Freitag, 19. April 2024

Archiv


Keine Befreiung vom Faschismus

Am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit trat die deutsche Generalkapitulation in Kraft. Doch der Kontinent sollte noch lange unter den Konsequenzen des Nazi-Regimes leiden: Die faschistische Herrschaft des spanischen Diktators Francisco Franco endete nicht mit der deutschen Kapitulation, sondern erst 1975 mit dem Tod des Alleinherrschers. Ein Beitrag von Hans-Günter Kellner.

09.05.2005
    Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe "El Espinillo" im Madrider Stadtteil Villaverde. Die Schüler toben im Klassensaal. Lehrer Miguel García wartet gelassen ab, bis er sie an den gerade aktuellen Stoff erinnern kann: Das Dritte Reich. Eigentlich ein ganz aktuelles Thema. Doch die Frage nach dem 8. Mai 1945 erntet zunächst Ratlosigkeit, dann Gelächter:

    "Ein ganz normaler Tag”, ruft schließlich ein Mädchen und lacht verlegen. Das Datum 8. Mai sagt den Schülern nichts. Den Film "Der Untergang" haben dagegen viele gesehen. "Sehr realistisch", sagt eine, kritisiert aber, Hitler und die ihn umgebenden Generäle und nicht ihre Opfer hätten im Vordergrund gestanden. Trotz des Erfolgs des Films: Das Ende des Dritten Reiches ist derzeit nicht das große Thema in Spanien, auch nicht in der Schule in Villaverde. Alberto Contesa, einer der 16-jährigen Schüler erklärt recht nüchtern die Gründe:

    Franco verlor damit zwar einen Alliierten. Aber er bekam neue. Die Westmächte hatten kein Interesse, damals auch Franco zu verjagen. Sie hätten das Regime ja unter Druck setzen können. Aber sie interessierte der Kampf gegen den Kommunismus mehr.

    Die Rede ist vom spanischen Diktator Francisco Franco. Sein Regime, dass mit militärischer Hilfe Hitlers und Mussolini überhaupt erst an die Macht kam, überstand das Ende des Dritten Reiches recht unbeschadet, wurde später sogar von den USA als Verbündeter im Kalten Krieg unterstützt. Während die Spanier sahen, wie sich im Westteil des ehemaligen Nazi-Deutschlands eine erfolgreiche Demokratie entwickelte, herrschte bei ihnen der harte Diktator weiter. Geschichtslehrer Miguel García Campos meint darum:

    "Der 8. Mai hat hier keine Bedeutung. Er ist im Bewusstsein der Leute nicht als besonderer Tag verankert. Überhaupt nicht. Und nicht nur bei den Schülern, das ist auch bei den Lehrern so."

    Nach dem Putsch von Diktator Franco im Sommer 1936 wurden in vielen Dörfern Spaniens Kommunisten und Sozialisten hingerichtet. In Nava del Rey, 150 Kilometer nordwestlich von Madrid, erschossen die Franco-Schergen 102 Bewohner. Einer davon war der Vater von Alfonso Fernández Ruco. Als 1945 die Alliierten die Nazis besiegten, hoffte er wie viele Franco-Opfer, jetzt sei auch der spanische Diktator an der Reihe. Doch vom 8. Mai 1945 spricht der heute 76-Jährige mit Enttäuschung:

    "Er war ein Verbündeter Hitlers. Hitler kam nach Spanien und gewann hier für Franco den Bürgerkrieg. Viele meinten damals, jetzt gäbe es eine große Allianz, jetzt ginge es auch Franco an den Kragen. Aber der Faschismus endete nicht mit diesem Datum. Was war Franco denn? Ein Faschist. Und er starb 1975 in hohem Alter. Der Faschismus endete hier erst mit dem Tod des Diktators."