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Kinder als Smartphoneopfer
Pornografie, Gewalt und peinliche Selfies

Smartphones sind wahre Multitalente, die Telefon, Internet, Computer, Kamera und MP3-Player in einem Gerät vereinen. Für die meisten Kinder und Jugendlichen gehören sie zum Alltag. Damit altersgerecht umzugehen, lernen jedoch die wenigsten. Und so landen schon die Jüngsten auf pornografischen oder gewalttätigen Webseiten.

Von Henning Hübert | 09.10.2015
    Ein Liebespaar beim Sex
    Fast jeder Schulleiter kennt Fälle, in denen Schüler Opfer von sogenanntem Sexting wurden - dem Versenden von intimen Fotos, die meist eigentlich nur für Freunde gedacht waren. (picture alliance / Klaus Rose)
    Ein Kennlernspiel unter Neuntklässlern. Eine Woche lang lassen sie sich am Bonner Friedrich-Ebert-Gymnasium schulen - zu sogenannten Netpiloten. Sie sollen später in den Klassen für einen verantwortlichen Umgang mit den internetfähigen Smartphones sorgen. Schon nach der ersten Kennlernrunde zum Umgang mit ihren modernen Handys ist klar: Die Heranwachsenden begegnen im Netz auch Peinlichkeiten. Sie klicken sich durch Webseiten mit Inhalten, die eigentlich für Erwachsene bestimmt sind. Kennen Pornografie und Gewalt und haben auch Erfahrung mit peinlichen Bildern von sich selbst, die dort für die Ewigkeit gespeichert sind.
    Anfällig für Mobbing
    Karl sammelt in einer Arbeitsgruppe die Nachteile von WhatsApp, der Plattform zurzeit für Verabredungen, Gerüchte, Flirts und Zeitvertreib:
    "Man ist halt anfälliger für Mobbing, auch wenn es die Blockierfunktion gibt. Man kann versehentlich persönliche Daten an irgendwelche Leute schicken."
    Das Problembewusstsein ist vorhanden – zumindest bei den Experten. Fast jeder Bonner Schulleiter kann inzwischen Beispiele nennen von Schülerinnen oder Schülern, die Opfer von sogenanntem Sexting wurden dem Versenden von intimen Fotos, die meist eigentlich nur für Freunde gedacht waren. Die Gymnasiasten kennen das Phänomen, schützen sich aber nicht immer dagegen
    "Da gab es auch mal bei uns einen Fall, ja die hat einem Typen – ihrem Freund – aus der 10., damals war sie vielleicht in der 6., ihre Brüste gesendet und der hat das weitergesendet. Über zwei, drei Schulen ist das. Dann wussten das wirklich die ganzen Schulen. Und dann hat sie halt auch die Schule gewechselt und so was. Es passiert sehr schnell einfach."
    Opfer von sogenannten Sexting
    Bei der Fachstelle für Suchtprävention von Caritas und Diakonie in Bonn rücken Probleme von Jugendlichen mit Tabak und Alkohol fast schon in den Hintergrund. Online-Süchte nehmen zu, ständiges Surfen, Lästern, Mobbing. Und der Druck im Netz immer witzig, clever und schön sein zu müssen. Das Thema beschäftigt Andreas Pauly, der das Netpiloten-Projekt der Bonner update-Suchtpräventionsstelle leitet, täglich:
    "Es ist so, dass Mädchen überwiegend soziale Netzwerke nutzen. Sie sind mehr präsent bei Instagram oder solchen Sachen um sich darzustellen. Jungs holen da deutlich auf. Aber Jungs sind immer noch diejenigen, wenn wir jetzt von der 7., 8. Klasse sprechen, für die das selbstverständlich dazu gehört, Computerspiele zu spielen, Videospiele mit gewalthaltigen Inhalten, also Ego-Shooter oder Strategiespiele, Phantasierollenspiele. Mädchen haben, um dazu zu gehören, noch mal einen höheren Druck zu posten, was sie gerade anziehen, was sie gerade machen."
    Schwelle zur Sucht
    Er warnt Eltern davor, Kinder im Grundschulalter mit dem Smartphone in sozialen Netzwerken mitmachen zu lassen – wegen Überforderung - und weist darauf hin, dass Chatten und Bilder-Versenden bei WhatsApp erst für mindestens 16jährige erlaubt sei. Die Schwelle zur Sucht - da ist sich der Sozialpädagoge mit vielen Experten einig - ist bei 30 Stunden Onlinenutzung in der Freizeit pro Woche erreicht.
    "Die Jugendlichen sprechen davon: Es ist ja völlig normal, dass ich 2.000 Nachrichten bei WhatsApp am Tag habe. Das ist der Maßstab - die sind ja dann auch in 15, 20 Gruppen – mittlerweile hoch. Es sind Jugendliche, die sagen, ich hab 5.000 Nachrichten am Wochenende und finden das völlig normal."
    Solche Zahlen sind für den Medizinökonomie-Professor Rainer Riedel von der Rheinischen Fachhochschule Köln keine Überraschung. Er warnt, dass heute schon 60 Prozent der Neun- bis Zehnjährigen bekennen, dass sie spätestens nach einer halben Stunde nicht mehr wüssten, wie sie sich ohne Smartphone oder andere elektronische Medien beschäftigen sollen. Sein Gegenrezept, damit es nicht zu Sucht- und Missbrauchsverhalten kommt, dürfte Älteren noch präsent sein:
    ""Lesen, Spielen - haptisch Spielen - etwas anpacken, bauen und gleichzeitig den Sport nicht aus den Augen verlieren."