Freitag, 29. März 2024

Archiv

Kiel feiert Deutsche Einheit
Merkels Mahnung: Einigsein bis heute nicht vollendet

Beim Einheitsfest in Kiel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel angemahnt, dass die Deutsche Einheit staatlich zwar vollendet sei, das dies aber für die Einheit der Deutschen, ihr Einigsein, bis heute nicht gelte. In ihrer Rede warb Merkel dafür, stets offen, lebendig und kontrovers zu diskutieren.

Von Johannes Kulms | 03.10.2019
0Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht auf dem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit. Schleswig-Holstein, als Land mit dem aktuellen Bundesratsvorsitz, richtet in diesem Jahr die zentrale Feier zum 3. Oktober aus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht auf dem Festakt zum Tag der Deutschen in Kiel (dpa /Carsten Rehder)
Der ökumenische Festgottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit ist zu Ende und Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel gehen direkt auf die wartenden Menschen am Absperrgitter zu.
Beide scheinen dieses kleine Bad in der Menge zu genießen. Selfies werden gemacht, Autogramme geschrieben und viele Hände geschüttelt. Auch bei einer Gruppe von Jugendlichen kommen Steinmeier und Merkel vorbei. Die jungen Leute freuen sich darüber, dass die Mauer gefallen ist und die Einheit gefeiert wird. Doch ein Thema sei ihnen eben wichtiger sagt ein Junge:
"Klimaschutz ist sehr, sehr wichtig, weil wir wollen ja unsere Zukunft und auch die Zukunft der nächsten Generation ja noch irgendwie retten so. Und wenn da nichts gegen unternommen wird, wird es immer wärmer. Und das ist auch nicht gut!"
Auch 2006 hat das Einheitsfest in Kiel stattgefunden. Für Angela Merkel war es damals die erste Teilnahme als Bundeskanzlerin. Doch damals war gab es weder die Klimabewegung Fridays for Future noch die Serie von Wahlerfolgen der AfD, die sich gerade im Osten gerne als "Kümmerer"-Partei für die Menschen vor Ort gibt.
Merkel: "Einigsein bis heute nicht beendet"
30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer stellt Merkel heute fest: "Die staatliche Deutsche Einheit, sie ist vollendet. Die Einheit der Deutschen, ihr Einigsein, das war am 3. Oktober 1990 noch nicht vollendet. Und das ist es bis heute nicht."
In der DDR habe der Staat seinen Bürgern viele Grenzen gesetzt. Doch manchmal sei es für die Bevölkerung auch bequem gewesen auf eben jenen Staat zu zeigen, wenn etwas nicht gelaufen sei. Auch sie selber sei als DDR-Bürgerin immer wieder in diese Falle getappt, wie Merkel sagt.
"Umso wichtiger ist es präzise darüber nachzudenken, wie das Verhältnis von Bürgern und Staat heute – das heißt, unter den Bedingungen von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit aussieht. Denn ich beobachte, dass auch heute manche - und zwar in ganz Deutschland - die Ursache für Schwierigkeiten und Widrigkeiten vor allem und zuerst beim Staat und den sogenannten Eliten suchen. In ihrer Betrachtung steht der Staat dabei mehr oder weniger Synonym für eine abgehobene Obrigkeit verbunden mit sogenannten Eliten in der Politik, den Medien, der Wirtschaft, der Wissenschaft. Dem man sowieso nichts glauben könne und die dem einzelnen nur im Wege seien."
Ein solches Denken aber führe ins Elend sagt Merkel und mahnt an, dass niemand, der öffentlich Verantwortung übernimmt, um Leib und Leben fürchten dürfe.
Die CDU-Politikerin wirbt in ihrer 20-minütigen Rede dafür, offen, lebendig und kontrovers zu diskutieren. Aber immer im Rahmen des Grundgesetzes. Eine Demokratie ohne das Engagement der Demokraten und jener, die bereit seien, Verantwortung zu übernehmen, sei zum Scheitern verurteilt.
"Und niemals darf konkretes, politisches Handeln, sei die Enttäuschung darüber auch noch so groß, als Legitimation dafür akzeptiert werden, andere wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung auszugrenzen, zu bedrohen oder anzugreifen."
Festakt in der Halle der Handballer
Der einstündige Festakt in jener Halle, in der sonst die Handballer vom THW Kiel auf Torejagd gehen, kommt weitestgehend bunt daher. Wie auch beim Bürgerfest nutzt der Gastgeber Schleswig-Holstein die Bühne zur Eigenwerbung. Zu hören und zu sehen sind viele "Moins", Strände und glücklich wirkende Menschen. All dies überschrieben mit dem Slogan "Mut verbindet".
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther fordert in seiner Rede dann auch mehr Mut um Herausforderungen wie die Digitalisierung oder den Klimaschutz anzupacken. Aber auch bei Diskussionen gegenzuhalten, in denen "unser System" schlecht gemacht wird. Andererseits gelte es aber andere Menschen nicht gleich wegen ihrer Meinung zu diskreditieren, so CDU-Mann Günther.
03.10.2019, Schleswig-Holstein, Kiel: Besucher gehen über das Veranstaltungsgelände während der zentralen Feier zum Tag der Deutschen Einheit. Schleswig-Holstein als Land mit dem aktuellen Bundesratsvorsitz richtet in diesem Jahr die zentrale Feier zum 3. Oktober aus. 
In Kiel sind viele Moins zu sehen und zu hören und viele Strände und glücklich wirkende Menschen (dpa / Frank Molter)
"Und das gilt gerade mit Blick auf die Menschen in Ostdeutschland. Ihre Lebensläufe und biografischen Brüche in zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen sind seit der Wende vielfach zu wenig berücksichtigt worden. Hier wünsche ich mir Sensibilität und Verständnis auf westdeutscher Seite. Die Ostdeutschen hatten es nach dem Zweiten Weltkrieg ungleich schwerer. Für den Osten gab es nach 1945 keinen Marshall-Plan. Und zusätzlichen einen großen wirtschaftlichen Aderlass, weil die Sowjetunion sich ihre Reparationszahlungen aus der DDR holte."
Perlenkette von Zelten und Buden
Hundertausende Besucherinnen und Besucher nutzen das zweitägige Einheitsfest dagegen zum Bummel am Ostseeufer. Wie auf einer Perlenkette reihen sich dort Zelte und Buden aneinander. Allen voran auf der Ländermeile, wo sich die 16 Bundesländern mit Gastronomie aber auch Wirtschaftsprodukten präsentieren. Familie Laatz hat es bis dahin nicht geschafft, es sei dort einfach ein bisschen zu voll gewesen. Aber der Stand des Bundesrats hat ihnen gefallen. Herr Laatz stammt aus Schleswig-Holstein, Frau Laatz aus Mecklenburg-Vorpommern.
"Also, wir feiern unsere Vereinigung sozusagen!"
Frau Laatz erinnert sich an ihre erste Reisen nach dem Mauerfall. Es sind Geschichten, die nach Klischees klingen aber bei ihnen an diesem sonnigen 3. Oktober in Kiel vor allem für Lachen sorgen:
"So und ich gebe auch zu, als ich das erste Mal in Lauenburg sozusagen in Schleswig-Holstein war, war es ein Erlebnis bei Aldi, war es ein Erlebnis einen Berg Bananen zu sehen. Mir ist schlecht geworden nur weil ich es nicht kannte. Man kann es nicht glauben, aber es ist so!"