Donnerstag, 28. März 2024

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Keine Strafen für Defizit-Sünder
"Der Stabilitätspakt wurde feierlich beerdigt"

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber hat die EU-Kommission für ihre Entscheidung kritisiert, gegen die Defizitländer Spanien und Portugal keine Strafzahlungen zu verhängen. Damit habe die Kommission dem Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder einmal Schaden zugefügt, sagte Ferber im Deutschlandfunk.

Markus Ferber im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.07.2016
    Markus Ferber (CSU), Mitglied des Europäischen Parlaments.
    Markus Ferber (CSU), Mitglied des Europäischen Parlaments. (picture alliance / Sven Hoppe)
    Wer dauerhaft gegen die Regeln verstoße, wer innenpolitisch nicht in der Lage sei, seinen Haushalt in Ordnung zu bringen, der müsse irgendwann die Gelbe Karte bekommen, so Ferber. "Das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen." Der Politiker betonte, er rechne nicht mehr damit, dass es in Zukunft überhaupt noch Sanktionen gegen irgendjemanden geben werde. Mit dem Votum der EU-Kommission sei der Stabilitäts- und Wachstumspakt feierlich beerdigt worden: "Und das ist kein gutes Signal".
    Nach Ferbers Worten handelt es sich auch nicht um Symbolpolitik. Es gehe um Regeln, die ernst gemeint seien. Es sei interessant, dass die Kommission gegenüber Polen gleichzeitig verkünde, die Europäische Union sei eine Institution, die sich auf Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung des Rechts berufe. Gleichzeitig sage sie aber, bei Spanien und Portugal mache es keinen Sinn, das Recht anzuwenden. Man könne erwarten, so Ferber, dass die EU die Spielregeln auch anwende.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Wieder mal ein Auge zugedrückt (oder vielleicht auch zwei) hat die EU-Kommission gestern. Es ging um Spanien und Portugal. Beide Länder haben, aus einer schweren wirtschaftlichen Krise kommend, die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts gerissen. Mitte Juli hatten die Euro-Finanzminister das Sanktionsverfahren in Gang gesetzt und gestern hat die EU-Kommission entschieden, es passiert jetzt erst mal gar nichts, auf Sanktionen wird jetzt doch erst mal verzichtet. - Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Markus Ferber (CSU), der stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament. Guten Morgen.
    Markus Ferber: Einen schönen guten Morgen!
    Schulz: Hat die EU-Kommission mit dieser Entscheidung Weitsicht bewiesen?
    Ferber: Nein, hat sie nicht. Sie hat damit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder einmal Schaden zugefügt. Es war ja eigentlich klar, dass jetzt gegen Spanien und Portugal Sanktionen verhängt werden müssen. Wer dauerhaft gegen die Regeln verstößt, wer innenpolitisch nicht in der Lage ist, seinen Haushalt in Ordnung zu bringen, der muss auch irgendwann mal die Gelbe Karte bekommen. Das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen. Die Finanzminister haben die Kommission aufgefordert, die Gelbe Karte zu ziehen, und die Kommission hat gesagt, nein, die Gelbe Karte bleibt in der Tasche. Damit ist auch für die Zukunft sichergestellt, dass es keine Sanktionen gegen irgendjemanden geben wird, und damit ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt feierlich beerdigt worden gestern Abend, und das ist kein gutes Signal.
    Ferber: Wie hoch hätten die Sanktionen denn ausfallen sollen?
    Ferber: Ja gut, die Sanktionen gehen maximal auf 0,2 Prozent der Wirtschaftskraft. Das wäre bei Spanien eine Milliarde Euro gewesen, das wäre bei Portugal 180 Millionen Euro gewesen. Es hätte nicht den Staat noch stärker in die Pleite getrieben, sondern es hätte eine Signalwirkung gehabt, wir meinen es ernst mit den Regeln. Spanien hat seit über einem halben Jahr keine handlungsfähige Regierung mehr. Es ist auch nicht absehbar, dass in den nächsten Monaten Maßnahmen ergriffen werden. In Portugal hat eine neue Regierung den Sparpfad verlassen, ganz bewusst das, was die Vorgängerregierung noch beschlossen hat, zurückgenommen. Auch das ist ja nicht der Sparpfad, sondern wieder der Spendierpfad. Und deswegen wäre es wichtig gewesen, hier ein deutliches Signal zu setzen.
    Schulz: Aber Sie sagen jetzt, wenn ich es richtig verstehe, es hätte Sanktionen geben müssen, die ein Symbol setzen, meinethalben auch diese symbolischen null Euro, die ja im Gespräch waren.
    Ferber: Die Regeln sagen ja, 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da kommen genau diese Summen heraus.
    Schulz: Was wäre denn daran besser gewesen? Sprechen wir jetzt über reine Symbolpolitik?
    Ferber: Nein, wir reden nicht über Symbolpolitik, sondern wir reden davon, dass wir die Regeln in Europa ernst meinen. Es ist ja interessant, dass die Kommission gegenüber Polen gleichzeitig verkündet, die Europäische Union ist eine Institution, die sich auf Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung des Rechts beruft. Deswegen werden Beobachtungen und Aufforderungen an Polen ausgesprochen. Gleichzeitig sagt sie, aber bei Spanien und Portugal macht es keinen Sinn, das Recht anzuwenden. Ja was erwarten wir denn eigentlich von der Europäischen Union? …, dass sie die Spielregeln anwendet.
    Schulz: Herr Ferber, den Diskurs würde ich mit Ihnen gerne weiter nachvollziehen und über Polen in der Tat sprechen. Da hat die Kommission gestern sozusagen die nächste Eskalationsstufe gezündet und der polnischen Regierung eine Frist gesetzt. Wird das jetzt das nächste Verfahren, in dem Brüssel droht und wo dann am Ende doch nichts passiert?
    Ferber: Die Prozedur, was die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien betrifft, ist ja eine sehr komplexe. Im Prinzip geht es ja eher hier nur um den erhobenen Zeigefinger, der gestern deutlich erhoben wurde. Aber bis es wirklich zu einem Entzug des Stimmrechts im Rat kommen kann - das ist die Sanktion, die am Ende dieser Prozedur stehen kann -, vergeht noch sehr viel Zeit. Insofern ist da mehr mit Ermahnen zu tun, während beim Stabilitäts- und Wachstumspakt klare Spielregeln da sind, wie auch Strafen und Sanktionen verhängt werden können. Das ist ein ganz großer Unterschied. Wir haben bewusst im Europaparlament nach der Finanzkrise und der Wirtschaftskrise diesen Stabilitätspakt verschärft und wir haben darauf gebaut, dass die Kommission da ihrer Verantwortung gerecht wird. Das ist der große Unterschied zu dem anderen Verfahren gegenüber Polen, wo man eigentlich wirklich nur den Zeigefinger erheben kann.
    Schulz: Aber beim Eurostabilitätspakt ist es doch jetzt wirklich seit Jahren Normalität, dass wir diese Spielregeln zwar vielleicht haben, aber dass sie schlichtweg nicht eingehalten werden. Ist es nicht an der Zeit, sich daran jetzt mal zu gewöhnen?
    Ferber: Aber Sie müssen sich doch über die Konsequenzen im Klaren sein. Am Ende haften alle für die Schulden eines Landes. Das haben wir doch jetzt bei Griechenland erlebt.
    Schulz: Deutschland hat die Kriterien ja auch schon sieben Mal gerissen, Frankreich auch chronisch.
    Ferber: Jetzt müssen wir ein bisschen die Dinge sortieren. Deutschland hat 2004 den größten Fehler gemacht, den man je machen kann. Da stehe ich auch dazu. Deutschland hat damals gesagt, die Spielregeln taugen nichts, wir ändern die Regeln. Und das war das schlechteste Signal, das wir der Stabilität unserer Währung auch antun konnten. Spanien und Portugal haben jetzt dreimal hintereinander gerissen, haben dreimal hintereinander die Zusagen nicht eingehalten. Da setzen Sanktionen an. Dass mal ein Jahr lang ein Land reißt, das passiert immer wieder mal. Da drohen aber noch keine Sanktionen. Sanktionen drohen erst, wenn man es mehrmals hintereinander tut, wenn man mehrmals hintereinander die eigenen Zusagen nicht einhält. Das ist der Fall bei Spanien und Portugal. Insofern nicht sagen, wer einmal reißt, muss gleich auf das Schafott gezogen werden, wenn ich es mal so hart sagen darf. Nein, darum geht es nicht. Aber wer mehrmals hintereinander seine Zusagen nicht einhält, da muss die Gelbe Karte gezogen werden, und das wäre gestern der richtige Zeitpunkt gewesen.
    Schulz: Wir haben aber auch die Situation, dass Wirtschaftskommissar Moscovici ausdrücklich darauf hingewiesen hat, Sanktionen in dieser Situation, in der es vielen Spaniern und Portugiesen so schlecht geht, die Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist, das hätte einfach niemand verstanden. Sie kritisieren die Entscheidung jetzt von einer anderen Seite. Haben wir eine Situation, in der Europa einfach nichts mehr richtig machen kann?
    Ferber: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht weder vor, auf Wahltermine Rücksicht zu nehmen, noch sieht er vor, auf innenpolitische Situationen Rücksicht zu nehmen. Ich betone noch mal: Spanien ist zurzeit nicht in der Lage, einen Haushalt überhaupt zu verabschieden. Wie sollen jetzt die Aufforderungen der Kommission, in den nächsten drei Monaten noch mal ein Sparpaket aufzulegen und im Haushalt Maßnahmen zu ergreifen, umgesetzt werden. Und Portugal hat nach den Wahlen ganz bewusst entschieden, den Sparpfad zu verlassen, und dann kann ich nicht sagen, oh, wir haben aber Riesenprobleme. Nein, hier wurde eine bewusste politische Entscheidung getroffen, und die Frage ist, akzeptiere ich das, was die Kommission jetzt gemacht hat, oder sage ich, wie es im Regelwerk steht, nein, ihr müsst den Weg weiter fortfahren.
    Schulz: Markus Ferber, CSU, der stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview.
    Ferber: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.