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Keine einfachen Antworten

Ethnische Zugehörigkeit und religiöse Unterschiede gelten gemeinhin als wesentliche Ursachen von Konflikten. Doch laut Günter Schlee vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle gibt es keine einfachen Antworten auf die Frage, weshalb Einzelne oder Gruppen Bündnisse schließen und auf andere losgehen. Gaby Mayr hat sein Buch gelesen.

Von Gaby Mayr | 11.12.2006
    Wasser, denkt man, ist am Kilimanjaro kein Problem. Ein Regenwaldgürtel auf halber Höhe speichert das kostbare Nass, und über ein ausgeklügeltes Rohrleitungssystem wird es seit Jahrhunderten zu den darunter liegenden Hofstellen transportiert. Die Bauernfamilien gleich unterhalb des Waldes wässerten ihre Kaffeesträucher, Bananenstauden und Kassava-Knollen reichlich, mitunter verschwenderisch. Außerdem wurden die Leitungen in die tiefer gelegenen Regionen nicht mehr sorgfältig gewartet - Wasser versickerte. Bei den Menschen am Fuß des Kilimanjaro kam kaum noch Wasser an, ihre Felder verdorrten. Am höchsten Berg Afrikas löste man den Konflikt ums knappe Wasser friedlich: Alle müssen ein wenig Wassergeld bezahlen, so soll Verschwendung vermieden werden. Und Wasserkomitees schlichten Streit und sorgen für die Wartung der Pipelines. Anderswo ist knappes Wasser Anlass für gewalttätige Konflikte. Auch Öl, seltene Metalle und Diamanten dienen als Kriegsgrund. Konfliktforscher erwarten, dass sich der Kampf um knappe Ressourcen dramatisch verschärfen wird. Günther Schlee, Direktor am Max-Planck-Institut für Ethnologie in Halle, bestreitet nicht, dass die Knappheit zum Zündstoff werden kann. Aber dass etwas knapp ist, reiche nicht aus, um zu erklären, wie kriegerische Konflikte entstehen, sagt Schlee:

    "Wer jetzt da gegen wen steht, wie sich Allianzen bilden und wie Feindbilder entstehen - so hab ich dann versucht, eine etwas systematischere Erklärung von Konflikten vorzulegen."

    Mit Hilfe des Bildes von drei Hunden am Futternapf bringt Günther Schlee sein Thema auf den Punkt:

    "Hund eins und Hund drei fletschen die Zähne gegen Hund zwei. Der zieht den Schwanz ein und verzieht sich.... Es ging ums Fressen, jawohl. Aber das interessantere Problem besteht doch in der Grenzziehung zwischen den Konfliktparteien. Warum eins und drei gegen zwei? Warum nicht drei und zwei gegen eins? Oder eins und zwei gegen drei?"

    Ein Blick auf die aktuellen Krisenherde lässt vermuten: Sprache, Volkszugehörigkeit und Religion bestimmen die Konfliktlinien - vor allem Religion. Nein, sagt Günther Schlee, es gibt keine einfache Antwort auf die Frage: wer mit wem gegen wen?

    "Religion hat eine Konjunktur, die geht rauf und die geht runter. Es gibt also keinesfalls eine natürliche Tendenz, Andersgläubige bekämpfen zu wollen. Religion hat dieselbe Konjunktur wie alle diese anderen Merkmalskomplexe...", "

    ... zu denen neben Sprache und Ethnie etwa auch Hautfarbe, Rasse - was immer das ist - und soziale Klasse gehören.

    Schlee kann viele Belege anführen, wie willkürlich Unterschiede zwischen Menschen konstruiert werden:

    "Das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen Serben, Kroaten und Muslimen, das auch politisch eine Rolle zu spielen scheint, ist der Faktor Religion... Da die Jugoslawen nach mehreren Jahrzehnten unter einem agnostischen oder irreligiösen Regime ihre jeweilige Glaubenspraxis weitgehend vergessen hatten, beruft man sich in den heutigen Auseinandersetzungen auf die Religion der Großeltern und nicht etwa auf eine eigene praktizierte Religion."

    Wenn es also gar keine klaren Kriterien gibt, nach denen sich Menschen zu Gruppen zusammenfinden, um auf andere Gruppen loszugehen - woran liegt es dann, dass es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt?

    " "Wenn sie das Gefühl haben, schwach zu sein und mehr Unterstützung zu brauchen, dann werden sie sich umgucken nach allen Seiten."

    Wer sich schwach fühlt, wird also Allianzen schmieden.

    "Wenn sie aber saturiert sind, wenn sie meinen, sie stünden gut da und andere stünden weniger gut da, und sie fühlen sich auch stark genug, ihren Besitzstand zu verteidigen, dann würden sie eher nach Differenzen Ausschau halten."

    Wer aber entscheidet, ob man einen Konflikt anzettelt oder eher versucht, mit anderen Gruppen ins Gespräch zu kommen? Günther Schlee hat häufig in ländlichen Regionen am Horn von Afrika gearbeitet:

    "Letztlich ist es eine typische Funktion von intellektuellen Anführern, von Bildungsträgern - oft sind es Volksschullehrer oder die Leute, die am Regionalmuseum beschäftigt sind. Auf höherer Ebene sind das dann politische Anführer oder auch Kultur- und Sprachwissenschaftler..."

    Ist die Lawine der Feindschaft erst losgetreten, eskaliert die Gewalt oft in Windeseile und ein Ende der Feindseligkeiten ist nur schwer zu erreichen. Günther Schlee stellt wichtige Fragen, und mitunter liefert er anregende Ansätze einer Erklärung. Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte, wie der Untertitel des Buches behauptet, liefert er allerdings nicht. Diesem Anspruch stehen zwei Dinge entgegen: Erstens ist Schlees Sprache nicht selten aufgebläht, mitunter formuliert er völlig sinnfrei. Ein winziges Beispiel: Was etwa soll "eine rezentere Erfahrung" sein? Hier hat offenbar das englische "recent" Pate gestanden für "kürzlich, jüngst". Im Deutschen kommt "rezent" nur in der Biologie vor und bedeutet "noch lebend" - als Gegenteil von "fossil", ausgestorben. Da hat das Lektorat des renommierten Beck-Verlages offenbar tief geschlafen. Der zweite Grund, warum man nach Lektüre des Buches zwar verschiedene Aspekte zur Entstehung von Feindbildern kennen gelernt, aber kein zusammenhängendes Erklärungsmuster erhalten hat, ist ganz einfach: Das Buch wurde nicht als zusammenhängendes Werk verfasst. Es ist ein Sortiment von Schlee-Aufsätzen, Schlee-Vorlesungen und Schlee-Berichten, die nicht wirklich aufeinander bezogen sind. Da helfen auch ein paar Überleitungen nicht. Nun wäre alles in Ordnung, wenn der Verlag eine Aufsatzsammlung zur Entstehung von Feindbildern angekündigt hätte. Hat er aber nicht. Stattdessen werden falsche Erwartungen geweckt. Man kann es auch Etikettenschwindel nennen.

    Gaby Mayr über Günter Schlee: Wie Feindbilder entstehen. Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte. Verlag C.H. Beck München 2006, 224 S., 14,90 Euro