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"Kinder sind eben keine Objekte mehr"

Anlässlich des Weltkindertages hat die FDP-Politikerin Miriam Gruß die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz gefordert. Bislang würden Kinder in Artikel 6 zwar erwähnt, allerdings nur als Regelungsgegenstand. Wichtig sei es, Kinder als Rechtssubjekte zu behandeln. Dadurch würde der Staat stärker in die Pflicht genommen, Entscheidungen zum Wohl der Kinder zu fällen, betonte die Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages.

Moderation: Elke Durak | 20.09.2007
    Durak: An Tagen wie heute, dem Weltkindertag, kommt aus der Politik fast routinemäßig der eine oder andere Vorschlag, was noch mehr als bisher für die Kinder bei uns getan werden könnte oder sollte. Ebenso gibt es alljährlich wiederkehrende Appelle von Kinderschutzorganisationen, mehr für die Kinder zu tun. Heute zum Beispiel fordert die Vorsitzende des deutschen Unicef-Komitees Heide Simonis und mit ihr auch andere, Kinderrechte im Grundgesetz festzuschreiben. Auch dies ist ein erneuter Appell. Eine UNO-Konvention hatte Deutschland schon vor Jahren unterschrieben und die Bundeskanzlerin hatte im vergangenen Jahr versprochen zu prüfen, ob nach dem Tierschutz nun doch vielleicht auch Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden sollten.

    Wir fragen uns nun: Wie weit sind wir denn mit dieser Prüfung? - Die Frage gebe ich weiter, denn am Telefon ist die Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages Miriam Gruß von der FDP. Schönen guten Tag Frau Gruß!

    Gruß: Schönen guten Tag!

    Durak: Wie weit sind wir denn mit der Prüfung? Wissen Sie was?

    Gruß: Ich weiß nicht, wie der Stand der Dinge ist im Bundeskanzleramt, aber wir von der Kinderkommission stehen nach wie vor hinter unserer Forderung, hinter dem einstimmigen Beschluss aller Mitglieder der Kinderkommission, damit auch aller Fraktionen im Bundestag, der Mitglieder der Fraktionen im Bundestag, dass wir die Kinderrechte im Grundgesetz verankern möchten.

    Durak: Weshalb?

    Gruß: Wenn wir die Kinderrechte tatsächlich im Grundgesetz verankern würden, wäre damit unmissverständlich klargestellt, dass Kinder eigenständige Persönlichkeiten sind mit eigenen Rechten, dass sie gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft sind mit eigener Würde und auch dem Anspruch, ihre Individualität anzuerkennen.

    Durak: Was ist denn da neu zum gegenwärtigen Status sozusagen? Kinder sind ja auch Menschen und alles andere ist für die Menschen geregelt.

    Gruß: Ja. Bis jetzt sind die Kinder zwar erwähnt, und zwar in Artikel 6 im Grundgesetz. Sie sind jedoch nur Regelungsgegenstand der Norm, also Objekte. Sie werden bei uns bisher nicht als Rechtssubjekte behandelt, was im Übrigen auch die UN-Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat, fordert.

    Durak: Was würde man denn im Gegensatz zu dem, was jetzt ist, konkret erreichen, wenn das ins Grundgesetz kommt?

    Gruß: Ganz grundsätzlich wird der Staat damit stärker in die Pflicht genommen, bei allen politischen Entscheidungen das Wohl unserer Kinder und die Auswirkungen auf die Kinder zu berücksichtigen. Beispielsweise bei Entscheidungen auf kommunaler Ebene könnte das konkret bedeuten: Angenommen die Schließung eines Kinderspielplatzes würde Gegenstand der Diskussion sein zu Gunsten eines Neubaus, dann müsste das Gericht bei der Entscheidungsfindung sich in erster Linie auch an den Grundrechten der Kinder orientieren.

    Durak: Gehen wir mal konkreter noch auf etwas Problematischeres, Frau Gruß. Es ist ja kaum vorstellbar, dass man Eltern, die sich zu wenig oder gar nicht um ihre Kinder kümmern, was die Bildung betrifft, was die Gesundheit betrifft, die ihre Kinder schlagen oder sonst wie vernachlässigen, nun mit dem Grundgesetz sozusagen schlagen könnte. Sollen diese Kinder dann schneller von Staatswegen aus den Verhältnissen rausgeholt werden?

    Gruß: Es hat mehrere Auswirkungen. Zum einen haben Sie vollkommen Recht. Der Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung oder Ausbeutung beispielsweise wäre leichter praktikabel. Das heißt der Staat könnte schneller handeln, schneller eingreifen, wenn Kinder misshandelt oder vernachlässigt würden.
    Die zweite Auswirkung wäre natürlich: Kinderrechte wären auch einklagbar. Würden sie verletzt, könnte Verfassungsbeschwerde erhoben werden.

    Durak: Von wem einklagbar, Frau Gruß?

    Gruß: Das wären dann diejenigen, die die Kinder vertreten in den Prozessen. Aber die Kinder selbst wären dann Träger ihrer eigenen Rechte und könnten Verfassungsbeschwerde einlegen.

    Durak: Mit Hilfe von irgendwelchen Rechtsvertretern?

    Gruß: Mit Hilfe von Vertretern, ganz genau.

    Durak: Es könnte ja den Vorstoß geben von Gegnern dieser Regelung, dass dies zu diktatorisch ist. Was halten Sie dagegen?

    Gruß: Wir müssen in unserem Bewusstsein uns klar werden, dass wir Veränderungen auch in internationaler Rechtsprechung inzwischen haben. Kinder sind eben keine Objekte mehr, sondern Subjekte und Kinder sind unsere Zukunft. Damit muss das auch in den Köpfen verschwinden, dass vielleicht die Rechtstellung von Kindern zu stark werden könnte.

    Durak: Das ist ja eigentlich allen klar, Frau Gruß. Nur es wird nicht umgesetzt. Deshalb kommt es mir manchmal so vor, als wenn solche Forderungen wirklich aller Ehren Wert sind, aber nicht umsetzbar. Nehmen wir mal zum Beispiel das Recht auf Bildung. Sollen denn die Kinder mit Hilfe ihrer Vertreter die Länder verklagen, weil die Bildungsvoraussetzungen, die die Länder bieten, einfach nicht ausreichend genug sind: keine Chancengleichheit, zu wenige Lehrer, zu große Klassen und so weiter?

    Gruß: Das wäre theoretisch denkbar. Es ist nun mal so, dass bisher immer die Erwachsenen die Entscheidung getroffen haben, ob Kinder entsprechend ausreichend gebildet werden. Aber mit zunehmendem Alter können Kinder auch selbst feststellen: Habe ich genügend Möglichkeiten zu lernen, mich weiterzuentwickeln? Habe ich das Gefühl, meine Klasse ist zu groß? Ich habe zu wenig Lehrer, zu viel ausfallenden Unterricht. Damit wären sie quasi in einer anderen Stellung als es bisher der Fall war.

    Durak: Und wie sollen sie das umsetzen?

    Gruß: Es muss eben bei allen Entscheidungen dann bedacht werden, wenn wir mehr Geld in die Hand nehmen müssen in der Bildungsdiskussion beispielsweise, dass dann die Kinder mit ihren Rechten den entsprechenden Vorrang haben. Das heißt wir müssen auch umdenken, wo wir die Gelder im Haushalt hinfließen lassen.

    Durak: Wer unterstützt denn die Kinderkommission?

    Gruß: Wir haben beispielsweise die Organisationen Unicef, Kinderschutzbund, Kinderhilfswerk und darunter ungefähr 27 Organisationen im Nichtregierungsorganisationsbereich, darüber hinaus aber auch prominente Vertreter wie beispielsweise Eva Luise Köhler, die Frau des Bundespräsidenten, der Altbundespräsident Roman Herzog, und die Familienministerin von der Leyen hat in dieser Richtung jedenfalls auch schon etwas verkündet.

    Durak: Und was konkret?

    Gruß: Dass sie sich die stärkere Stellung der Rechte der Kinder im Grundgesetz vorstellen kann.

    Durak: Gibt es noch andere prominente Vertreter oder Unterstützer aus den Bundestagsfraktionen?

    Gruß: Ich glaube, dass die SPD-Fraktion geschlossen dahinter steht, das heißt Herr Struck, auch die Linksfraktion mit Herrn Gysi und die Grünen mit deren Fraktionsspitze. Damit hätten wir schon mal drei Fraktionen, die uneingeschränkt dahinter stehen. Darüber hinaus gibt es auch den einen oder anderen aus den Reihen der FDP und auch der Union, die dahinter stehen.

    Durak: Sie gehören doch der FDP an?

    Gruß: Ganz genau. Auch mich natürlich als Vorsitzende der Kinderkommission.

    Durak: Aber weshalb sind es bei Ihnen nur einige?

    Gruß: Welche Zahl das genau ist, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Wir haben noch keine Abstimmung darüber in der Fraktion durchgeführt. Aber es ist so, dass wir von den Rechtspolitikern grundsätzlich bei allen Änderungen des Grundgesetzes Vorbehalte haben, und deswegen will ich jetzt noch nicht die ganze Fraktion als Unterstützung nennen.

    Durak: Wann rechnen Sie damit, dass es zu einer öffentlichen Debatte kommt im Bundestag, also unter den Parlamentariern? Wann könnte es dazu kommen, dass geprüft wird "Kinderrechte ins Grundgesetz"?

    Gruß: Das hängt davon ab, inwieweit wir als Mitglieder der Kinderkommission nun unsere eigenen Fraktionen tatsächlich überzeugen können, hier mehrheitlich zuzustimmen. Wir haben uns gestern darüber geeinigt, dass wir bis zum 7. November, also bis zur übernächsten Sitzung der Kinderkommission, hier in der Kinderkommission dann berichten, wie weit die Fraktionen sind. Falls wir nicht die Mehrheiten in den Fraktionen haben, werden wir den etwas schwereren und langwierigeren Weg des Gruppenantrages seitens der Kinderkommission gehen. Dann dauert es etwas länger. Ansonsten kann es auch relativ schnell gehen, vielleicht noch in diesem Jahr, spätestens im nächsten Jahr.

    Durak: Die Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages Miriam Gruß von der FDP war am Telefon. Frau Gruß, danke für das Gespräch und viel Erfolg kann ich so sagen.

    Gruß: Danke schön.