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Kieler "Glückslokal"
Gegen den Massenkonsum

Im Kieler Zentrum gibt es einen Second-Hand-Laden der etwas anderen Art - das Glückslokal. Spielsachen finden sich dort ebenso wie Kameras. Die Gegenstände dürfen kostenlos mitgenommen werden. Allerdings nur jeweils drei. Das soll gleichzeitig einen bewussteren Umgang mit Konsum fördern.

Von Johannes Kulms | 19.12.2019
Blick von einer Empore im Kieler "Glückscafé" auf den Tresen
Das Kieler "Glückslokal: Hier wird nichts verkauft oder getauscht, sondern verschenkt. (Deutschlandradio / Johannes Kulms )
Isabel Kähler steht in einem kleinen engen Raum. Um sie herum: Regale, mit Büchern, Brettspielen, Kinderklamotten und Kuscheltieren. Die Mutter von zwei Kindern weiß, dass sich ein Besuch im Kieler Glückslokal gleich doppelt auszahlen kann. Einerseits, weil es wie ein kleines Second-Hand-Kaufhaus aufgebaut ist, wo es auf fast 200 Quadratmetern fast umsonst alle möglichen Gegenstände gibt. Andererseits, weil die Nutzung der Einrichtung gleich noch einen erzieherischen Effekt hat, der wegführt vom Massenkonsum.
"Ich komme öfter mal mit meinen Kindern und die dürfen sich dann eins von den Teilen aussuchen. Eins kriege ich, eines kriegt meine Tochter, eins mein Sohn."
Ihre beiden Kinder – vier und fünf Jahre alt – kämen gerne her. Auch wenn sie wüssten, dass bei einem Besuch ein Vereinsmitglied des Glückslokals nur drei Gegenstände mitnehmen darf.
"Manchmal schwierig, sich zu entscheiden"
"Ja, ist manchmal schwierig, sich zu entscheiden. Also, wir hatten es auch schon, dass ich dachte, ich komme jetzt nicht mehr. Aber manchmal denkt man auch halt, gut, vielleicht nimmst du auch das oder machst noch andere Vorschläge. Aber im Moment klappt es ganz gut."
Als studentisches Projekt wurde das Glückslokal 2014 gegründet. Schnell wurde als Räumlichkeit die Alte Mu entdeckt. Der Gebäudekomplex liegt im Kieler Zentrum. Früher war hier die Muthesius-Kunsthochschule untergebracht, inzwischen haben viele Initiativen und Mitglieder der Gründer-Szene das Gelände für sich entdeckt. Nina Lage-Diestel hat das Glückslokal gegründet und ist mittlerweile eine von zwei Geschäftsführerinnen des Vereins.
"Am Anfang stand die Erkenntnis, dass wir selbst alle viel zu viel haben was wir nicht brauchen. Und dass wir Sachen auf dem Flohmarkt verkauft haben, getauscht haben, verschenkt haben. Und wir wollten mit dem Glückslokal einen lokalen Standort schaffen, wo man diese Aktivitäten bündeln kann."
Vereinsmitglieder dürfen zweimal im Monat stöbern
Tatsächlich wird im Glückslokal nichts verkauft oder getauscht. Sondern verschenkt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man Mitglied im Verein Glückslokal ist. Fünf Euro sind dafür jeden Monat fällig. Im Gegenzug können die Mitglieder an zwei Nachmittagen in der Woche und an zwei Wochenenden im Monat für einige Stunden die Räumlichkeiten durchstöbern. Die Regale sind voll mit Schuhen, Kleidung, Spielsachen, Haushaltsgegenständen, Büchern. Das Allermeiste ist ordentlich sortiert. Dennis hat sich schon länger vom herkömmlichen Konsum verabschiedet und kauft fast nur noch Second-Hand. Er ist "Stammkunde" im Glückslokal. Häufig weiß er gar nicht so recht, was er sucht. Aber irgendetwas fände er immer. Es bedürfe halt etwas Glück.
"Kann schon weg sein aber kann gerade kommen, wenn man da ist, also, das ist immer unterschiedlich. Also, von der Zeit, das spielt keine Rolle, ob man um vier kommt oder um sieben."
Als Sammler von französischen Filmen hat er sich besonders über die DVD eines Yves-Montand-Streifens gefreut. Rund 1.000 Mitglieder zählt das Glückslokal inzwischen. Wegen des Verwaltungsaufwands gibt es inzwischen zwei Geschäftsführerinnen, die sich eine bezahlte Stelle teilen. Und weiterhin viele motivierte Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. So wie Anette Flick.
"Hier ist ein Reich der Geschenke, die Leute bringen regelmäßig immer sehr viele Dinge hierher und wir bewahren die so lange auf, bis sich jemand neues findet und das Stück mit nach Hause nehmen möchte."
"Freue mich, diese Sharing-Community zu unterstützen"
Die 49-Jährige hilft zwei- bis dreimal im Monat mit fünf oder sechs anderen Freiwilligen im Glückslokal bei der Annahme von Objekten, dem Sortieren oder der Kontrolle, ob jeder Gast beim Ausschecken auch wirklich nur drei Gegenstände hat.
"Und ich freue mich, einfach mit dabei zu sein und diese Sharing-Community zu unterstützen. Was mir eben halt auch wichtig ist, gegen diese Verschwendung anzusteuern. Und einfach bewusster über den Konsum nachzudenken. Und selber erfreut man sich auch wirklich über die Dinge, die man zu Hause hat, wenn man erstmal aussortiert und losgelassen hat."
Tatsächlich wird schon bei der Annahme genau geschaut, in was für einem Zustand die Gegenstände sind. Immer wieder werden schmutzige oder beschädigte Dinge auch zurückgewiesen, denn eine Müllentsorgung soll das Glückslokal nicht sein. Manchmal landen hier aber auch kleine Schätze. So wie die uralte Filmkamera in der Ledertasche, die gerade abgegeben wurde und bei den Freiwilligen Helferinnen Anette, Wanda, Eva und Merle Begeisterung auslöst
"Steht hier noch vorne drin, von wann die ist…?"
"Mega!"
"Nimm die mal in die Hand!"
Schenk dich glücklich lautet das Motto des Vereins. Doch bei allem Einsatz für Nachhaltigkeit und gegen den gedankenlosen Massenkonsum: Auch das Glückslokal muss wirtschaften, denn es fallen Miete an und Steuern genauso wie Gehälter für die beiden Geschäftsführerinnen Nina Lade-Diestel und ihre Kollegin Sarah Klawonn. Ab dem kommenden Frühling soll es ein neues Beitragsmodell gegen. Mitglieder können dann entscheiden, ob sie fünf, zehn oder alternativ 15 Euro Beitrag im Monat zahlen. Dafür können sie im Gegenzug ein monatliches Kontingent von fünf, 20 oder alternativ 30 Gegenständen nutzen.