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Keine Angst vor ausländischer Konkurrenz

Statistisch gesehen isst jeder Italiener zwischen 14 und 19 Kilogramm Eis pro Jahr. 60 Prozent entfällt dabei auf industriell hergestelltes Eis, 40 Prozent auf das hausgemachte Eis aus der Eisdiele. Dieses Eis ist zu einem italienischen Markenprodukt avanciert. Die italienischen Eismacher brauchen keine Konkurrenz aus dem Ausland zu fürchten, doch auch sie müssen um ihre Kunden kämpfen. Dabei setzen sie nicht auf Dumping-Preise, sondern auf Fachkompetenz und raffinierte Rezepte.

Von Kirstin Hausen | 21.07.2006
    Die "Gelateria di Piazza" in San Gimignano, Toskana. Circa 80 Kilo Eis wandern hier täglich ins Hörnchen und über die Theke. An so heißen Tagen wie diesen werden es auch schon mal 100 Kilo.

    Eismacher Sergio Dondoli steht in seinem "laboratorio", der Eisküche, zerkleinert Früchte, verquirlt Zucker, Milch und Sahne, gibt die Mischung zum Schleudern in eine der Eismaschinen und verfeinert das fertige Produkt je nach Sorte mit Schokoraspeln, Mandelsplitter oder Karamell-Sirup. Auf seiner Stirn: feine Schweißperlen. Die Mittagspause hat er abgeschafft. Das Eismachen wird in der Hochsaison von Juni bis August zur Akkordarbeit.

    "Mein Eis wird kaum 24 Stunden alt. Das schafft das nicht. Gott sei Dank!"

    Sergio Dondoli freut sich natürlich über den reißenden Absatz. In acht Monaten muss er verdienen, wofür andere das ganze Jahr arbeiten, denn im Winter ist seine Eisdiele geschlossen. Dafür steht er jetzt sieben Tage die Woche in der Eisküche, Privatleben ade. Das gehört zum Geschäft. Genauso wie die permanente Suche nach neuen Sorten. 30 verschiedene Geschmacksrichtungen gehören heute zum Standardangebot einer echten italienischen Eisdiele. Die Zeiten, als man mit den Klassikern Vanille, Schoko, Nuss, Erdbeere und Banane auskam, sind lange vorbei. Die Kunden sind anspruchsvoller geworden und erwarten Ausgefallenes

    "Ich verwende in meine Eis ganz viele Kräuter oder Gewürze, Koriander, Muskatnuss, und dann, ich bin ja bekannt für mein Safraneis, aber das ist für mich schon ein Klassikum, das ist keine Neuigkeit."

    Um diese gewagten Gaumenkitzel herstellen zu können, braucht es Fingerspitzengefühl und: Fachwissen. Die Zutaten wollen aufs Genauste ausbalanciert werden, die Eismacher müssen Molekül-Reaktionen analysieren und die Eigenschaften verschiedener Zuckerarten studieren. Chemie und Mathematik kommen hier ins Spiel. Die Eis- Testerin Luciana Polliotti:

    "Eis machen ist eine schwierige Angelegenheit, ich spreche von gutem Eis. Das Schwierige ist die exakte Mengenberechung der Zutaten. Wenn nur eine Zutat die anderen dominiert, ist das Eis misslungen. Fühlt sich das Eis im Mund körnig oder sandig an, oder ist es unangenehm kalt, ist es falsch berechnet worden. Auch ein Eis, das zu schnell schmilzt, ist misslungen. Es gibt also ganz objektive Parameter, mit dem sich die Qualität eines Eises feststellen lässt, außer natürlich am Geschmack."
    Gute Eismacher stehen heute auf einer Stufe mit Spitzenköchen. Für sie ist hausgemachtes Eis nicht mehr nur ein "Nachtisch" oder Genuss zwischendurch, sondern ein vollwertiges und gesundes Nahrungsmittel. Die italienischen Eiskonsumenten setzen das Konzept bereits praktisch um. Statt in die Mensa gehen viele auch schon mal zum Mittagessen in die Eisdiele, so die Erfahrung von Candida Pellizoli, deren Gelateria "Oasi" mitten in einem Gewerbegebiet in der Provinz Bergamo liegt.

    "Ich freue mich darüber, dass an diesen heißen Sommertagen, in der Mittagspause dem Eis der Vorzug gegeben wird. Anstelle eines Sandwichs essen die meisten Fruchtsalat mit Eis, das sättigt und erfrischt."

    Und wie in einem guten Restaurant erkundigt sich Candida nach den individuellen Wünschen des Kunden und berät ihn bei der Wahl und Kombination der Eissorten.

    "Ich erkläre ihm genau, wo die Erdbeeren oder andere Früchte angebaut wurden, wie hoch ihre Eigensüße ist und wie viel Zucker ich hinzugefügt habe. Der Kunde ist dann ganz beeindruckt. Diese einfachen Informationen über die Zusammensetzung des Produktes überzeugen und bringen ihn dazu wiederzukommen."