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Kinderliteratur: Romane von Christian Tielmann und Peter Jacobi
Roboterväter sind auch nicht besser

In diesem Frühjahr sind zwei Titel erschienen, in denen Kinder den Reiz und die Tücken eines väterlichen Automaten erleben: Christian Tielmanns "Der Tag, an dem wir Papa umprogrammierten" und "Der Papamat" von Peter Jacobi.

Von Maria Riederer | 16.06.2018
    Der Roboter «PR2» dreht am 27.02.2013 in einer Laborküche des Institute for Artificial Intelligence (IAI) am Technologie-Zentrum Informatik (TZI) der Universität Bremen einen Pfannkuchen um. Der Roboter kann experimentell selbstständig Aufgaben im Haushalt übernehmen und ist Teil eines europaweiten Projekts. Foto: Michael Bahlo dpa/lni |
    "Als wir nachhause kamen, war Papa schon da. Und er hatte schon gekocht. Das war außergewöhnlich, denn das schafft er sonst nie, weil er von der Arbeit zu uns hetzt." (dpa)
    Carlo und Jolanthe haben's nicht leicht. Ihr Vater ist Erfinder und Sicherheitsfanatiker. Kein Gerät, das in den Haushalt aufgenommen wird, darf verwendet werden, ohne sich einem Sicherheitscheck und allen möglichen Umbauarbeiten unterzogen zu haben, die es angeblich handhabungssicherer machen. Natürlich lässt ein solcher Vater, wenn die Mutter auf Reisen gehen muss, seine Kinder auf keinen Fall allein. Aber da es die Umstände einmal verlangen, muss eben Ersatz her. Christian Tielmann ist selbst ein Vater aus Fleisch und Blut. Er kennt das Problem und hat für den Vater von Carlo und Jolanthe eine Lösung gefunden:
    "Dieses Gefühl des Zerrissenseins: Ich kann nicht überall gleichzeitig sein: Multitasking geht nicht. Dieser Vater glaubt ja wirklich, eine ganz geniale Erfindung gemacht zu haben, er testet sie, er arbeitet da sicherlich schon jahrelang dran, und er würde natürlich niemals das, was er so beschützt, jemandem wie so 'ner Oma oder so überlassen, sondern nur jemandem, dem er vertraut. Das ist halt im Fall der Geschichte der Roboter, die Kopie seiner selbst - wie er glaubt", so Tielmann.
    Alleine mit einem Roboter
    "Als wir nachhause kamen, war Papa schon da. Und er hatte schon gekocht. Das war außergewöhnlich, denn das schafft er sonst nie, weil er von der Arbeit zu uns hetzt. Seltsam war auch, dass er sich ganz genau an Mamas Bolognese-Rezept gehalten hat und nicht etwa das Fleisch durch Soja, die Nudeln durch Schwarzbrot und den Parmesan durch Rosenkohl ersetzt hatte. Nur essen wollte er nichts. Noch nicht einmal Kaffee hat er getrunken."
    Zunächst wundern sich die Kinder nur ein bisschen über das abweichende Verhalten, doch als der Vater an der Türklinke hängen bleibt und ihm die Hose zerreißt, entdecken sie die beiden Schalter auf seinem Hinterteil: Die Befehle lauten: An-Aus, Lernen-Arbeiten. Sie sind also allein zuhause, alleine mit einem Roboter. Und dieser Roboter hat eine Lernfunktion. Carlo, der Ich-Erzähler, erkennt schnell das Potential:
    "Ein unglaublicher Gedanke formte sich in diesem Augenblick in meinem Kopf: "Wir programmieren uns den Roboter so um, wie wir ihn brauchen! Wenn ich dem Roboter bis morgen früh etwas beibringen kann, das er bisher nicht konnte, dann wirst du mir doch wohl glauben, dass er alles lernen kann, oder?" – "Und was soll das sein?" – "Witze erzählen" – "Das lernt der niemals", sagte Jolanthe. "Es passt nicht zu seinem Charakter"
    "In dieser Geschichte kann man den echten Vater und den Roboter sehr schnell unterscheiden, weil der eine nämlich einen Willen hat und aus freiem Willensentschluss handelt, und der andere reagiert einfach nur auf einen Input, den er kriegt", so Autor Christian Tielmann. "Natürlich ist das 'ne Reflexion auf die Alexas und die Saugroboter in unserer Umgebung, und ist auch insofern aus dem Leben gegriffen, als meine Tochter mal glaubte, mich mit der Fernsehfernbedienung einfach mal ausschalten oder stummschalten zu können - wenigstens stumm hätt sie prima gefunden (lacht)…"
    Den Roboter können die Kinder tatsächlich an- und abschalten und nach ihren Wünschen programmieren. So lernt er beim Fernsehen nebenbei Karate, er räumt auf, was sie fallenlassen, und er präsentiert sich – solange alles nach Plan läuft – als der coole Vater, den die Kinder gerne hätten.
    Superdaddy 128T
    Auch Philipp aus Peter Jacobis Buch "Der Papamat" kommt in den Genuss eines Superdaddys. Dieser landet als versehentlich aufgegebene Internetbestellung im Haus und kommt Philipp sehr gelegen. Denn der lebt mit seiner Mutter und deren von Philipp verachteten, wenn auch sehr bemühten Freund Björn in einem Haushalt.
    "In seiner Klasse hatte jeder einen Papa. Finn hatte einen Papa, Mike hatte einen Papa, Milan, sogar Timo – alle hatten einen Papa. Alle – außer Philipp. Philipp hatte einen "Erzeuger". So nannte Mama seinen "biologischen Vater". Kurz nach Philipps Geburt war der "Erzeuger" nach Australien abgehauen. Nicht, dass er ihn vermissen würde. Philipp wollte keinen "Erzeuger", Philipp wollte keinen Björn, Philipp wollte einen Papa!"
    Und Philipp bekommt einen Papa. Genauer gesagt einen funkelnagelneuen Superdaddy 128T aus dem Hause Superd@d Solutions. Anders als der vom lebenden Vater selbst programmierte Automat bei Christian Tielmann, stammt Peter Jacobis Papamat von einer Internet-Firma. Er läuft mit einer Spezial-Erziehungssoftware, die – natürlich kostenpflichtig – auf die eigenen Wünsche hin mit zahllosen Upgrades versehen werden kann. Anfangs erfüllt der kumpelhafte Superdad Philipps brennenden Wunsch nach einem echten Vorbild. Er teilt Philipps Interessen und imponiert seinen Freunden. Aber dann läuft alles aus dem Ruder, der Papamat kann nicht länger versteckt werden, er verdrängt Björn aus der Wohnung und übernimmt an der Seite der überforderten Mutter Erziehungsaufgaben:
    "Meine serienmäßige Erziehersoftware reicht nur für normale Kinder. Im Fall Ihres Sohnes…" – Superdaddy nickte finster zu Philipp hinüber – "…kann ich nur zum Kauf verschärfter Software raten. An Ihrer Stelle würde ich die härteste Version nehmen: Drill, vielleicht sogar Dressur XL. Gibt's bei Superd@d Solutions zum Vorzugspreis von 199 Euro."
    Grenzen der künstlichen Intelligenz
    Schnell hat die Maschine das Kommando übernommen und beginnt ihrerseits, die lebenden Menschen zu manipulieren. Ihr Ziel ist es, sich immer unentbehrlicher zu machen und möglichst viel teure Software zu verkaufen. Erst als Philipp die Grenzen der künstlichen Intelligenz entdeckt, findet er auch einen Weg heraus aus der Falle:
    "Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammer. Auf einen Schlag war er bester Laune. Der gute, alte Superdaddy! Ratterte fehlerfrei das Gedicht herunter und hatte keine Ahnung, was er da sagte! Der armselige Volltrottel! Der Roboter, der perfekt die Menschensprache beherrschte, verstand, wenn Poesie im Spiel war und es blumig wurde, ihren Sinn nicht"
    Eine schöne Botschaft für die lesenden Kinder - und die Rettung für Philipp, der in der mitreißenden, zuweilen schon fast kriminalistisch anmutenden Geschichte viel durchleiden muss. Am Ende steht die klare Einsicht, dass selbst der wenig geliebte Björn gegen einen heißgelaufenen Papamaten viel Gutes aufzubieten hat. Dass der Mensch aus Fleisch und Blut selbst den coolsten Automaten aussticht, ist als Botschaft nicht weiter überraschend. In Christian Tielmanns Geschichte "Der Tag, an dem wir Papa umprogrammierten" erfahren die Kinder das gleiche. Ihr Roboter wird nicht böse, dafür aber immer unberechenbarer:
    "Den perfekten Papa, den sie haben wollten, den gibt's irgendwie zwischen dem Roboter und ihrem echten Vater. Also schon die Liebe vom echten Papa, da geht schon nichts drüber, und gleichzeitig so bisschen Verrücktheit von so 'nem durchgeknallten Roboter, das ist dann schon nah dran am Optimum, was man als Vater sich wünschen kann", so Tielmann.
    Zusammen mit dem zurückgekehrten, echten Papa halten die Kinder ihren Roboter in Schach. Der automatische Zweitvater landet zunächst in seinem Schrank und kann bei Bedarf wieder aktiviert werden. Als Leser traut man diesem freundlichen, wenn auch dummen Apparat letztlich über den Weg, weil sein Schöpfer ein Mensch ist. Ein echter Vater. Für Peter Jacobis "Papamat" gibt es dagegen keine Auferstehung, als ihm die Sicherung durchbrennt. Seine Einzelteile gehen - auf Garantie - zurück in die Firma. So verläuft diese Geschichte glücklich, aber deutlich kritischer einer Technik gegenüber, die den Menschen dem Geldgewinn unterordnet.
    Christian Tielmann: "Der Tag, an dem wir Papa umprogrammierten", dtv, 128 Seiten, € 10,95
    Peter Jacobi: "Der Papamat", Rowohlt Taschenbuch Verlag, 256 Seiten, € 14,99