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Keine Hilfe für schwindende Erinnerungen?

Medizin. - Medikamente gegen das Vergessen tragen in Deutschland Namen wie Exelon, Arizept oder Reminyl. Die Therapeutika gehören bislang zur Standardbehandlung der Alzheimerschen Krankheit und machen jedes Jahr einen Posten von rund 70 Millionen Euro unter den verschriebenen Medikamenten aus. Doch immer mehr Experten zweifeln den Nutzen der teuren Präparate an. Zu diesem Schluss kommt jetzt auch eine aktuelle britische Studie.

10.08.2004
    Jedes Jahr verschreiben Ärzte ihren Alzheimer-Patienten Medikamente im Wert von rund 70 Millionen Euro. Medikamente, die aber keinen Nutzen bringen, meinen Wissenschaftler vom "Deutsches Kompetenznetz Demenzen". Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine im Juni veröffentliche Langzeitstudie britischer Forscher an 566 Patienten. Doch die im Fachblatt "The Lancet" publizierten Daten beunruhigen den Heidelberger Professor Konrad Beyreuther vom Zentrum für Molekulare Biologie (ZMBH), selbst ein führender Fachmann für das Altersleiden, kaum: "Die Studie Alzheimer 2000 von Robert Gray zeigt lediglich, was bereits bekannt war, nämlich dass nicht jeder Patient auf die Medikamente anspricht. Trotzdem sind die Medikamente für jene, bei denen sie wirken, segensreich." Tatsächlich verbesserten Alzheimertherapeutika nicht das Gedächtnis, sondern erhöhten vielmehr Aufmerksamkeit und Konzentration. "Diese Patienten können vielleicht die Toilette nicht finden, wenn sie nervös sind, wohl aber mit einer solchen Arznei - dann ist das sicherlich positiv. Auch konnte eine australische Studie belegen, dass Angehörige dieser Patienten von diesen Therapien profitierten, weil sie selbst seltener zum Arzt mussten und weniger Medikamente benötigten." Zwar wirkten die Arzneien nicht bei jedem Betroffenen, doch wenn sie anschlügen, dann böten sie zumindest etwas Linderung.

    Diese Sicht teilen indes die Hamburger Verfasser einer neuen Studie zum Thema, von der jetzt Auszüge im Magazin "Der Spiegel" vorab veröffentlich wurden, offenbar nicht. "Die britische, staatlich getragene Studie wollte ursprünglich 3000 zuhause lebende Patienten untersuchen. Allerdings konnte man nur 566 Personen dafür gewinnen. Viele wollten das Risiko nicht eingehen, im Rahmen der Untersuchung auf das gewohnte Präparat verzichten zu müssen und stattdessen womöglich ein Placebo zu erhalten", so Beyreuther. Nach dem ersten Jahr seien schon 80 Patienten ausgestiegen, die auf das Medikament keinesfalls verzichten wollten. Nach drei Jahren sei lediglich ein Patient übrig geblieben, der das Medikament hätte erhalten können, zu diesem Zeitpunkt wurde die Studie aber abgebrochen. "Die Studie gibt uns keine Auskunft über die Wirkung beim einzelnen Patienten. In England waren für die Untersuchung im Wesentlichen Personen ausgesucht worden, die multimorbid sind und an unterschiedlichen Krankheiten wie Krebs, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes oder anderem leiden. Studien von Unternehmen wählten dagegen möglichst nicht multimorbide Personen mit geringer Lebenserwartung. Letztlich werden so aber Äpfel mit Birnen verglichen." Für den individuellen Fall habe dies keine Aussagekraft. Dabei müsse man stets versuchen, ob ein bestimmter Patient von der Behandlung mit solchen Arzneien profitieren kann oder eben nicht.

    Kein Medikament könne derzeit den Fortschritt des Leidens aufhalten, konstatiert Professor Beyreuther. "Aber es finden sich in der Forschung Hinweise, dass dies in Zukunft möglich sein könnte. Viel versprechend seien dabei Cholesterin senkende Medikamente sowie Präparate aus der Rheuma-Therapie. Auch eine Impfung erscheint nicht undenkbar." Aber bevor diese Ansätze endgültig bewertet werden könnten, müssten noch lange und breit angelegte klinische Studien unternommen werden.

    [Quelle: Grit Kienzlen]