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Kennerin der Lyrikgeschichte

Die 1980 als letztes von acht Kindern geborene Nora Gomringer hatte es als Jüngste wohl am leichtesten, sich aus dem Schatten des Übervaters Eugen Gomringer, des Erfinders der "Konkreten Poesie", zu befreien. Ihr zweiter Gedichtband "Klimaforschung" beweist es deutlich.

Von Oliver Seppelfricke | 27.04.2009
    Froschkönig

    Wut an Wand
    Wunder herab
    Wild, die Nacht

    Heinrich, der Wagen
    Ein Band um mein Herz

    In einem tiefen Brunnen
    Goldballschimmern

    Mädchen kalt
    Wie Wasser

    Vergessen Versprechen
    Gebrochen die Worte
    Aus der Kehle die Wünsche
    Emporgebracht

    Dass doch jemand
    Käme, wollend


    Nora Gomringer kennt die Lyrikgeschichte und sampelt sie mit sichtlichem und hörbarem Vergnügen. Und wie jede gute Dichterin sucht sie das Zwiegespräch mit großen Vorbildern: mit Ernst Jandl, Franz Hohler oder mit Friederike Mayröcker:

    Das ist für Friederike Mayröcker

    Die Kenntnis eines Dinges erzeugt Liebe zu ihm, je
    genauer die Kenntnis, desto brennender die Liebe
    --- Leonardo da Vinci

    Ich liebe das Ding, das du bist, bist und bist, der
    Maschine gleich
    In einem Hals eingebunden die Wörter
    Die möchten, nein, wollen, was die Ohren hören
    Tiefer, brennender ist die Liebe eine Heilung
    Eine Verbrennung, Narbe, hässlich auf der Hand
    Über den Lippen wie der Mondschatten
    Das Sprechenwollen der Kehle vernäht zu einem
    Bauschigen Saum, die Stirn daran gepresst
    Nicht gehen lassen wollen, nicht bleiben können
    In diesen Stunden der blassen Lichter in Stuben
    Der Näherinnen, der Frauen, die auftrennen
    Immermüd


    Die hier vorgetragenen Gedichte liegen dem neuen Buch "Klimaforschung" als CD bei. Nora Gomringer trägt darauf ihre Gedichte furios vor: Mal klingen Möwen im Hintergrund, mal ein Zugrattern, mal ein Windhauch oder eine Trompete, mal schlägt ein Herz oder ein Hammer, und darüber dann ihre Stimme. Die singt, faucht, röchelt oder haucht.

    Shibolet

    Sprich meine Sprache
    Feindlich auf den Ton
    Den letzten
    Angesetzt ein Messer
    An der Kehle
    Röchle, was uns trennt


    Am besten in diesem neuen Band sind Nora Gomringers Liebes- oder vielmehr Nichtmehrliebesgedichte. Sie handeln von Ängsten und Hoffnungen, von sichtbaren und unsichtbaren Zeichen von Liebe und Hass, von vergangener Zuneigung:

    Raum für Echos

    Als ich meinen Geliebten zum ersten Mal besuchte,
    In seinen Badezimmerspiegel sah,
    Aus seinem Geschirr trank und aß, stellte sich ein
    Verdacht ein:

    Hier alles wie Wohnung
    Nur Bett nicht Bett und Stuhl nicht Stuhl und

    Auf dem Parkett Ringe,
    Hier waren irdene Töpfe, Blumen welk darin

    Alles wie weggenommen
    Nicht zurückgestellt
    Fehlen von Material und Dichte
    Raum für Echos

    Entstanden
    Als eine ging
    Mit lautem Schritt über das Holz.

    Liebe vergeht, aber sie kann wiederkommen. Denkt man. Jedoch sind am überzeugendsten diejenigen Gedichte, die von Liebe und ihrem Scheitern sprechen. Häufig endet Hoffnung im Tod:

    - zu -

    Engel spricht

    Da auf den Hals, da hat dich lange keiner geküsst
    Und hier an dieser Stelle zwischen den Augen, sanft
    Da war schon lange keine Sanftheit mehr bei dir am
    Werk
    Wo, nein, an den Händen, das zählt nicht
    Auch ein Hund leckt die
    Aber dort, wo die Haare so weich, knapp hinter
    dem Ohr
    Bist du eigentlich jemals vom Mond beschienen
    worden
    Ich denke, ich nehm dich mit hinaus
    Leg dich in den Schnee und bleib dir eine Erinnerung
    Und helf dir auf den Weg, wenn's hell wird

    Zu Carolin:

    Und wenn du stirbst, dann erzähl von mir
    Ich kam helfen, als es - spät war


    Doch man täusche sich nicht: Nicht immer trägt die virtuose Vortragsweise über die Schwächen mancher Gedichte hinweg. Fünf oder sechs von ihnen gibt es in diesem, dem zweiten veröffentlichten Gedichtband von Nora Gomringer. Zum Beispiel den blassen

    Tanz

    Eine Art Drehung
    Auf dieser Fläche
    Ein Faltenwurf
    Ein Knarren von Holz
    Eine Beuge, der Takt
    Lose beginnt man
    Nähert sich dem Morgen
    Auf weißem Parkett


    Und dennoch ist der Gesamteindruck beglückend: Nora Gomringer ist eine gute Dichterin und eine großartige Performerin ihrer eigenen Stücke. Ihre Sprache bezeichnet sie an einer Stelle einmal als "ein Wind, der aus der Halsmitte kommt, ein Hauch von Denken, getragen auf einem Strom".

    Und genau das geht auf die alte Lyra zurück, den Ursprung der Lyrik, den Gesang. Und nichts könnte dies schöner veranschaulichen als das allerschnellste Gedicht, das ohne jede Worttrennung abgedruckt ist:

    Daheim

    Mamaundpapaundkindundkinderschwesterundkinder
    bruderundkinderonkelundhoppehoppeundfallefallein
    dengrabenundgefressenvonrabenundangesabbertvom
    hundundmeerschweinundseinekurzenbeinchenver
    schwindenimschlundundgelbervogelimkäfigundnach
    barundnachbarsfrauundputzeundputzesmannund
    mamasloverundpapasblondeundpapasblondeshelles
    undmamastablettenundhundehitzeundnachbarskatze
    undidylleinderreihe


    Nora Gomringers außergewöhnlicher Gedichtband plus Vortrags-CD sind beim Verlag Voland & Quist erschienen und kosten 14,90.