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Kim Jong Un "ist ein Getriebener"

Aus Sicht des nordkoreanischen Regimes sei die bisherige Rhetorik und Eskalation zu mindestens 90 Prozent Innenpolitik, sagt Hans Pflug (SPD), Mitglied der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un wolle jedem gefallen - den Hardlinern genauso wie den Öffnungswilligen.

Johannes Pflug im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 06.04.2013
    Jürgen Zurheide: Nordkorea hat die Botschaften, vor allen Dingen die westlichen Botschaften, aufgefordert – ja, das ist die Frage, ob man aufgefordert hat, nur Hinweise gegeben hat, dass möglicherweise das Personal abgezogen werden soll, die Europäer beraten darüber, wie sie darauf reagieren. Ansonsten sind Raketen verlegt worden, und das alles deutet darauf hin, dass die Konfrontation und der Konfrontationskurs zunächst einmal weiterläuft. Über all das wollen wir reden, und ich begrüße am Telefon Hans Pflug, Mitglied der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Herr Pflug!

    Johannes Pflug: Guten Morgen!

    Zurheide: Zunächst einmal: Wie werten Sie das, diese Aufforderung, dass möglicherweise die Botschaften ja geräumt werden sollen? Haben Sie Informationen, was da möglicherweise hinterstecken könnte?

    Pflug: Also ich vermute mal, dass dem Regime in Pjöngjang bei seiner verbalen Eskalation nicht mehr viel Neues eingefallen ist, und um auch nach innen, also an die eigene nordkoreanische Bevölkerung deutlich zu machen, wie groß aus der Sicht des Regimes, was nicht wirklich der Fall ist, aber um es der Bevölkerung zu vermitteln, das Bedrohungsszenario ist, ist nun diese Aufforderung erlangt. Heute sitzen die Diplomaten zusammen, und ich bin ziemlich sicher, sie werden dieser Aufforderung nicht folgen.

    Zurheide: Dann sind Raketen verlegt worden - ich hab’s auch gerade erwähnt –, was sind das für Hinweise? Der UN-Generalsekretär hat darauf geantwortet, na ja, das seien alles keine Spielzeuge. Wenn man diese Sprachwahl hört, dann hat man den Eindruck, na ja, spielt da wirklich jemand oder ist das nicht auch Kalkül?

    Pflug: Also ich denke, die eigentliche Gefahr besteht darin, dass zwar aus der Sicht des nordkoreanischen Regimes mindestens 90 Prozent der bisherigen Rhetorik und der Eskalation Innenpolitik sind, aber die Gefahr besteht darin, ob das die unteren Chargen alles wissen. Und nachdem Frau Park Geun Hye auch ihrem Militär gesagt hat, dass sie keine Rücksichten nehmen müssen, ist natürlich die Gefahr, dass es tatsächlich zu militärischen Auseinandersetzungen kommen kann, nicht auszuschließen, doch nach wie vor halte ich diese Gefahr für ziemlich gering.

    Zurheide: Sie sind selbst im vergangenen Jahr zweimal auch in Nordkorea gewesen - wie intensiv sind denn eigentlich die Informationen, der Austausch, die Gesprächsmöglichkeiten? Ist das alles, ja, kann man da wirklich offen reden?

    Pflug: Also ich bin zehn Mal in Nordkorea gewesen, und Sie brauchen schon einige Male, bevor sie einige Gesprächspartner näher kennengelernt haben. Sie wissen, wie die denken, Sie wissen auch, was von dem zu halten ist, was man Ihnen sagt, und es gibt darunter natürlich auch Gesprächspartner, auch informelle, mit denen man das ein oder andere vertraute Wort – ich sag jetzt nicht vertraulich, aber das vertraute Wort – wechseln kann und auch etwas hinter die Kulissen blicken kann. Insbesondere sind das natürlich auch die Vertreter der europäischen, amerikanischen oder sonstigen NGOs, die in Nordkorea tätig sind, mit denen kann man reden, die haben Erfahrung und die haben auch Zugang zur Bevölkerung. Und ich fahre auch jedes Mal raus aus Pjöngjang, um auch auf dem Lande zu sehen, wie die Situation dort ist.

    Zurheide: Wie stellt sich das Land dar? Dass es bitterarm ist, haben wir gelernt, aber welche Ziele verfolgt das Regime? Kann man das auch aus solchen Besuchen dann am Ende herauslesen?

    Pflug: Das oberste Ziel des Regimes ist natürlich der Regimeerhalt. Nur was sich mittlerweile wirklich verändert hat gegenüber der früheren Situation, ist, ich habe Leute kennengelernt Mitte der 2000er-Jahre, die bereit gewesen wären – das haben sie jedenfalls vermittelt –, ihre Atomwaffenprogramm wirklich in Verhandlungen auch anzubieten, das ist vorbei. Nun hat der neue Führer Kim Jong Un erklärt, sie wollen festhalten an dieser atomaren Rüstung, insofern ist das eine neue Qualität, die wir zur Kenntnis zu nehmen haben. Das hat sich verändert.

    Zurheide: Was halten Sie von der Interpretation, dass man es ähnlich versucht, wie es Mao mit Nixon versucht hat, zunächst in die Konfrontation auch mit den Amerikanern zu gehen, um dann am Ende möglicherweise irgendetwas zu erreichen? Gibt es diese Analogie?

    Pflug: Das ist so. Hillary Clinton hat mal vor zwei Jahren gesagt, die verhalten sich wie ein trotziger Teenager, die also ständig die Eltern provozieren, um wahrgenommen zu werden, und das, was wir erlebt haben in den vergangenen Jahren, zeigt das ja auch. Wobei man allerdings auch erkennen muss, dass es hier offensichtlich unterschiedliche Läger gibt. Es gibt das eine Lager, ich rechne mal vor allen Dingen die Militärs dazu, die die Insel, die Halbinsel beschossen haben, die die Korvette Cheonan versenkt haben, und es gibt natürlich die anderen, die dem Leiter oder ehemaligen Leiter des amerikanischen Atomwaffenprogramms Siegfried Hecker die Urananreicherungsanlagen gezeigt haben und die auch für Kim Jong Un die Rede geschrieben haben, die er Neujahr gehalten hat, die über Reformen redet. Und das macht deutlich, in welchem Widerspruch sich jetzt auch der neue Führer in Nordkorea befindet, der offensichtlich versucht, jedes Mal an der Spitze der Bewegung zu stehen, sowohl bei den Hardlinern als auch bei den, ja, Reformern ist zu viel gesagt, bei den Öffnungswilligen. Und das macht die Situation auch gefährlich. Er ist ein Getriebener.

    Zurheide: Wer hat denn den Schlüssel? Früher hat man gesagt die Chinesen möglicherweise, die scheinen sich im Moment zurückzuhalten. Wie könnten, wie sollten die Amerikaner auf die Provokationen reagieren?

    Pflug: Ich hab selbst vor zwei Wochen mit dem amerikanischen Sonderbeauftragten der amerikanischen Regierung, mit Herrn Davies in Berlin gesprochen. Und auch er und die Amerikaner haben ja Zweifel daran, erstens, was die Nordkoreaner wollen, und sie sehen natürlich vor allen Dingen auch die Notwendigkeit, vertrauensbildend mit den Chinesen umzugehen, also eine Atmosphäre des Vertrauens zwischen Amerikanern und Chinesen herzustellen. Die Chinesen sind informiert. Es gibt zwei Leute: In dem neuen siebenköpfigen ständigen Ausschuss des chinesischen Politbüros gibt es ein Mitglied, das ist Herr [...], der in Pjöngjang studiert hat und als guter Kenner Nordkoreas gilt, der natürlich auch Verbindungen haben wird. Und es gibt auf nordkoreanischer Seite einen der Führenden, Mächtigen, das ist Jang Song Taek, der Onkel von Kim Jong Un, der als intimer Kenner Chinas und auch als Mann mit hervorragenden Verbindungen nach China gilt. Ob die beiden sich kennen, weiß im Augenblick niemand, aber man kann davon ausgehen, dass es Informationskanäle gibt. Und die Tatsache, dass die Chinesen öffentlich ihre Verärgerung ausgedrückt haben, zeigt, dass sie nach innen mehr als wütend reagiert haben müssen. Das scheint aber im Augenblick den nordkoreanischen Machthaber nicht abzuhalten. Nichtsdestoweniger sind die Amerikaner als auch die Chinesen sehr daran interessiert, dass sie miteinander reden, und es wird notwendig sein, dass beide Staaten sich über den finalen Status der gesamten Halbinsel unterhalten.

    Zurheide: Wenn ich jetzt einen Strich unter unser Gespräch ziehe, höre ich da die Hoffnung raus, dass das, was wir jetzt im Moment erleben, eine Art Säbelrasseln ist, aber dass niemand dann wirklich am Ende auf den Knopf drücken wird?

    Pflug: [...] Prognose, dass nach dem 15. April eine Deeskalation stattfindet in aller Stille, wie das in der vergangenen 15 Jahren auch der Fall war – das Rote Telefon wird wieder in Betrieb genommen werden, die Sonderwirtschaftszone Kaesong wird wieder angedient werden können von Südkorea aus. Am 15. April würde sich der Geburtstag des Staatsgründers Kim Il Sung zum 101. Male jähren. Bis dahin kann es durchaus sein, dass man sogar noch eine Rakete testet oder sonst was macht, aber danach wird es eine Deeskalation geben.

    Zurheide: Das war Hans Pflug, Mitglied der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe, mit seinen Einschätzungen zu Nordkorea. Herr Pflug, ich bedanke mich für das Gespräch, Dankeschön!

    Pflug: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.