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Keine Zeit für Seelsorge

Im französischen Clermont-Ferrand kam 1095 eine von Papst Urban II. einberufene Synode zusammen. Auf der Tagesordnung unter anderem: die kirchlichen Zölibatsgesetze, das Verbot des Handels mit kirchlichen Ämtern. Zum Finale rief der Papst zum Kreuzzug auf. Das Volk war begeistert.

Von Jens Brüning | 18.11.2005
    Es waren die Jahre des Schismas und des Investiturstreits. Nicht nur König und Papst rangen um Unabhängigkeit voneinander. Es gab gleich zwei Päpste, die sich gegenseitig die Berechtigung absprachen, legitime Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein. Auch weiter unten in der Kirchenhierarchie gab es Doppelbesetzungen. Europa war ein Schlachtfeld, auf dem Bruder- und Bürgerkriege tobten.

    1088 war Papst Urban II. als Nachfolger von Gregor VII. nach einem Interimspontifikat von den Kardinalbischöfen gewählt worden, die nicht von König Heinrich IV. eingesetzt waren. Sein Gegenspieler Clemens III. gehörte zum Gefolge des Königs. Die praktische Seelsorge geriet durch den Streit der Päpste in Gefahr. Urban, der aus einer adeligen französischen Familie stammte, sah seine wichtigste Aufgabe darin, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Er hatte hierfür gute Voraussetzungen. Der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner charakterisiert ihn so:

    "Nie mit dem Kopf durch die Wand gehend, sondern anpasserisch, diplomatisch-verschlagen, ein schlauer rastloser Intrigenspinner, der nicht Truppen hielt und selber Kriege führte, sondern andere für sich kämpfen ließ."

    Am 18. November 1095 eröffnete Urban II. in Clermont-Ferrand, der Hauptstadt der französischen Region Auvergne, eine Synode gegen Sittenlosigkeit und Unglauben. Es war die zweite Synode in dem Jahr. Im Frühjahr waren in Piacenza französische, italienische und deutsche Bischöfe zusammengekommen. Dort war eine Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers zu Gast gewesen, die den Papst dringend ersuchte, Hilfe bei der Abwehr der türkischen Heere zu leisten, die kurz vor Konstantinopel standen. Darüber wurde zunächst nicht entschieden. Papst Urban II. reiste nach der Synode von Piacenza durch Frankreich und warb für das Konzil in Clermont und suchte Unterstützer für die Idee einer Pilgerfahrt nach Jerusalem.

    Auf der Synode in Clermont verkündete Urban II. Reformgesetze, die den "gregorianischen" Idealen entsprachen. Das Ziel war die Emanzipation der Kirche aus weltlicher Gewalt. Kein Fürst sollte auf die personelle Besetzung von Bistümern, Abteien und Pfarren Einfluss nehmen können, wie es üblich gewesen war. Geistliche durften nicht durch Eidesleistung von Lehensherren abhängig gemacht werden. Der Klerus sollte zudem den Zölibat streng einhalten. Nach Abschluss der eigentlichen kirchlichen Angelegenheiten trat Urban II. vor die aus dem Umland herbeigeströmten Scharen und rief unter freiem Himmel zur bewaffneten Pilgerfahrt nach Jerusalem auf. Der Papst verwies auf die Bedrängnis der Glaubensbrüder der Ostkirche durch Türken und Araber und mahnte,

    "dass ihr euch beeilt, dieses gemeine Gezücht aus den von euern Brüdern bewohnten Gebieten zu verjagen und den Anbetern Christi rasche Hilfe zu bringen."

    "Werdet nun Streiter Christi, ihr, die ihr vor kurzem noch Räuber wart. Führt jetzt rechtmäßigen Kampf gegen Barbaren, ihr, die ihr einst gegen Brüder und Blutsverwandte gestritten habt. Jene waren die Feinde des Herrn, diese werden seine Freunde sein."

    Nach Urbans Rede erscholl der Ruf "Deus lo volt", Gott will es, der die Kreuzfahrer künftig anfeuern sollte. Später notierte der Zeitzeuge Ekkehard von Aura:

    "Die ganze Welt war entflammt für diese Heerfahrt."

    Urban II. versprach den Kreuzfahrern im irdischen Leben Schuldenaufschub und reiche Beute, im Leben nach dem Tode Vergebung der Sünden und unaufhörliche Paradiesesfreude. Ein damals viel gesungenes Kreuzfahrerlied schilderte die Pilgerfahrt nach Jerusalem:

    "Von Blut viel Ströme fließen, / indem wir ohn’ Verdrießen / das Volk des Irrtums spießen - / Jerusalem, frohlocke! / Des Tempels Pflastersteine / bedeckt sind vom Gebeine / der Toten allgemeine - / Jerusalem, frohlocke! / Stoßt sie in Feuersgluten! / Oh, jauchzet auf, ihr Guten, / dieweil die Bösen bluten – Jerusalem, frohlocke!"

    Urban II. starb im Juli 1099, bevor Nachrichten über den Abschluss des ersten Kreuzzuges zu ihm dringen konnten.