantwortungslos, dieser Entwicklung untätig zuzusehen."

    Eine Million Kunden habe die Allianz in den vergangenen Jahren an die Konkurrenz verloren. Nun müsse der Konzern reagieren und seine Strukturen straffen: Die drei Säulen Sach-, Lebens- und Krankenversicherung sollen stärker verzahnt werden, auf 12 der insgesamt 22 Niederlassungen in Deutschland könne der Konzern dann verzichten. Erhoffte Einsparungen: bis zu 600 Millionen Euro insgesamt.

    Am Tag darauf mittags vor der Kölner Filiale am vielbefahrenen Kaiser-Wilhelm-Ring. 1800 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Dass sich die Allianz aus Nordrhein-Westfalen bis 2008 komplett zurückziehen will, haben die Angestellten aus dem Intranet erfahren.

    "Unvorstellbar, einen ganzen Standort zuzumachen. Dass was kommt, wussten wir ja, aber hier ganz zuzumachen, ganz NRW ist jetzt Allianz-leer."

    "Ich bin jetzt seit 35 Jahren dabei, damit hätte ich nicht gerechnet. Nicht, dass man den ganzen Standort schließt. Ich habe eigentlich ab heute Urlaub, ich muss das erst mal sacken lassen und verarbeiten."

    Ein paar Tage später ist die Fassungslosigkeit dem Zorn gewichen. Für heute Mittag hat die Gewerkschaft ver.di zum Warnstreik aufgerufen, im Anschluss an die Betriebsversammlung. Die mehr als 1000 Mitarbeiter ziehen mit Transparenten vor die Filiale. Klaglos hinnehmen wollen sie die Entscheidung der Konzernleitung nicht. Soviel steht fest. Die Betriebsversammlung hat ihnen Mut gemacht:

    "Ja, sie hat Mut gegeben, dass gekämpft wird, und dass man nicht wirklich auf verlorenem Posten steht, sondern dass man wirklich noch was tun kann, wenn alle zusammenhalten."

    "Man hat versprochen, weiterzukämpfen und alle Mittel auszunutzen. Auch der Vertreter von ver.di hat da sehr gute Vorschläge gemacht."

    "Ich kann es mir nur wünschen, dass wir Teilerfolge erreichen. Wirklich glauben tue ich es nicht, aber ich werde auf jeden Fall dafür kämpfen und alles dafür geben."

    Wenn überhaupt noch etwas zu verhandeln ist, dann muss das über den Betriebsrat laufen. Auf ihn richten sich die Hoffnungen der Mitarbeiter, denn die wenigsten von ihnen gehören der Gewerkschaft an. Gabriele Burghardt-Berg weiß, welche Verantwortung jetzt in ihren Händen liegt. Sie ist selbst seit 30 Jahren bei der Allianz und muss nun, wie sie sagt, zum ersten Mal richtig kämpfen. Bisher seien Sparmaßnahmen immer sozial verträglich durchgesetzt und im Einvernehmen entschieden worden.

    "Wir haben hier in Köln seit Herbst 2004 schon einmal das Programm Beschäftigungssicherung aufgesetzt. Wir haben Teilzeitangebote gemacht. Wir haben Mitarbeitern Altersteilzeit angeboten, wir haben Mitarbeitern so genannte Sabbatical-Jahre angeboten, diese Angebote sind von den Mitarbeitern in starker Zahl angenommen worden, und wir sind überzeugt, dass mit solchen Mitteln die Mitarbeiterzahl abgebaut werden kann, dann aber sozialverträglich."
    Genau das ist jedoch nach der Ankündigung der Konzernleitung nicht mehr möglich. Konzernsprecher Heinrich Schütt musste auf der Betriebsversammlung Rede und Antwort stehen:

    "Wir haben Marktanteile verloren, das ist ein Fakt. Wir profitieren im Moment von den Erfolgen der Vergangenheit. Das ist der Grund, warum wir jetzt handeln. Das sind sehr schwierige Entscheidungen, die allerdings auch auf sehr genauen Analysen beruhen, Analysen, die wir auch mit den Mitarbeitern zusammen gemacht haben. Und das, was wir jetzt planen, ist auch das Ergebnis dieser Analysen. Es sind Entscheidungen, die nicht leicht sind, wir wissen das. Und hinter jeder Zahl steckt natürlich auch ein persönliches Schicksal. Wir müssen aber handeln, um die Allianz nachhaltig wettbewerbsfähig zu halten."

    "Wir befürchten, wir müssen befürchten, dass wir hier einen Flächenbrand bekommen und einen Strategiewechsel, wo von Sozialer Marktwirtschaft vielleicht noch irgendwann mal geträumt wird, dass es sie auch mal gegeben hat. Diese radikale Marktwirtschaft wollen wir in unserem Land nicht. Auch das ist Teil unseres Kampfes."

    Die Gewerkschaft ver.di hatte bei den Mitarbeitern in der Versicherungsbranche bisher wenig Rückhalt. Bisher seien ja hier auch die Arbeitsplätze sicher gewesen, erläutert der Gewerkschaftssekretär Rainer Klein. Nun hofft ver.di auf neue Mitglieder, um notfalls den Forderungen mit Streik Nachdruck verleihen zu können. Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz hätte ihm in der vergangenen Woche allein in Köln mehrere dutzend Beitrittsgesuche eingebracht, sagt Rainer Klein. Seine Gewerkschaft hat klare Forderungen: Bis 2012 keine betriebsbedingten Kündigungen ist die eine.

    "Das, was im Moment passiert, darf bei der Allianz keinen Bestand haben, darf auch schon gar nicht ein Lehrstück sein für andere Versicherungsunternehmen, die natürlich genau hingucken, was da passiert, um vielleicht da für sich die eine oder andere Lehre daraus zu ziehen."

    Wenn es Gewerkschaft und Betriebsrat gelingen sollte, diesen Trend zu stoppen, bräuchten sie vor allem die Unterstützung der Politiker. Prompt meldet sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu Wort und fordert "ergebnisoffene Gespräche" mit den Beschäftigten. Doch welche Rolle er dabei übernehmen könne, sagt er nicht. Ähnlich die Reaktionen in Berlin. Die vielleicht einfachste Antwort zum Thema Arbeitsplatzabbau bei der Allianz findet Ralf Brauksiepe, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Unternehmen handeln eigenverantwortlich." Heißt umgekehrt: Die Politik ist machtlos.

    Die Gewerkschaft ver.di fordert, dass Unternehmen, die Gewinne einstreichen, nicht mehr kündigen dürfen. Doch das wird bei den Parteien wohl wenig Unterstützung finden. Als "nicht praktikabel" bewertet dies auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer. Und wieder: Die Politiker könnten hier nur wenig ausrichten.

    "Vielleicht müsste man sagen, dass nationale Politik hier eindeutig an Grenzen stößt. Denn das, was sich hinter dem Beispiel Allianz verbirgt, ist eine Struktur. Und diese Struktur heißt, Anleger wollen maximale Gewinne. Man müsste sich auf europäischer Ebene darüber verständigen, wie man mit kurzfristigen Anlegern umgeht."

    Der Aktienkurs der Allianz gibt ihr Recht. Er schnellte um 1,5 Prozent empor, als die Nachricht von den 7500 geplanten Stellenstreichungen die Runde machte. Der Dax hingegen schaffte an diesem Tag nur ein Drittel dessen: 0,5 Prozent. Karsten Keil, Versicherungsanalyst von Helaba Trust, sieht zwar auch die Schicksale, die Entlassungen im großen Stil nach sich ziehen, aber der professionelle Blick richtet sich auf anderes:

    "Das sind sicherlich harte Einschnitte. Dennoch sieht der Kapitalmarkt die Aktion per saldo positiv, da das Kostenniveau einfach überholt war und die Strukturen nicht effizient gewesen sind in der Vergangenheit."

    Dass die Effizienz bei dem Großkonzern viel zu wünschen übrig ließ, das findet auch Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte des Bundesverbandes der Verbraucherschutzzentralen in Berlin.

    "Es ist so, dass in der Versicherungswirtschaft speziell relativ viel Innovations- und vor allen Dingen Effizienzsteigerungspotenzial vorhanden ist. Man kann Prozesse zusammenlegen, Bearbeitungen zusammenlegen und so weiter, so dass dann natürlich auch die Effizienz im Unternehmen steigt. Das ist natürlich ein Feld, wo die Börsianer jubeln. Denn dort erwarten sie sich durch Effizienzsteigerungspotenziale Gewinne."

    Personell befindet sich die Versicherungsbranche schon seit Jahren im Sinkflug. Dennoch sind noch bis in die 90er Jahre hinein zehntausende Mitarbeiter in Deutschland neu eingestellt worden. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Der Vorstandsvorsitzende des Aachener Versicherungskonzerns AMB Generali, Walter Thießen, rechnet mit einem Streichkonzert schon in absehbarer Zeit. 240.000 Beschäftigte arbeiten derzeit in der Versicherungswirtschaft Deutschlands. Noch. Etwa jeder Vierte wird gehen müssen, schätzt Thießen.

    Die Gründe dafür sind vielfältig: die Schwäche der Börse vor Jahren und ihre Nachwirkungen, immer mehr Versicherungsabschlüsse über das Internet, ein verschärfter Konkurrenzdruck auf dem europäischen Markt. Und: "Die Kosten sind einfach zu hoch", behauptet Henri de Castries, Chef der französischen Axa, mittlerweile Branchenführer in Europa. Axa hat gerade erst die Schweizer Winterthur Versicherung übernommen und damit die Allianz von der Spitze auf dem alten Kontinent verdrängt.

    Der Kampf um die Marktanteile sei deutlich härter geworden, findet auch Verbraucherschützer Wolfgang Scholl:

    "Man muss natürlich gucken, dass man in diesem Wettbewerb der Global Player die Nase vorne behält, sich Zukäufe erlauben kann, dass man nicht selbst geschluckt wird. Und insofern ist eine gewisse Logik da, durch Effizienzsteigerungen im Inneren, den Wert der eigenen Aktie nach oben zu treiben. Das hat eine gewisse interne Logik, die ist auch nicht von der Hand zu weisen."

    Analysten wollen beobachtet haben, dass bei der Allianz einiges in den letzten Jahren nicht ganz rund gelaufen ist. Manfred Jakob von der SEB-Bank:

    "Sie hat jetzt über Jahre hinweg, aus der Krise her kommend, seit 2001 Marktanteile verloren. Und das geht nur über Effizienzsteigerungen und über eine bessere Ertragssituation dann auch wieder Marktanteile langfristig auszubauen."

    In den letzten fünf Jahren hat die Allianz rund eine Million Kunden verloren. Immerhin 19 Millionen sind ihr geblieben. Selbst Betriebsräte räumen ein, dass die Struktur des 1890 gegründeten Unternehmens reformbedürftig sei. Bereits im Herbst 2005 hatte die Allianz angekündigt, sie wolle ihre Ertragskraft steigern, die Kosten senken und vor allem ihre Unternehmensstruktur bereinigen. Einzelne Versicherungssparten waren im Laufe von mehr als hundert Jahren gegründet und zusammengekauft worden. Sie sollen nicht mehr länger unkoordiniert nebeneinander bestehen.

    Bei der Allianz müsse jeder Kunde drei, vier Mal neu gewonnen werden, um ihn für alle Produkte des Konzerns zu interessieren, heißt es hier. Zum Teil fehle gar der Überblick, mit welchen konzerneigenen Versicherungen die Kunden überhaupt ausgestattet seien. Sie erhalten bei jedem Vertragsabschluss eine andere Versicherungsnummer. Dass dieses Tohuwabohu nun aufgelöst werden soll, findet SEB-Analyst Manfred Jakob nur gut:

    "Sie hat ja unendlich viele Teilgesellschaften, Sachversicherung, Lebensversicherung, Krankenversicherung. Die haben alle ihre eigenen Verwaltungen, die haben alle ihre eigenen eingebauten Vertriebswege. Die wurden bislang offenbar immer noch nicht richtig gegenseitig genutzt. Da ist noch ein ungeheuerliches Synergiepotenzial im gegenseitigen Nutzen dieser Vertriebswege, des gegenseitigen Verkaufens der unterschiedlichen Produkte von den unterschiedlichen Standorten. Ich glaube, da ist noch ein gehöriges operatives Potenzial zu sehen."

    Strukturen zu ändern, wenn die Gewinne gut sind oder gar noch steigen, ist auf dem Kapitalmarkt kein Widerspruch. Denn, so Karsten Keil, Gewinne hielten nicht ewig:

    "Das Wettbewerbsumfeld, in dem sich die Allianz bewegt, ist sehr intensiv. Momentan sind zwar die Gewinne relativ hoch. Dabei profitiert man aber auch von zyklischen Faktoren, insbesondere im Schaden- und Unfallgeschäft, wo die Gewinne in den nächsten Jahren, wie man es jetzt bereits in einigen Sparten sehen kann, wieder unter Druck geraten könnten, da die Wettbewerber und auch die Allianz die Preise gesenkt haben."

    Zwölf Niederlassungen sollen in Deutschland geschlossen werden - ein Einsparpotenzial zwischen 500 und 600 Millionen Euro. In Zukunft soll es nur noch vier so genannte Dienstleistungsgebiete geben. Dennoch, so Karsten Keil, würden die Stellen nicht aus Freude am Sparen gestrichen, sondern in der Hoffnung auf künftiges Wachstum:

    "Die Allianz wird versuchen, die Entlassungen möglichst sozialverträglich vorzunehmen, über natürliche Fluktuation. Sicherlich ist es aber auch so, dass man versuchen wird, durch diese Effizienzsteigerung in den nächsten Jahren wieder einen Wachstumskurs zu initiieren, der dann auch irgendwann wieder zu Personaleinstellungen führen sollte."

    Für die Stadt München ist die Ankündigung der Allianz die vierte Hiobsbotschaft innerhalb des laufenden Jahres. Nach Infineon, Siemens und HVB ist der Versicherer der nächste im Dax geführte Konzern, der Personal abbaut. Kenner warten schon seit langem auf eine Korrektur beim Großversicherer. Sie halten das Münchner Assekuranzunternehmen für einen kostenintensiven und schwerfälligen Riesen, der sich zudem noch durch hohe Preise auszeichnet. Der Personalschnitt sei deshalb überfällig. Hätten die Allianz-Manager früher reagiert, müssten sie jetzt nicht so hart vorgehen, argumentieren die Kenner. Vorteile habe der neue Kurs vor allem für die Kunden, meint Verbraucherschützer Wolfgang Scholl:

    "Durch Industriealisierungsprozesse werden Dienstleistungen billiger. Wir haben den Trend, dass unsere Bevölkerung nicht mehr soviel Geld in der Tasche hat. Die Mehrwertsteuer- und Versicherungssteuererhöhung, die ansteht, werden ein übriges dazu tun, insofern kommen hier mehrere Faktoren zusammen."

    Der Kunde soll also wieder König werden. Und dem Konzern geht es trotz selbst verordneter Abmagerungskur hervorragend. Seit dem Amtsantritt von Vorstandschef Diekmann im Jahr 2003 hat sich der Aktienkurs mehr als verdoppelt. Die Allianz hat ihre Eigenkapitalquote kräftig nach oben korrigiert. Auf 19 Prozent vor Steuern, und das schon 2005, wollen Analysten errechnet haben. Bis 2007 sollen es sogar 25 Prozent werden. Zahlen, mit denen sonst nur Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann auftrumpfen kann, stellte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" schon im Frühjahr fest.

    Das Umbauprogramm der Allianz ist nicht nur auf den deutschen Markt konzentriert. Schon im vergangenen Jahr hatte Konzernchef Michael Diekmann den Europakurs des Hauses eingeleitet. Durch die Verschmelzung mit der italienischen Tochter RAS wurde die Europa-AG gegründet. Eine Abkehr von der Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Auch wenn das deutsche Mitbestimmungsrecht erhalten bleibt, ist der Schritt umstritten. Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder wird von 20 auf 12 reduziert, die Arbeitnehmervertreter fürchten um ihren Einfluss. Der Vorwurf an Konzernchef Diekmann lautet: Von München aus solle in Zukunft durchregiert werden: eine echte Kulturrevolution im Hause Allianz.

    Eine, für die Michael Diekmann geradesteht. Er ist der neunte Chef in der 116-jährigen Firmengeschichte und redet nicht gerne um den heißen Brei herum. Gemunkel im Hinterzimmer ist dem Allianz-Vorstand ein Gräuel. Er pflegt eine offene, direkte Sprache und kommt schnell auf den Punkt. Mit seinem stets akkurat gescheitelten Haar wirkt der hochgewachsene Westfale kühl und distanziert. Dabei liebt er es, lebhaft zu diskutieren und scheut auch die Konfrontation nicht. In diesem Stil führt Diekmann auch die Allianz. Er krempelt den Konzern in kurzer Zeit so stark um wie keiner seiner Vorgänger. Wenn er sich was vornimmt, dann hat das immer etwas von Brachialgewalt, beschreibt ihn ein Weggefährte. Der 51-Jährige will aktiver Gestalter und kein Getriebener sein.

    "Heute können wir noch aus einer Position der Marktführerschaft handeln. Wenn wir aber jetzt zaudern, werden wir früher oder später zu kurzfristigen Kostensenkungsprogrammen gezwungen. Und es gibt leider genug abschreckende Beispiele in der deutschen Unternehmensgeschichte, die zeigen, was das für Arbeitsplätze und Standorte bedeutet."

    Diekmann hat eine unkonventionelle Karriere hinter sich. Heutzutage würde man ihn einen Bummelstudenten nennen: Der gebürtige Bielefelder studierte erst Philosophie, danach Jura in Göttingen. Nebenbei gründete er einen Verlag für Reiseführer und trampte als Rücksacktourist durch Asien. Er unternahm ausgedehnte Kanu-Touren in die Wildnis Kanadas und schrieb ein Buch darüber. Erst mit 34 kam er zur Allianz, dann aber ging es steil nach oben: Als Assistent der Geschäftsleitung in Hamburg fing er an, stieg zum Vertriebsleiter in Nordrhein-Westfalen auf, managte von Singapur aus die Allianz-Töchter in Asien und sanierte in den USA die Konzerntochter Fireman's Fund.

    Als Diekmann im April 2003 die Führung des Unternehmens von seinem Vorgänger Henning Schulte-Noelle übernahm, war der Konzern in einer schwierigen Situation. Die Dresdner Bank erwies sich als Sanierungsfall, die Allianz schrieb Verluste, der Aktienkurs lag am Boden und die Kapitaldecke war dünn. Diekmann redet die Probleme nicht schön, sondern packt sie an. Er sei jemand, der sehr schnell entscheidet, beschreibt er sich selbst. Der Erfolg gibt ihm Recht: Unter ihm glänzen die Münchner wieder mit Rekordgewinnen: 2005 in Höhe von 4,3 Milliarden Euro. Dennoch hält der oberste Allianzer stur am Komplettumbau des Unternehmens fest. Dass er von den Gewerkschaften als Brutalo-Manager gescholten wird, nimmt er in Kauf.