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Keine Spielereien

Jacques de Vaucanson war ein ernst zu nehmender Mechaniker in hohen Staatsdiensten. Seine Versuche, einen automatischen Webstuhl zu konstruieren, riefen allerdings den handgreiflichen Zorn der Weber hervor. Bekannt geworden ist er freilich mit einem Kuriosum: einer mechanischen Ente aus tausend Teilen.

Von Mathias Schulenburg | 21.11.2007
    Das waren sie wohl, die Stunden, die den Erfinder zum Erfinder machten: Jeden Sonnabend nahm Mama ihren Jungen zum Besuch zweier alter Damen mit, was aus der Sicht des siebenjährigen Knaben sterbenslangweilig war. Indes - die Damen besaßen eine Standuhr, die den jungen Jacques Vaucanson derart fesselte, dass er ihre Funktionsweise eingehend studierte und schließlich einen eigenen Zeitmesser nachbauen konnte - zum höchsten Erstaunen aller.

    Jacques de Vaucanson wurde 1709 als zehntes Kind einer nicht eben wohlhabenden Familie in Grenoble geboren. Der Vater - ein Handschuhmacher und stark im Glauben - vertraute seinen Sohn dem lokalen Jesuitenorden an und starb, als Jacques sieben Jahre alt geworden war.

    Die Mutter, voller Vertrauen in die Talente ihres Sohnes, zahlte eine beträchtliche Summe für seine Aufnahme in das Collège de Juilly, eines katholischen Internats, wo Jacques lesen und schreiben lernte. Pater Jean-Simon Mazières, ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wurde auf Jacques aufmerksam und half ihm beim Bau eines Bootmodells mit mechanischem Antrieb.

    Jacques de Vaucanson begann, Dinge zu erfinden, die ihn weit über Frankreich hinaus bekannt machten. 1738 stellte er der französischen Akademie der Wissenschaften einen fast lebensgroßen mechanischen Flötenspieler vor, der ein Repertoire von 12 Stücken beherrschte. Im gleichen Jahr konstruierte er zwei weitere spektakuläre Automaten, einen Tamburin-Spieler - und sein berühmtestes Stück, eine mechanische Ente. Hans Magnus Enzensberger dichtete dazu:

    Das Publikum war exquisit. Ein Knistern
    ging durch die seidenen Toiletten: Phantastisch!
    Ein Chef-d'œuvre: die mechanische Ente.
    Auch Diderot war begeistert. Der Automat
    watschelte, planschte im Wasser:
    Welche Delikatesse in allen Teilen!

    (Hans Magnus Enzensberger, "Mausoleum", Suhrkamp, ISBN 3-518-01602-4, S.34ff)

    Tausend Einzelteile soll die - nicht erhaltene - Ente gehabt haben, darunter einen Gummidarm, womöglich das erste biegsame Gummirohr der Technikgeschichte, das tatsächlich in ein rückwärtiges Loch mündete, aus dem unschön verändert wieder hervortrat, was der metallene Schnabel am anderen Ende aufgenommen hatte.

    Müßig waren diese Spielereien nicht. Um die Aufmerksamkeit potentieller Geldgeber zu erringen, war schon etwas Pfiffiges vonnöten. Und dann waren die für die Steuerung der Automaten kreiierten Stiftwalzen, Kurvenscheiben und Lochkarten gute Fingerübungen für wirklich nützliche Dinge.

    Als Jacques de Vaucanson 1741 von Kardinal Fleury, dem ersten Minister Ludwigs XV. zum Chefinspekteur der französischen Seidenenmanufakturen ernannt worden war, konstruierte er einen durch Lochkarten gesteuerten automatischen Webstuhl, der sich allerdings nicht durchsetzte. Angeblich war die Maschine zu groß und zu schwer zu bewegen, außerdem kostete die Herstellung eines einzigen Exemplars 10.000 Francs. Aber der Webstuhl kam in ein Museum, an dem ein halbes Jahrhundert später ein gewisser Josef-Marie Jacquard eine Anstellung fand, dort Jacques de Vaucansons Gerät vorfand und zu eben dem berühmten Jacquard-Webstuhl fortentwickelte, der Industriegeschichte schreiben sollte.

    Der Jacquard-Webstuhl enthielt auch die von Vaucanson entwickelte Lochkartensteuerung, die später in Zähl- und Klassifizierungsgeräten und schließlich in Rechenanlagen, Computern, Verwendung fand.

    1746 wurde Jacques de Vaucanson Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Er starb, reich geehrt, am 21.11.1782 in Paris.