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"Keiner hat ein Verfügungsrecht über das Leben des anderen"

Im Zuge der Diskussion über Spätabtreibungen und Sterbehilfe hat der Bischof von Augsburg, Walter Mixa, gefordert, die Würde des Menschen als christlichen Wert stärker in den Vordergrund zu rücken. Kein Mensch habe ein Verfügungsrecht über das Leben des anderen, so Mixa. Daher sei Abtreibung "ein Unrecht, egal in welchem Monat diese Abtreibung" geschehe.

Walter Mixa im Gespräch mit Jürgen Liminski | 21.12.2008
    Jürgen Liminski: Exellenz, vierter Advent, drei Tage vor Weihnachten - in den aktuellen Krisenzeiten ist von der Stille der geweihten Nacht wenig zu spüren. Die Wunschvorstellung der politischen Klasse, wenn sie an Weihnachten denkt, ist vermutlich, dass Leute wie Maria und Josef keinen Platz im Kaufhaus finden, erstens - weil es im Konsumtempel wunderbar voll ist, und zweitens, weil dieses Paar nicht viel kaufen würde.

    Weihnachten scheint nicht nur in Deutschland, sondern im ganzen - früher sogenannten christlichen Abendland - zum reinen Konsumfest zu verkommen. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?

    Walter Mixa: Es ist sicher zunächst einmal, ganz oberflächlich gesehen, durchaus meine Wahrnehmung. Auf der einen Seite sind die Kaufhäuser voll, es wird eingekauft nach allen Möglichkeiten, die Leute scheinen keinen Geldmangel zu verspüren. So ist wohl zunächst einmal der Eindruck nach außen hin.

    Und dazu hin kommt auf der anderen Seite auch die Bedrohung des Menschen in den Krisengebieten - die Kriegsgebiete, der Auslandseinsatz unserer Bundeswehrsoldaten, wirtschaftliche Ungerechtigkeit in der weiten Welt, Menschen, die auf der Flucht sind.

    Und das alles scheint ja mit Maria und Josef und diesem Kind in der Krippe herzlich wenig zu tun zu haben, beziehungsweise könnte man sagen: passé - vorbei - vergiss es - bringt uns heute nichts mehr. So könnte durchaus auf den ersten Augenblick hin das ganze Geschehen gesehen werden - Geschichte von gestern oder von vorgestern.

    Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen: Ist nicht gerade diese Menschlichkeit, die sich zeigt in einem Kind, das von einer Mutter umsorgt ist, das von einem Vater beschützt ist, ist nicht gerade dieses Geschehen ein urmenschliches Geschehen, an dem wir uns persönlich immer wieder aufs Neue ausrichten können und das auch uns Heutigen beim näherem Zusehen durchaus etwas zu sagen hat?

    Liminski: Über die Menschlichkeit wurde diese Woche im Bundestag sehr viel diskutiert beim Thema "Spätabtreibung". Ich darf da mal einen Satz von dem Nobelpreisträger für Literatur, Heinrich Böll, zitieren, von ihm stammt ja nicht nur die berühmte Weihnachtssatire.

    Er hat gesagt: "Die schlechteste christliche Gesellschaft ziehe ich noch tausend Mal der besten heidnischen Gesellschaft vor, denn in keiner wirklich heidnischen Gesellschaft hat es jemals Platz gegeben für Waisenkinder, psychisch Kranke, Arme und Behinderte." Bei der Spätabtreibung ging es um Menschlichkeit, es ging auch um die Frage der Beratung. Niemand wollte aber die Abtreibung als solche in Frage stellen. Gibt es in Deutschland noch Platz für Arme, Kranke und Behinderte?

    Mixa: Die Frage ist vollkommen berechtigt. Und Böll hat aber trotzdem recht, und zwar einfach aus dem Grund, weil jeder von uns, auch wenn wir uns im Moment topp gut fühlen, fragen müssen, dass wir erfolgreich sind, dass wir gegebenenfalls gut aussehen, dass wir geachtet sind und einen gewissen Einfluss haben, beruflichen Erfolg - ist das von Dauer? Fragt nicht jeder irgendwann einmal nach einem tieferen Sinn seines Lebens? Erfährt nicht jeder einmal von uns seine eigene persönliche Begrenztheit im beruflichen Erfolg, auch im Vertrauen, das er von anderen Menschen erwartet oder auch geben möchte? Erfährt nicht jeder von uns auch seine Begrenztheit in der Gesundheit?

    Wie schnell kann uns eine Krankheit - ich sage es ganz bewusst so - überfallen, und sind wir dann nicht auf die Hilfe von anderen, ja nicht nur von gutwilligen Menschen, sondern von Menschen, die ein Herz haben, angewiesen? Und deshalb hat Böll absolut recht. Denn durch die Botschaft von Weihnachten kommt ja dieses einmalig Christliche zum Ausdruck, und ohne irgendeine Respektlosigkeit gegenüber anderen Kulturen oder Anhängern anderer Religionen muss ich ganz klar und eindeutig sagen: Weihnachten ist urchristlich.

    Dieser gewaltige Tausch aus einer Fülle uns unergreifbarer Höhe vom Schöpfer des Himmels und der Erde, eines gewaltigen Universums - dieser gewaltige Tausch von oben nach unten in der Menschwerdung eines Kindes, das ist was ganz anderes. Wirklich, der Schöpfer und Erhalter des Universums und des Daseins gleich wird, absolut in allem gleich wird, bis hin zu Blut und Tränen, ausgenommen die Sünde. Das ist eine Zuwendung einer bedingungslosen Liebe, die wir uns größer und tröstlicher und auch hilfreicher überhaupt nicht vorstellen können, so dass ich mich zu sagen traue, dass im Letzten jeder Mensch irgendwann einmal auf diese Liebe angewiesen ist.

    Liminski: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Thema Spätabtreibung, Abtreibung. In der UNO gibt es Bestrebungen, Abtreibung als ein Recht zu definieren, und zwar im Rang eines Menschenrechts. Das dürfte bald auch in Deutschland diskutiert werden. Niemand in der politischen Klasse will die Abtreibung als solche infrage stellen, man könne und wolle den gesellschaftlichen Konsens darüber nicht aufbrechen, das Thema sei emotionell zu stark beladen, heißt es zum Beispiel in der CDU.

    Muss man, wenn schon nicht aus moralischen, so doch wenigstens aus mathematischen Gründen - Stichwort Demografie - neu über diese Frage nachdenken?

    Mixa: Nicht nur aus demografischen Gründen über diese Frage neu nachdenken. Was nützt mir die ganze Demografie, wenn ich nicht die Frage stelle: Wer ist der Mensch wirklich? Weil sich Gott in der Menschwerdung des Sohnes radikal auf unsere Seite gestellt hat, ergibt sich daraus logischerweise die Tatsache, dass ein Mensch dem anderen gleichwertig und gleich würdig gegenübersteht.

    Und wenn dem so ist, dann hat kein Mensch ein Verfügungsrecht über das Leben des anderen. Und dann muss in aller Deutlichkeit nicht moralisierend, sondern einfach von der Wirklichkeit des Menschen her - ich würde sagen, von einer richtig verstandenen Psychologie, von einer richtig verstandenen Philosophie, von der richtig verstandenen Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins - ganz klar und eindeutig festgehalten werden: Abtreibung ist ein Unrecht, egal in welchem Monat diese Abtreibung geschieht.

    Denn damit wird über Menschen, die sich nicht wehren können, die aber als Menschen gleich wertvoll sind wie ein anderer erwachsener Mensch - jeder Mensch hat in seiner Weise eine Behinderung -, wird diesen Menschen das Recht auf ihr Leben genommen. Und das ist eine Unmenschlichkeit in sich, die als solche beim Namen genannt werden muss und über die auch gesprochen werden muss, die man nicht aus Feigheit oder aus "Political Correctness" verschweigen kann.

    Die Abtreibung und auch Abtreibung von behinderten Kindern kurz vor der Geburt, die sogenannte Spätabtreibung, ist und bleibt ein Unrecht, weil kein Mensch ein Verfügungsrecht hat über das Leben des anderen. Die gegenwärtige Sicht bezeichne ich als absolut kurzsichtig - schon von der Demografie her, und von der Zukunft für unsere Gesellschaft.

    Liminski: In einem alternden Kontinent, Herr Bischof Mixa, denkt man zunehmend nicht so sehr an den Anfang des Lebens, sondern an das Ende. In der Politik wird die aktive Sterbehilfe diskutiert, im Fernsehen werden Selbsttötungen gezeigt. Über den Defiziten in der Pflegekasse, Sie haben es eben auch angesprochen, wird die Diskussion wohl an Intensität gewinnen, auch mit dem Argument, sinnloses Leiden zu verkürzen.

    Wie kann denn die Kirche diese Diskussion überhaupt noch beeinflussen?

    Mixa: Das ist für die Kirche ungeheuer schwierig, aber die Kirche darf hier in keiner Weise sich in einer scheinbar vornehmen Zurückhaltung sich zurücknehmen und sich womöglich in diese gesellschaftliche harte Diskussion nicht einmischen wollen.

    In dem Zusammenhang müsste hier gesagt werden von der uralten möglichen Erfahrung: Der Mensch ist des Menschen Feind. Und das ist ja gerade durch das christliche Menschenbild, das alle anderen Daseinsentwürfe an Achtung und Würde gegenüber dem Nächsten bei weitem übertrifft, das ist ja gerade durch dieses christliche Menschenbild in aller Deutlichkeit herausgestellt, dass ich ein Herz haben muss für den anderen.

    Und wenn ich daran glaube - und ich glaube daran, und das ist Wirklichkeit, dass eben nicht Leid und Tod und Hass und Feindseligkeit das letzte Aus und Amen sprechen, sondern diese Liebe des menschgewordenen, des gekreuzigten Jesus von Nazaret, des auferstandenen Christus - dann muss ich ein Herz haben für den alt werdenden Menschen, für das behinderte Kind, für die alleinerziehende Mutter, für Menschen, die in irgendeiner Weise im täglichen Leben in Bedrängnis kommen, für kranke und pflegebedürftige Menschen muss ich ein Herz haben.

    Das hatte das Christentum von Anfang an gekennzeichnet, und das darf nicht aussterben. Wenn das immer mehr in den Hintergrund verdrängt wird, wenn das zum Aussterben kommt, dann kann ich nur sagen: Gnade uns Gott. Dann gehen wir wirklich einer menschenverachtenden und geradezu unmenschlichen Zukunft entgegen. Und das darf doch so wohl nicht sein, weil dann jeder für die Zukunft seines Lebens total verunsichert wäre und geradezu berechtigt Angst haben müsste.

    Liminski: Hat denn die Kirche noch die Kraft, solche gesellschaftlichen Debatten anzustoßen und in die Politik hinein zu wirken?

    Mixa: Die Kirche muss diese Kraft haben. Und wenn ich auf unseren Papst Benedikt XVI. schaue, der jetzt nicht nur vom intellektuellen her großartige und auch lesenswerte, verhältnismäßig auch leicht zu lesende Werke und Bücher über verschiedene Themen des Glaubenslebens geschrieben hat, sondern der auch eintritt für mehr Frieden und Gerechtigkeit im Zusammenleben des Menschen, der eintritt für die Achtung vor dem Menschen, Dignitas Personae, die Würde der Person, vom ersten Augenblick des Daseins bis hin zum Absterben von dieser Erde, dann sagt das dieser Papst ganz deutlich.

    Und das müssen wir Bischöfe aufgreifen, das müssen wir Priester aufgreifen, das muss jeder Religionslehrer aufgreifen. Darüber müssen die Eltern am Küchentisch und am Rand der Kinderbetten mit ihren Kindern und heranwachsenden Jugendlichen ins Gespräch kommen. Und hier spreche ich mit den Worten des alttestamentlichen Propheten Isaia: Wir dürfen keine stummen Hunde sein, sondern wir müssen wirklich das christliche Menschenbild als ein ganz lohnendes Alternativprogramm hineintragen in unsere Gesellschaft, die bedroht ist, weil sie den Menschen in seiner Eigenständigkeit und in der Einmaligkeit seiner Würde nicht mehr richtig einschätzt, sondern geradezu wie ein zu verwendendes oder zu verbrauchendes Material verwenden möchte.

    Und hier muss die Kirche, müssen die Vertreter der Kirche, müssen wir als getaufte und als gefirmte Christen eintreten für die Liebe Gottes in der Menschwerdung seines Sohnes, die ja dann auch eine Liebe ist zu jedem einzelnen Menschen, egal welcher Herkunft, auch egal welchen Geschlechtes, gleichgültig welcher beruflichen Stellung, weil der Mensch einfach Dignitas Personae, die Würde der Person durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus unwiderruflich in sich trägt. Und das muss in Wort und Tun in aller Deutlichkeit, ob gelegen oder ungelegen, bezeugt werden.

    Liminski: Exzellenz, wir sind in der Krise, vermutlich die schärfste Wirtschaftskrise seit der großen Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Jetzt sind christliche Tugenden wie Nächstenliebe, politisch korrekt heißt das ja Solidarität, besonders gefragt. Sie haben ja auch einige genannt. Wie stellt sich denn die Kirche auf die Krise ein?

    Mixa: Als Kirche müssen wir versuchen, einzutreten im Rahmen unserer katholischen Sozialehre, wie das beispielsweise der Wissenschaftler und Professor Anton Rauscher tut. Es gibt nichts besseres, so sagten selbst zur Zeit des Kommunismus weiter denkende wirtschaftliche Führer dieses Systems, als die katholische Soziallehre, wo es um Subsidiarität geht, also Hilfe gegenüber solchen, die der Hilfe bedürfen, aber auch Hilfe zur Selbsthilfe.

    Solidarität, dass es mir nicht wurscht sein kann, wenn es dem Nächsten an meiner Seite einfach nicht gut geht, sondern dass ich versuchen muss, in irgend einer Form, auch wenn es oftmals nur geringfügig geschehen kann, aber Abhilfe zu leisten, und dass das Gemeinwohl vor dem Eigenwohl steht. Und insgesamt ist ja diese christliche Soziallehre gekennzeichnet von der Personenwürde des Einzelnen, und dass deshalb, weil der Einzelne eine Würde als Mensch hat und als Gegenüber von mir selber einer dem anderen gleichwertig gegenüber steht, eben diesem anderen auch eine entsprechende Hilfe und Aufmerksamkeit, soweit uns das wirklich möglich ist, zukommen muss.

    Und da muss dann eben auch der Glaube, der verkündet wird, der Glaube, der in der Liturgie gefeiert wird, dieser Glaube muss dann aber auch im praktischen Tun, in den Werken der Nächstenliebe, in der Fürsorge für den Anderen im alltäglichen Leben zur Geltung kommen.

    Liminski: Es gibt viele Milliarden für die Banken und gerade mal zehn Euro mehr Kindergeld nach heftigen Diskussionen. Sehen Sie da nicht ein Problem der sozialen Gerechtigkeit, das eben auch mit all diesen Problemen zu tun hat, die Sie gerade nannten, mit der Einstellung gegenüber dem Menschen?

    Mixa: Über diese Tatsache bin ich nicht nur empört, das ist zu wenig, sondern bin ich sehr enttäuscht und noch mehr sehr traurig. Ich habe kürzlich mit dem Vorstand des gesamten Frauenbundes der verschiedenen Frauenvereinigungen in unserer Diözese eine Jahresaussprache gehabt, gestern erst wieder mit einer großen Gruppe von Jugendlichen, die alle von sich aus sich bedankt haben, ohne dass ich dieses Thema angesprochen habe, dass ich so eintrete für den Schutz der Ehe und der Familie und auch einer sachgerechten Kindererziehung. Und bei all diesen Milliardengeschäften, die laufen, ist eine Erhöhung von zehn Euro geradezu lächerlich.

    Das muss in Frage gestellt werden, ob man so etwas überhaupt in der Öffentlichkeit dann noch als eine Wohltat herausstellen kann. Und ich bin von Jugendlichen auch gefragt worden, was tut die Kirche denn dazu. Da tut die Kirche ungeheuer viel dazu, was sogar von den staatlichen Einrichtungen bewundert wird. Wir sprechen davon, die Kirche handelt schnell und unbürokratisch. Wenn ein junges Mädchen kommt und trotzdem zu ihrem Kind steht, gegen den Rat der Eltern und des Freundes für eine Abtreibung, sie kommt zu unseren Schwangerenkonfliktberatungsstellen, zum Sozialdienst der katholischen Frauen. Die wird ernst genommen. Der wird sofort geholfen.

    Die bekommt sogar eine eigenständige Wohnung, wenn sie zu Hause keine Bleibe mehr hat. Wir tun etwas in dieser Richtung. Und das ist eben auch ganz entscheidend, dass hier mehr Unterstützung von Seiten des Staates kommen müsste. In anderen Ländern, zum Beispiel in Schweden und in Finnland, hat man schon lange eingesehen, dass eben diese bloße Versorgung in Kinderkrippen, die es in Notfällen geben muss, davon habe ich immer gesprochen, zu wenig ist.

    Kürzlich sagte mir ein Arzt, er verstehe ja durchaus meine Einlassungen und er stehe ganz dahinter, er versteht nur nicht, dass die psychologischen und pädagogischen Erkenntnisse, das hat ja etwas mit Humanwissenschaft zu tun, es hat ja nichts mit Religion zunächst zu tun, sondern es sind humanwissenschaftliche Erkenntnisse, dass die von den verantwortlichen Politikern kaum wahrgenommen werden. Und das kann so nicht bleiben.

    Liminski: Exzellenz, Sie sind auch der Militärbischof von katholischer Seite. Seit dieser Legislaturperiode gibt es im Beirat des Bundesverteidigungsministers auch einen Arbeitskreis Ethik. Ist das nötig? Sehen Sie in der Bundeswehr ethische oder geistliche Defizite?

    Mixa: Es käme zu diesen Defiziten, muss ich sagen, wenn es nicht seit Bestehen der Bundeswehr seit 1956, und das dürfte im Vergleich zu anderen Armeen, um das einmal so zu sagen, fast einmalig sein, die Einrichtung der inneren Führung gibt, dass also die Offiziere verantwortlich sind für die innere Führung, also menschliches Verhalten, gewissenhafter Umgang mit dem Nächsten, auch mit dem Einsatz der Waffe, und dass dann diese innere Führung geradezu in eine Korrespondenz - ich möchte nicht sagen ergänzt, aber in einer Korrespondenz - nochmals aufgegriffen und vertieft wird durch den lebenskundlichen Unterricht, der von den Militärgeistlichen beider Konfessionen geleistet wird. Und bei diesem lebenskundlichen Unterricht geht es um Ethik.

    Was heißt Ethik? Ethik ist ein Fremdwort, kommt aus dem Griechischen und heißt gar nichts anderes als menschliches Verhalten. Ich bin überrascht, dass ich von Seiten der Bundeswehr an vielen Orten mittlerweile eingeladen worden bin, einen Vortrag zu halten über die Kardinaltugenden als Hilfe für die innere Führung und für die recht verstandene Erziehung unserer Soldaten, wo es um die Frage der Gerechtigkeit, der Klugheit, der Tapferkeit und des rechten Maßes geht. Und dieser Vortrag und diese Darstellung ist wirklich mit großer Dankbarkeit angenommen worden.

    Und so kann ich mit Fug und Recht sagen, dass also unsere Soldaten sowohl von der Einrichtung der inneren Führung und dann aber auch vom regelmäßig erteilten und natürlich mit entsprechenden Diskussionen geführten lebenskundlichen Unterricht auch in einer verantwortungsbewussten Weise für ihren Dienst persönlich, für den Umgang in den Kasernen und dann auch für den Auslandseinsatz gebildet und geschult werden.

    Liminski: Herr Bischof, noch eine Frage in diesem Interview vor Weihnachten. Weihnachten ist für viele Menschen doch noch eine Zeit der Besinnung, gelegentlich auch der Umkehr, auf jeden Fall eine Zeit der Emotionen und Überraschungen und auch der vollen Kirchen.

    Ist das die übliche Weihnachtskonjunktur des europäischen Restchristentums, oder sehen Sie darin Zeichen der Hoffnung, die über Weihnachten hinaus weisen?

    Mixa: Das ist sehr gut ausgedrückt. Das regt mich ja direkt zum Schmunzeln an, diese Überkonjunktur eines Restchristentums in Europa. Und zwar muss ich deshalb etwas darüber schmunzeln, weil Sie das so direkt und auch auf den ersten Blick hin durchaus sachgerecht ansprechen.

    Aber für mich kommt etwas anderes auch noch ganz entscheidend dazu: Der Gnade Gottes sind keine Grenzen gesetzt. Und das ist für mich das Entscheidende. Und es ist natürlich für uns, die wir in der Verkündigung stehen, ob das jetzt der Heilige Vater ist in Rom, der es sowieso tut, ob es der Bischof seiner jeweiligen Ortskirche ist, ob es ein ganz schlichter, liebenswürdiger Pfarrer einer kleineren Landgemeinde oder einer Kleinstadt ist, es kommt einfach darauf an, dass wir nicht irgendwie fromme Storys erzählen, sondern dass wir wirklich von der ganz, ganz großartigen Zuwendung Gottes in der Menschwerdung seines Sohnes sprechen.

    Und bewegend ist ja gerade das, dass er nicht zu uns kommt in einem angstmachenden Lichtereignis, das uns in die Knie zwingen würde oder sonst in irgendeiner erschreckenden Erscheinung, sondern dass er zu uns kommt als Kind. Und ein Kind bewegt immer noch das Herz des Menschen. Wenn ich es recht sehe, muss ich zunächst einmal sagen, freilich, ein Kind hat jetzt rein gesellschaftspolitisch, hat wirtschaftlich keine Bedeutung. Aber wenn ich das Kind richtig anschaue, ist das Kind Zukunftsträger.

    Das Kind ist die Zukunft für jede Familie. Das Kind ist die Zukunft für Vater und Mutter. Das Kind ist die Zukunft für die Gesellschaft. Und deshalb ist in einem jeden Kind uns wirklich eine große Gabe von Liebe und auch von richtig verstandener Sicherheit geschenkt. Diese Liebe gibt uns schon jetzt einen Sinn für unser Leben in guten und auch in schweren Tagen, die keinem Menschen erspart bleiben, und gibt uns eine Hoffnung dadurch auch für unser alltägliches Leben und auch einmal für die Stunde des Sterbens, wenn nicht das Böse, das Ungute, das jeder in irgend einer Weise erfährt, das letzte entscheidende Wort haben, sondern die Liebe. Und das ist das Großartige, und das ist das Bleibende von Weihnachten.