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Keine Zivilehe im Libanon
Von Beirut auf die Hochzeitsinsel

Jedes Jahr fliegen Hunderte libanesische Paare nach Zypern, um dort standesamtlich zu heiraten. Denn im Libanon sind rechtlich nur religiöse Hochzeiten möglich. Immer mehr Aktivisten setzen sich für die Zivilehe ein.

Von Luisa Meyer | 08.01.2018
    Das Sama-Hochhaus in Beirut, der Hauptstadt des Libanons, im März 2016.
    Libanons Hauptstadt Beirut. (picture alliance/dpa/Wael Hamzeh)
    Die libanesische Rockband Mashrou' Leila erzählt, wie ein junges Paar seinen Traum von einer traditionellen Hochzeit über Bord wirft. Wörtlich heißt es in ihrem Lied "Fasateen":
    "Weißt du noch, als du gesagt hast, du würdest mich heiraten, ohne Geld und ohne Haus? Weißt du noch, dass du mich geliebt hast, obwohl ich nicht dieselbe Religion habe?"
    Immer mehr junge Libanesen verzichten auf die klassische Ehe. Damit gerät vieles durcheinander. Denn Heirat, Scheidung, Sorgerecht, Erbe - all dies regeln im Libanon religiöse Gerichte. Eine standesamtliche Hochzeit gibt es nicht. Wenn eine Frau und ein Mann heiraten wollen, die verschiedenen Konfessionen angehören, ist das grundsätzlich erlaubt, aber kompliziert. Einfacher ist es, ins Ausland zu fliegen und dort zu heiraten. Zypern ist rund 250 Kilometer entfernt von Beirut, der Flug dauert eine Dreiviertelstunde. Der Inselstaat im Mittelmeer ist so zum beliebtesten Ziel für libanesische, aber auch für syrische, ägyptische und israelische Hochzeitstouristen geworden.
    Revolte gegen patriarchale Traditionen
    Junge Libanesen sehen die Heirat im Ausland als einen Weg, sich den strengen Vorschriften der religiösen Gerichte zu entziehen. Viele dieser Regeln benachteiligen Frauen, egal ob bei Christen oder Muslimen. Für Frauen ist es schwerer als für Männer, die Scheidung einzureichen. Bei Sunniten darf eine Frau nur heiraten, wenn ihr männlicher Vormund zustimmt. Das kann der Vater, der Großvater oder sogar der jüngere Bruder sein. Dima Sharif kommt aus einer sunnitischen Familie. Schon als junge Frau lehnte sie viele islamische Hochzeits-Traditionen ab, weil von Männern dominiert. Sie revoltierte.
    "Meine Mutter sagte dazu nur, so ist das nun mal in unserer Religion. An dem Tag habe ich beschlossen, dass ich so nicht heiraten möchte."
    Dima Sharif mit ihrem Ehemann.
    Dima Sharif mit ihrem Ehemann. (Deutschlandradio / Luisa Meyer)
    Dima Sharif hat sich vor fünf Jahren für eine standesamtliche Hochzeit in Zypern entschieden – sie selbst praktiziert ohnehin keine Religion. Ihr Mann ist orthodoxer Christ. Vor der Reise nach Zypern mussten die beiden zahllose Dokumente beantragen, übersetzen und anerkennen lassen, aber am Ende lief alles wie am Schnürchen.
    "Die Beamten sind dafür ausgebildet, Menschen aus dem Libanon und anderen Ländern standesamtlich zu verheiraten. Alle sprechen Englisch. Die gesamte Zeremonie dauert zehn Minuten. Ich höre von immer mehr Menschen, dass sie in Zypern heiraten wollen – es ist einfacher als im Libanon."
    Die All-Inclusive-Hochzeit auf Zypern
    Reisebüros haben das wachsende Interesse an Zivilehen erkannt und bieten Pauschalreisen nach Zypern an. Rund 1800 Dollar kostet die All-inclusive-Hochzeit. Darin enthalten: die Übersetzung der Dokumente, die Visa, eine Hotelübernachtung, die Flüge sowie Blumen für die Braut. Viele Libanesen lehnen die standesamtlichen Hochzeiten jedoch ab. Auch Dima Charifs Familie war zunächst skeptisch.
    "Meine Familie war anfangs wenig begeistert von meinem Plan, standesamtlich zu heiraten. Aber später haben sie akzeptiert, dass es meine Entscheidung ist. In der Familie meines christlichen Mannes hieß es: Mach es, wie du es für richtig hältst. Und unsere Freunde denken alle so wie wir."
    Zivile Eheschließungen im Ausland werden im Libanon anerkannt. Falls Dima und ihr Mann sich aber irgendwann scheiden lassen wollen, sind weltliche Gerichte zuständig. Dann wird das Zivilrecht jenes Landes angewendet, in dem das Paar geheiratet hat. Nur wenn beide muslimisch sind, muss das libanesische Gericht das Religions-Recht befolgen. Nadim Boustani beschäftigt sich als Anwalt mit zivilen Scheidungsfragen. Mal wendet er zypriotisches, mal türkisches, mal französisches Recht an. Eine Herausforderung.
    Nadim Boustani beschäftigt sich als Anwalt mit zivilen Scheidungsfragen.
    Nadim Boustani beschäftigt sich als Anwalt mit zivilen Scheidungsfragen. (Deutschlandradio / Luisa Meyer)
    "Die Anwälte können sich nicht alle intensiv mit ausländischem Recht befassen, aber sie behandeln Sorgerechts- und Scheidungsfragen mit gesundem Menschenverstand."
    Noch unübersichtlicher wird das Ganze dadurch, dass im Libanon jede konfessionelle Gruppe selbst über den Personenstand ihrer Mitglieder entscheidet – 15 verschiedene Religions-Gesetze gibt es. So will es die libanesische Verfassung. Der Konfessionalismus prägt auch das politische System: Posten sind an die Konfessionszugehörigkeit gebunden. Präsident kann nur werden, wer maronitischer Christ ist. Der Premierminister ist immer ein sunnitischer Muslim und der Parlamentssprecher ein Schiit. Viele Wissenschaftler haben im Konfessionalismus eine Ursache für Konflikte im Libanon gesehen. Dem widerspricht der Historiker Fawwaz Traboulsi, Dozent an der Amerikanischen Universität in Beirut.
    "Ich lehnt die Idee ab, Konfessionalismus sei per se schlecht. Die konfessionelle Zugehörigkeit ist Teil eines jeden Menschen. Problematisch wird es, wenn die Identität auf die Konfession reduziert wird."
    "Das auf Konfessionen ausgerichtete System hat versagt"
    Dass im Normalfall im Libanon religiöse Gemeinschaften und nicht der Staat über Hochzeit, Scheidung und Erbe entscheiden, ist ein Relikt der französischen Mandatszeit, erklärt der Historiker.
    "Man kann es bis 1936 zurückverfolgen. Zu dem Zeitpunkt gab es sechs Konfessionen. Was passiert nun mit den übrigen? Für sie hat der französische Hochkommissar einige Zusätze zur Verfassung verabschiedet - etwa, dass dafür ein ziviles Gericht geschaffen werden sollte."
    Der Historiker Fawwaz Traboulsi, Dozent an der Amerikanischen Universität in Beirut.
    Der Historiker Fawwaz Traboulsi, Dozent an der Amerikanischen Universität in Beirut. (Deutschlandradio / Luisa Meyer)
    Das gibt es allerdings bis heute nicht. Seit rund 70 Jahren versuchen Anwälte oder Parteien, ein ziviles Personenstandsgesetz einzuführen. Vor 20 Jahren wollte Präsident Elias Hrawi die Zivilehe im Libanon legalisieren – das Kabinett stimmte mehrheitlich zu. Doch Premierminister Rafiq Hariri weigerte sich, den Gesetzesentwurf zu unterschreiben. Er wollte die religiösen Autoritäten nicht verprellen.
    Für Lamia Osseiran ist die Einführung einer Zivilehe nur der erste Schritt zu einem säkulareren Staat. Sie ist Präsidentin einer Nicht-Regierungs-Organisation, die die Rolle der Religionsgemeinschaften im Staat verändern will.
    Lamia Osseiran. Sie ist Präsidentin einer Nicht-Regierungs-Organisation.
    Lamia Osseiran. Sie ist Präsidentin einer Nicht-Regierungs-Organisation. (Deutschlandradio / Luisa Meyer)
    "Wir glauben, dass das System, das auf die Konfessionen ausgerichtet ist und mehr als 100 Jahre ausprobiert wurde, versagt hat: politisch, wirtschaftlich, kulturell und sogar ethisch. Es hat den Libanesen nichts mehr zu bieten. Wir haben einen Staat, der nicht funktioniert. Statt eines Volkes gibt es nur noch Konfessionen, die die Gesellschaft spalten."