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Keine Angst vor der Stille

Intendant Willy Decker hat seiner letzten Spielzeit der Ruhrtriennale einen geradezu buddhistischen Gehalt verpasst. Das Mitleiden ist ja auch ein genuiner Anspruch des Theaters, und Luc Perceval inszeniert Macbeth in der Maschinenhalle Zweckel als einen Mann in Not.

Von Karin Fischer | 03.09.2011
    Einen so stillen "Macbeth" gab es noch nie. Luk Perceval inszeniert Shakespeares blutigstes Drama als Kammerspiel mit dem Charakter einer Familienaufstellung. Wobei alles wichtiger zu sein scheint als die gesprochenen Worte. Der Abstand der Figuren etwa, die in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck mehr als doppelte Bühnenbreite überwinden müssen, um zueinander zu kommen. Wichtiger als der Text - die Übersetzung nach Thomas Brasch ist wuchtig und klar, aber so zusammen gestrichen, dass ohne Kenntnis der Geschichte vieles unklar bleibt - ist hier vor allem, wie lange Macbeth stumm bleibt, und starr.

    Das Stück entfaltet sich als sehr langsames, kryptisches Wort-Puzzle eines zumindest versehrten Geistes. Es dauert lange, bis Bruno Cathomas als Macbeth sich überhaupt das erste Mal bewegt.

    Die Zuschauer sitzen steil über dem Geschehen und doch, dank Mikroports, fast im Kopf der häufig flüsternden Protagonisten.

    Annette Kurz hat eine Pyramide aus über 100 Tischen vor die ganze breite Fensterfront der Maschinenhalle gebaut, die vom Abendlicht erleuchtet scheint, was dem Ort den Charakter eines uralten Schlosses verleiht. Oder einer Rüstkammer: Hunderte von Soldatenstiefeln sind rundum verstreut, zeugen vom Krieg, aus dem Macbeth zurück kommt. Das Ganze wirkt so eher als Nicht-Ort, als eine Art Babel aus Leben, Tod und vor allem Sprachlosigkeit.

    Lady Macbeth wird sich später mit einem Leintuch in diese Tisch-Burg verkriechen, und langhaarige Feen- oder Hexenwesen räkeln sich in Zeitlupe auf den unteren Etagen. Die einzige akustische Eruption ist ein anschwellendes Grummeln aus großen Lautsprechern, ein vibrierender Donner, der Macbeths Irresein verdeutlicht und sogar das Stahlgerüst der Zuschauer-Tribüne erzittern lässt.

    Ansonsten: Stille. Es gibt hier keinen Mord, kein Fest und keinen Kampf mit Macduff am Ende, nur das Drama eines Gescheiterten, einen Seelen-Krimi.

    Luk Perceval ist seit 20 Jahren Buddhist, wie Willy Decker, der Intendant der Ruhrtriennale. Ein "buddhistischer Shakespeare" ist natürlich Quatsch, andererseits ist das Mitfühlen und Mit-Leiden, das eine Essenz des Buddhismus ist, auch ein genuiner Anspruch des Theaters. Perceval inszeniert Macbeth deshalb überdeutlich als einen Mann in Not, zuerst als stummen, traumatisierten Kriegsheimkehrer, als schwermütigen Grübler, später als ängstlichen Schwarzseher. Das Thema Versagen spielt eine große Rolle, und das Trauma der Kinderlosigkeit, das auch die Liebe zwischen ihm und Lady Macbeth getötet hat.

    Bruno Cathomas und Maja Schöne bilden ein grandioses Gegensatzpaar: apathische Abgründigkeit trifft auf aggressive Anstachlerin. Das ist viel mehr Freud als Buddhismus, und ermöglicht großartige Bilder, vor allem misslingender Liebe. Wenn Macbeth seine Lady minutenlang im Arm hält, auch als sie schon gestorben ist, sind das zwei Gespenster im Lein- oder Leichentuch.

    Am Schluss müssen Macbeth sogar die Worte eingeflüstert werden, er kann nur noch nachbuchstabieren. Wortlosigkeit, Stammeln ist das Ende, die letzten Worte lauten, auch das kein Zufall: los, los!

    Die buddhistische Leere, mit zwei "e", ist hier einfach ein Möglichkeitsraum, der gefüllt werden will und muss, auch vom Betrachter. Luk Perceval erweist sich wieder als einer der intensivsten Theaterregisseure deutscher Sprache, der hier ein buddhistisches Ziel ganz sicher erreicht hat: Er nimmt uns die Angst vor der Stille.