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Kinderreport 2017
Spielend Demokratie lernen

Die Deutschen haben offenbar wenig Vertrauen in die Demokratiefähigkeit der jungen Generation, wie die Ergebnisse des diesjährigen Kinderreports zeigen. Eine Berliner Jugendbildungsstätte stellt den Gegenbeweis: In der Kaubstraße lernen Kinder spielend, was Demokratie bedeutet.

Von Kemal Hür | 02.02.2017
    Bunte Figuren an einem Kinderspielplatz.
    Eine Basis für das Demokratieverständnis bei Kindern schaffen. (Imago / Chromorange)
    "Ich darf einen Klassensprecher wählen."
    "Ich darf schon mitbestimmen, was gekocht wird."
    "Ich darf mit den Lehrern nicht laut sprechen."
    "Ich möchte fair sein mit allen Jugend und Mädchen, Schwarze und alle Landsleute."
    "Ich kann alles machen. Aber ich muss es erst meiner Mutter sagen."
    Vorstellungen von Kindern, welche Rechte sie haben. 14 Kinder sind zu einem dreitägigen Seminar in der Berliner "Jugendbildungsstätte Kaubstraße" zusammengekommen. Das eigentliche Thema ist dabei die Demokratieerziehung. Aber die Kinder sollen Demokratie nicht wie in der Schule vermittelt bekommen, sondern im Umgang miteinander.
    "In dieser Begegnung stellen die Teilnehmenden fest, dass es Menschen sind wie du und ich, die dieselben Ängste haben, dieselben Wünsche haben, dieselben Bedürfnisse haben, dass das alles unabhängig davon ist, wo sie herkommen, wo ihre Familien herkommen, welche Sprachen sie sprechen, welche Religion sie haben. Es ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch."
    Was bedeutet Demokratie überhaupt?
    Die Kinder bringen unterschiedliche kulturelle und religiöse Erfahrungen mit. Und wenn sie trotz aller Unterschiedlichkeit einen friedlichen Umgang miteinander lernen, sei das eine gute Basis für das Demokratieverständnis. In der Bildungsstätte wird Demokratie den Kindern deswegen spielend näher gebracht. Die Kinder gehen zusammen Schlittschuh laufen, arbeiten an einem Theaterstück und übernachten in der Bildungsstätte. Keine klassisch schulische, aber eine nachhaltige Methode der Demokratieerziehung, sagt Bildungsreferent Kerem Atasaver. Mit dem technischen Begriff "Demokratie" können die meisten Kinder nicht viel anfangen.
    "Was bedeutet Demokratie? – Keine Ahnung, jetzt habe ich es vergessen. – Ist das, wenn alle den Präsidenten wählen dürfen? – Das bedeutet auch spielen. – Dass alle die gleichen Rechte haben? – Die können auch flüchten. – Wählt nicht mehr Trump. Alle sagen, dass er böse ist. – Keiner liebt Trump. Bitte, Trump, geh!"
    Kinder zwischen 8 und 14 Jahren. Einige von ihnen sind als Flüchtlinge mit ihren Eltern erst vor einigen Monaten nach Berlin gekommen. Dass sie den amerikanischen Präsidenten Trump kennen, überrascht den Bildungsreferenten der Kinder, Kerem Atasever, nicht.
    "Auch Trump ist ein Ergebnis von Demokratie, AfD ist ein Ergebnis von Demokratie, und zwar so es allgemein verstanden wird. Dabei könnte Demokratie wahrscheinlich sehr viel mehr sein als nur abstimmen."
    Kinderhilfswerk stellt Report heute vor
    Das Deutsche Kinderhilfswerk stellte heute den Kinderreport 2017 vor. Dafür wurden in einer Studie Erwachsene gefragt, ob sie Kindern und Jugendlichen zutrauen, die Demokratie in die Zukunft zu tragen. Ein Drittel der Befragten zweifelt danach an der Demokratiefähigkeit der zukünftigen Generationen. Der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, sieht das Problem für das Misstrauen nicht bei den Kindern, sondern bei deren Eltern.
    "Das wissen wir zum Beispiel auch aus dem Sachsen-Anhalt-Monitor, der die Werte gemessen hat, wie man Rechtspopulismus akzeptiert. Und da sind überraschenderweise die berufsaktiven Gruppen, also die Eltern, diejenigen, die die höchsten Werte verbuchen, währenddessen Kinder und Jugendliche die größte Abstinenz gegenüber Rechtspopulismus zum Ausdruck bringen. Ein sehr interessanter Wert, sehr interessante Erkenntnis; denn zum ersten Mal können wir belegen, dass nicht die Jugend die Gefahr für die Zukunft ist, sondern deren Eltern."
    Demokratiebilung in Schule und Zuhause
    Krüger appelliert an die Eltern, die demokratische Bildung ihrer Kinder von Anfang an ernst zu nehmen. An den Schulen gebe es mit Geschichte, Politik und Sozialkunde bereits sehr geeignete Fächer, aber sie seien in den letzten 15 Jahren einerseits im Zuge der Pisa-Studien, andererseits durch den Lehrermangel vernachlässigt worden. Zu oft würden fachfremde Lehrer eingesetzt. Demokratiebildung sei aber nicht nur Aufgabe der Schule, auch außerschulisch müsse das Thema behandelt werden, so etwa in Jugendeinrichtungen und in der Lokalpolitik.
    Die Kinder in der Bildungsstätte Kaubstraße haben gelernt, was ihre Kinderrechte sind und was sie mitbestimmen dürfen. Zum Beispiel in welchem der vielen Zimmer sie schlafen wollen. Pünktlich um 19 Uhr gehen sie ins Bett.